Boote und Yachten aus heimischen Hölzern
Hoch oben im Norden Schleswig-Holsteins schlägt die Landschaft nur flache Wellen. Und doch überragen in Grödersby gleich hinter dem Ortsschild schon die ersten Schiffe einzelne Häuser. Dort, wo das Auge Trecker vermutet, stehen am Straßenrand Boote.
Hier zwischen den Feldern, rund eine Autostunde südöstlich von Flensburg, hat der Bootsbaumeister Jan Brügge 2016 seine "Werft Königstein“ angesiedelt. Alte Bauernhallen dienen ihm als Winterlager und Werkstatt. Das Büro bilden zwei Container, wie sie auch auf einem Frachter stehen könnten. Dank moderner Holzvertäfelung im Innern und einer Glasfassade mit Blick aufs Wasser bleibt Jan Brügge hier gerne an Bord, mittlerweile oft länger als in der Werkstatt selbst – nicht nur der Bootsbau muss laufen, sondern eben auch die Büroarbeit. Die Schlei, eines der beliebtesten Segel-Reviere Schleswig-Holsteins, liegt keine hundert Meter entfernt.
"Praktischer wäre für uns natürlich ein Standort direkt am Wasser“, räumt Jan Brügge ein. Doch als der Seitenarm der Ostsee bei der verheerenden Sturmflut im Herbst 2023 plötzlich bis auf fünf Zentimeter an die Werkstatt der Werft heranschwappte, herrschte bei Jan Brügge "Ausnahmezustand“.
Nachts Feuerwehrmann, tagsüber Bootsbaumeister
Nicht nur, weil er sich als selbstständiger Handwerker vor immensen Flutschäden in seiner rund 500 Quadratmeter großen Werkshalle fürchtete, sondern vor allem, weil er als freiwilliger Feuerwehrmann im Einsatz war. Nachts Sandsäcke stapeln und Deichbrüche verhindern, tagsüber versunkene Boote bergen und abtransportieren. Verantwortung übernehmen, das ist es, was Jan Brügge antreibt. Sowohl ehrenamtlich für die Gesellschaft als auch beruflich für die Umwelt. Helfen und Arbeiten, der Übergang im "Ausnahmezustand“ ist fließend. Davon zeugen auch die großen Löcher und Risse in den Bootsrümpfen, die seitdem in der Werft Königstein auf großen Bootslagerböcken zur Reparatur bereitstehen.
Mit dem Wintereinbruch ist jedes Jahr Hochsaison für Bootsbauer. Ihre Lager sind alle voll. Die Besitzer stellen ihre Boote nicht nur unter, sie lassen sie auch pflegen, lackieren oder umbauen. Immer mehr Kunden lassen sich mittlerweile auch neue Elektromotoren einbauen.
Hinzu kommen nun auch noch die Reparaturen der Sturmschäden. Bis Ostern müssen alle Boote fertig sein, dann wollen die Eigner wieder raus aufs Wasser. Genau deshalb dreht Jan Brügges junges Team jetzt auf und lässt sich in der Werkshalle durch laute Beats antreiben. Was gespielt wird, bestimmen die Gesellinnen und Gesellen. Der Firmenchef selbst arbeitet lieber in konzentrierter Stille, aber er sagt: "Ich muss mich eben auch als Betrieb bewerben, um die guten Leute zu bekommen.“ Mittlerweile beschäftigt er 18 solcher "guten Leute“ bei sich in der Werft, darunter fünf Frauen. Einigen seiner fünf Auszubildenden hat er geholfen, eine Wohnung in der Nähe zu finden, denn keiner von ihnen kommt aus der Region.
Rund eine Hand voll aus dem Team arbeiten hier täglich gemeinsam in der großen Werkhalle. Heute stehen sie mehrere Meter voneinander entfernt an den langen Werkbänken: schleifen, lackieren, schneiden, hobeln oder kleben. Hochkonzentriertes Handwerk in einer Umgebung, die sichtbar Raum lässt zur freien Kreativitätsentfaltung. Wären im Vorraum nicht die Boote, wirkte die lichtdurchflutete Halle unter dem offenen Dachgiebel aus Wellblech und Holzbalken wie eine gewöhnliche Schreinerei. Über allem liegt der Geruch von frisch geschnittenem Holz.
Ich muss mich auch als Betrieb bewerben, um die guten Leute zu bekommen.
Segler sind Teamplayer
Einige Gesellen arbeiten in Teilzeit, um Job und Familie gleichzeitig leben zu können. Auch der Meister selbst hat zwei Kinder, die er regelmäßig unter der Woche nachmittags betreut. Für ihn ist das flexible Navigieren zwischen Firma und Familie, Arbeit und Leben mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden, die er auch seinem Team zugesteht. So dürfen alle die Werkstatt nach Feierabend auch für private Bauprojekte nutzen. Viele hier haben ihr eigenes Boot, die meisten einen Segelschein und können deshalb ihre Passion gleich in die Praxis umsetzen. "Dieses lebensnahe Know-how aus der Freizeit ist super hilfreich für uns im Betrieb“, sagt Jan Brügge, "denn allein dadurch können Fehler vermieden werden, die später viel Zeit rauben, wie zum Beispiel, dass eine Klemme für die Leine falsch angeschraubt wird.“
Seine Leidenschaft fürs Segeln war es auch, die den Hamburger ins Handwerk brachte. Selbstverständlich war das keineswegs. Denn eine Ausbildung lag für den Abiturienten nicht in Denkweite. Seine Wahl fiel auf ein Nautik-Studium in Rostock. "Doch in dem Moment, wo ich anfing, mich weniger aufs Segeln und mehr aufs Studium zu konzentrieren, habe ich gerade nochmal die Kurve gekriegt“, erzählt der heute 36-jährige. Nach einem Praktikum in einer Werft ganz in der Nähe von Grödersby beginnt er dort seine Bootsbau-Ausbildung, die er als Bundessieger abschließt. Schnell wird ihm klar: Danach kann und will er selbstständig Boote bauen. Vom Segeln kennt er es, Verantwortung für ein Team zu übernehmen. Also verkauft er seine Jolle, nimmt das geschenkte Hochzeitsgeld von ihm und seiner Frau und kauft einer Tischlerei Maschinen ab. Mit dem Meistertitel in der Tasche, gründet er schließlich 2016 sein eigenes Unternehmen.
Hier, zwischen all den herkömmlichen Segeljachten aus Glasfaser, Carbon und Polyester hat Jan Brügge mit seinem Team inzwischen die Zukunft des Bootsbaus aufgebaut – und ihr einen Namen gegeben: "Woy 26“. Ein Segelboot aus Holz, am Rumpf farbig lackiert. "So stellen wir uns ein modernes, schnelles, serienfähiges und nachhaltiges Boot vor. Nicht aus dem klassisch roten Mahagoni-Tropenholz, sondern aus nachhaltigen Hölzern heimischer Wälder.“ Denn auch unter denen gebe es welche, die hervorragend für den Bootsbau geeignet seien.
Seine Vision: den Holzbootbau in die Gegenwart holen
Die "Woy 26“ besteht aus Fichten- und Kiefernholz. Was über Jahrhunderte der Werkstoff Nummer Eins im Bootsbau war, wurde ab den 1960ern durch die Kunststoffproduktion verdrängt. "Das war und ist momentan noch billiger, einfacher und effizienter in der Herstellung“, sagt Jan Brügge. Deshalb bauen auch nur noch wenige Werften in Deutschland überhaupt Yachten und Boote aus Holz. "Aber am Ende, wenn die vielen Glasfaser-Boote kaputt und verbraucht sind, hat man einfach nur noch einen Riesenhaufen Schrott.“ Sondermüll, den Jan Brügge künftig gerne vermeiden würde.
Seine Vision: das Handwerk des Holzbootbaus zurück in die Gegenwart holen und revolutionieren, neue Technologien ausprobieren und so weiterentwickeln, dass künftig auch mit Holz in Serie gefertigt werden kann. "Es ist an der Zeit, das anzugehen, denn die Voraussetzungen sind sehr gut. Holz bietet uns als Material so viel! Es lässt sich gut formen und hat ein gutes Leistungsgewicht.“ Und langlebiger, davon ist Brügge überzeugt, ist es auch noch.
"Das ist ein Unterschied in der Haptik, den man sofort fühlen kann. Damit geht man dann auch automatisch ganz anders um.“
So stellen wir uns ein modernes, schnelles, serienfähiges und nachhaltiges Boot vor. Nicht aus dem klassisch roten Mahagoni-Tropenholz, sondern aus nachhaltigen Hölzern heimischer Wälder.
Gewinner des Nachhaltigkeitspreises Schleswig-Holstein
Für den Bau des Rumpfes haben die Bootsbauer das sogenannte Vakuum-Infusionsverfahren angewandt. Dabei werden drei Schichten Furnierholz im Trockenzustand aufeinandergelegt und mit Harz per Unterdruck miteinander verklebt.
Bei der Entwicklung neuer Verbundmaterialien und Fertigungstechniken arbeitet Jan Brügge mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde zusammen. Das Kooperationsprojekt im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Für das Projekt ist Brügge im Mai 2021 sogar mit dem Nachhaltigkeitspreis Schleswig-Holstein ausgezeichnet worden.
Die Nische für Holzboote und -Yachten ist winzig, aber hochkarätig, die Kundschaft zahlungskräftig. Handwerk ist hier Kunst, die für Luxus steht. Aber Jan Brügge meint, dass man die Fertigung mit Holz vereinfachen und teilweise standardisieren könnte, um Kleinserien zu fertigen.
Einen Namen hat sich Jan Brügge in der Branche bereits gemacht. Viel läuft über Kontakte und Empfehlungen. Gleich ein Jahr nach Betriebsgründung hatte er den ersten großen Auftrag zum Bau einer 14,5-Meter-Regatta-Yacht aus Holz und Carbon. "Ich hätte nach diesem Prestige-Projekt gleich zu Anfang auch sagen können, so jetzt habe ich mein Lebenswerk erreicht. So besonders war das“, erzählt Brügge.
Stattdessen gibt er seine Erfahrung im Neubau von Holzbooten an die junge Generation weiter. Die Arbeit mit diesem nachhaltigen Werkstoff steht ganz klar im Mittelpunkt der Ausbildung in seiner Werft. Und gemeinsam mit seinem Team tüftelt Jan Brügge noch weiter am Projekt der "Woy 26“.
2024 soll die Taufe sein. Danach, so hofft der Meister, wird seine Vision vom nachhaltigen Bootsbau weit über Schleswig-Holstein hinaus hohe Wellen schlagen.
Jahrbuch 2024
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2024 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt unter dem Moitto "Neu denken. Zeit, zu machen." viele Positivbeispiele von Handwerkerinnen und Handwerkern in den Bereichen Transformation, Digitalisierung, Innovation und Gesellschaft.