"Das Ziel ist die Goldmedaille"
Wie seid Ihr ins Handwerk gekommen?
Jonas: Ich hatte als Kind schon jede Menge Berührungspunkte: Wir haben Landwirtschaft und so ziemlich alles, was da anfällt, machen wir selbst. Gut erinnern kann ich mich etwa an die Scheune meines Onkels, die wir von Grund auf aufgebaut haben und bei der ich in den Ferien ganze Tage auf der Baustelle verbracht habe. Als nach der Schule dann die Entscheidung zwischen Landwirtschaft und Handwerk gefällt werden musste, habe ich mich für’s Handwerk entschieden – und meine Ausbildung in dem Betrieb angefangen, in dem ich auch mein Schulpraktikum gemacht habe.
Jule: Ich bin da ebenfalls "familiär vorbelastet": Meine Mutter hat ein kleines Bauunternehmen und dadurch stand für mich schon immer fest, dass es Richtung Bau geht. Nach meinem Abi ging es bei mir um die Entscheidung zwischen Ausbildung und Studium – und da ich zunächst etwas Praktisches machen wollte, habe ich die Lehre zur Stahlbetonbauerin angefangen. Allerdings nicht im Familienbetrieb: Persönlich würde ich das auch empfehlen, die Ausbildung zu nutzen, um auch mal andere Seiten, andere Unternehmen kennenzulernen - dadurch lernt man auch dazu. Nur so kann man das Optimale für das, was man später für den eigenen Betrieb will, entwickeln.
Eure Berufsfindung klingt damit erstaunlich leicht. Was reizt Euch so am Handwerk?
Jule: Ich muss abends nicht überlegen, was ich den ganzen Tag über gemacht habe – ich kann es direkt sehen.
Jonas: Das ist mir auch wichtig. Wenn ich früh auf die Baustelle komme und nachmittags heimgehe, sehe ich direkt den Unterschied. Klar ist es auch mal anstrengend, wenn man etwa bei jedem Wind raus muss – nicht jeder ist dafür gemacht. Aber wenn man denkt, dass man Lust auf so etwas hat, sollte man es auf jeden Fall ausprobieren!
Und ganz wichtig: Sich das auch nicht in der Schule ausreden lassen. Ich habe da manchmal das Gefühl, dass das Handwerk dort leider nicht den guten Ruf hat, den es verdient.
Jule: Das kann ich bestätigen, gerade auch für’s Gymnasium: Da hat mir in der Berufsorientierung schon gefehlt, dass auch darüber informiert wurde, dass es viele Wege gibt und eben nicht jeder studieren muss. In meinem Bauingenieursstudium merke ich jetzt: Das ist nichts für mich. Meine Ausbildung ist deutlich besser gewesen und hat mir mehr gebracht. Weil ich da auch für’s Leben gelernt habe.
Was würde die Berufsorientierung dann aus Eurer Sicht verbessern?
Jule: Die Praxis mehr mitzudenken, ich merke das bei mir im Studium: Ich kann verstehen, worüber wir dort theoretisch reden – aber können es die anderen auch? Für die Berufsorientierung bedeutet das für mich: Nicht nur über unterschiedliche Karrierewege oder Berufe reden, sondern sich das ganze direkt anschauen. Wenn man beispielsweise einen Betrieb wie unseren besucht und sich anschaut, was wir alles mit einem Werkstoff herstellen können, zeigt das doch viel besser, was den Beruf und die spätere Arbeit ausmacht, als der Abschlusstitel.
Beton ist dafür wirklich ein gutes Beispiel, weil wir damit nicht nur Bodenplatten machen – eigentlich können wir jede beliebige Form herstellen. Dazu muss man aber wissen, wie Schalungen funktionieren und wie Sichtbetonarbeiten entstehen – das muss einem gezeigt werden.
Jonas: Auch die Berufswettbewerbe sind ja eine tolle Gelegenheit dafür, bei den Bauberufen kann man sogar vorbeischauen. Da sieht man nicht nur den hohen technischen Anspruch unserer Berufe, sondern eben auch, dass es nach dem Abschluss noch eine ganze Reihe von Zielen gibt, die man sich selbst setzt und auf die man hinarbeiten kann. Das finde ich ganz wichtig für andere junge Menschen.
Du sprichst die Berufswettbewerbe an: Ihr habt Beide am PLW teilgenommen und tretet jetzt als Team bei den WorldSkills an – wie seid Ihr dahingekommen?
Jule: Ich habe direkt nach dem Innungssieg angefangen, mich auf die weiteren Ebenen vorzubereiten, weil ich mir gesagt habe: Wenn ich teilnehme, will ich auch das Maximum herausholen – und mich nicht später ärgern, dass ich mehr hätte leisten können. Aber dass ich so weit komme, hätte ich nicht gedacht. Der Landessieg hat mich ehrlicherweise schon etwas überrascht. Entsprechend war mein Respekt vor der Bundesebene schon ziemlich groß.
Jonas: Das ging mir ähnlich, denn man erhofft sich natürlich, möglichst weit zu kommen. Aber gerade am Ende meines Wettkampftages war ich mir etwas unsicher: Hier hat mal ein Schnitt nicht gepasst, da hat mal ein bisschen was gefehlt. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass es schon für einen der vorderen Plätze reicht, aber nicht für’s Podest. Als mein Name dann bei der Siegerehrung fiel und ich den zweiten Platz geholt habe, war ich also erst einmal ziemlich überrascht – aber auch wirklich glücklich.
Ich hatte 2017 dann das Glück, dass die Nationalmannschaft nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Bundessieger angesprochen hat. So bin ich ins Nationalteam gekommen, in das Jule dann nach ihrem Sieg 2019 auch dazustieß.
Jule: Ich wusste vorher tatsächlich gar nicht, dass es so eine Weltmeisterschaft gibt – und schon gar nicht, wie groß sie ist! Es ist wirklich beeindruckend, wie die WorldSkills aufgezogen werden, weil es fast wie eine Olympiade ist. Nach meinem PLW-Sieg haben mir die anderen aus dem Nationalteam davon erzählt und ich dachte mir direkt: diese Chance? Darfst du dir auf keinen Fall entgehen lassen!
Ihr tretet als Team an. Wie habt Ihr euch eingespielt und was erwartet Euch bei den WorldSkills?
Jonas: Wir kennen uns jetzt seit April und sind da direkt in die erste Trainingswoche gestartet. Da haben wir uns die Aufgabe aus dem Vorjahr angeschaut und durchgespielt, was uns die Gelegenheit gegeben hat, zusammenzufinden. Wie arbeitet jeder, wie gut kommuniziert man miteinander? Das ist ziemlich wichtig, damit man auch unter dem extremen Zeitdruck immer mit-, nie gegeneinander arbeitet. Bei uns hat sich das Zusammenspiel aber wirklich von Trainingswoche zu Trainingswoche gesteigert.
Bei den WorldSkills selbst werden wir dann acht Tage vor Ort sein, drei Tage davon nimmt der Wettbewerb selbst ein. Was genau auf uns zukommt, wissen wir natürlich noch nicht. Genauso, was die Konkurrenz angeht: Wir wissen, dass viele andere Nationalmannschaften ziemlich stark sind. Aber ein direkter Vergleich ist vorher nicht möglich.
Jule: Die WorldSkills sind auf jeden Fall nochmal eine deutliche Steigerung. Der Wettbewerb dauert länger, die Arbeitsweise ist eine ganz andere Nummer, weil man eigentlich durchgehend rennen muss. Und auch die Bewertung ist deutlich strenger, sodass man nochmal ganz anders auf die Maße achten muss. Aber: Ich weiß, dass wir gut vorbereitet sind.
Jonas: Genau! Und am Ende kommt es ja doch ganz oft auf die Tagesform an. Wir werden auf jeden Fall unser Bestes geben und schauen, was dabei rauskommt – das Ziel ist die Goldmedaille. Aber sollte es weniger werden, sind wir um eine riesige Erfahrung reicher.
Welche wichtigen Erfahrungen habt Ihr durch die Berufswettbewerbe noch gesammelt?
Jule: Der Austausch ist für mich etwas ganz Besonderes: Da sind andere junge Leute im gleichen Alter und mit demselben Interesse, da wird ganz viel und auf wirklich hohem Niveau gefachsimpelt. Deswegen ist es für mich nicht nur der Wettbewerb an sich oder der Zeitdruck, sondern vor allem dieser Vergleich, der einen herausfordert und wachsen lässt: Wer hat da was gemacht, was lief dort besser? Man lernt ein wirklich hohes Niveau kennen – und auch nach der Gesellenprüfung nochmal deutlich dazu.
Jonas: Ich bin zum Beispiel auch einfach ein schlechter Verlierer, das muss ich ehrlich zugeben. Niederlagen gehören dazu, aber ich gewinne deutlich lieber. Deswegen würde ich auch, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, nur eine einzige Kleinigkeit ändern: Ich würde noch ein bisschen mehr Gas geben.
Was würdet Ihr also anderen jungen Menschen raten: Warum lohnt sich die Ausbildung im Handwerk?
Jonas: Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren! Und möglichst viele Gelegenheiten nutzen, sich zeigen zu lassen, wie vielseitig die Berufsbilder sind – nicht nur durch Praktika, sondern vielleicht auch, indem man als Schulklasse mal bei einem der PLW-Wettbewerbe vorbeischaut.
Jule: Wenn ich den ganzen Tag damit verbringen müsste, einen Bildschirm anzustarren, wäre ich deutlich müder als nach einem Arbeitstag auf der Baustelle. Und ich glaube, es gibt noch deutlich mehr junge Leute, denen es ähnlich geht, und die bei uns besser aufgehoben wären. Deswegen ist es wichtig, immer wieder zu betonten, dass der Spruch "Handwerk hat goldenen Boden" wirklich stimmt: Ohne Handwerk könnten die Leute doch gar nicht leben – wir werden immer gebraucht!