Den Familienbetrieb umkrempeln
Jeden Tag im Büro schaut Bianca Rosenhagen auf den Eiffelturm. Sie braucht nur den Blick zu heben über die beiden großen Computerbildschirme auf ihrem Schreibtisch, und da ist er an der Wand, riesengroß, fast vom Boden bis zur Decke, dieses womöglich berühmteste Wunderwerk des Metallbaus. Jeder kennt den Turm, aber nicht unbedingt aus dieser Perspektive: Das Schwarzweiß-Foto ist von unten aufgenommen, der Blick geht in die Höhe, am Turm vorbei in den Himmel.
Das Entscheidende ist: der Veränderung positiv entgegensehen und bei sich selbst beginnen.
Einen "anderen Blickwinkel", den hat seine Frau mitgebracht, sagt Heiko Rosenhagen, "eine andere Kultur". Als sie 2012 in den Betrieb einstieg, wollte sie ihren Mann unterstützen, hatte aber eigentlich vor, nach einem Jahr in ihren alten Beruf zurückzukehren. Das ist sie dann aber nicht. Stattdessen haben die beiden zusammen Rosenhagen Metall umgekrempelt und aus dem Familienunternehmen einen Vorzeigebetrieb gemacht.
Das mit dem Vorzeigebetrieb haben die beiden schriftlich. Die im niedersächsischen Burgwedel ansässige Firma, die für Privat- und Großkunden alles fertigt und montiert, was man aus dem Werkstoff Metall herstellen kann – von der Treppe übers Geländer bis zum Balkon –, ist von Krankenkassen, Wirtschaftsverbänden, Versicherungen und dem Niedersächsischen Wirtschaftsministerium für ihr Gesundheitsmanagement ausgezeichnet worden. Aber die Transformation ging noch tiefer.
Und nahm ihren Ausgang 2003. Damals starb Heinz Rosenhagen: Sohn Heiko übernahm den von Opa Ernst 1952 gegründeten Betrieb, den sein Vater und Opa bis dahin zusammen 'als Doppelspitze' geführt hatten. Neun Jahre später stellte Bianca fest, dass "mein Mann viel zu viel Stress hatte". Gern erzählt sie die Geschichte, als sie einmal eine halbe Stunde mit ihrem Mann unterwegs war, "und er anschließend 37 Anrufe auf der Mailbox hatte". Da kam der Entschluss, ihn zu unterstützen: Ein Jahr lang wollte sie ihm unter die Arme greifen, um dann wieder zur Lebenshilfe zurückzukehren, wo die 1970 geborene Physiotherapeutin Erfüllung gefunden hatte in der Arbeit mit Kindern mit Einschränkungen.
Doch sie ist geblieben – bis heute. Geblieben ist auch die etwas andere Sichtweise auf die althergebrachten Arbeitsabläufe, der neue Blick auf das Handwerk. "Meine Ausbildung und meine Erfahrungen bei der Lebenshilfe haben mir hier geholfen, manches anders zu denken. Ich habe hier erst mal alles umgedreht, das mache ich gern", sagt sie und lacht.
Wie die schmale Frau mit den hellblonden Haaren, die längst regelmäßig Vorträge über Change-Management bei Berufsgenossenschaften oder Krankenkassen hält, überhaupt oft lacht. Ihr Mann – dunkler und fast zwei Köpfe größer – ist da zurückgenommener, lässt sich Gedanken ordnend ruhig Zeit, bevor er antwortet. Oder etwas aufmalt, zum Beispiel wenn man ihn fragt, was er und seine Frau vor allem im Betrieb geändert haben. Auf dem Zettel, den er dann über den Bürotisch schiebt, ist das Organigramm seiner Firma: Oben ist ein Kästchen, in dem "GF" steht, direkt darunter auf einer Ebene alle anderen Kästchen. "Bei uns sind die Hierarchien so flach wie möglich", erklärt Heiko Rosenhagen seine Zeichnung. "Was wir geändert haben? Vor allem die Kommunikation."
Jeden Morgen um sieben Uhr lädt Heiko Rosenhagen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Fertigung zur Morgenrunde. Dann stehen alle in der 4.500 Quadratmeter großen Werkhalle nah beieinander im Kreis und tauschen sich aus. Wie war der vergangene Arbeitstag? Was steht heute an? Was können wir anders machen, besser machen? Um acht Uhr findet dasselbe noch einmal im Konferenzraum mit Vertrieb und Konstruktion statt.
Zusätzlich werden alle zwei Jahre anonyme Umfragen in der Belegschaft durchgeführt. Und Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft werden gehört und umgesetzt. Die Idee, alle Arbeitsplätze gleich auszustatten, kam von drei jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nun findet jede und jeder überall nahezu dieselbe Ausstattung vor, unnötiges und zeitfressendes Suchen nach Werkzeug entfällt.
Sogar eine eigene Betriebs-App hat sich Rosenhagen Metallbau geleistet für die gut 40 Angestellten, von denen 14 Azubis sind. Über das Handy konnte man Urlaubspläne einsehen, sich absprechen, anonym in einen Kummerkasten sein Anliegen ablegen. Aber: Die App hat sich nicht durchgesetzt, wurde kaum genutzt. "Wir haben schnell gemerkt, dass wir die gar nicht brauchen, weil unsere Kommunikation mittlerweile so gut läuft", sagt Bianca Rosenhagen, "und dass zu einer positiven Weiterentwicklung eines Betriebs nicht nur der Wille zur Veränderung gehört, sondern vor allem auch die Bereitschaft sich einzugestehen, wenn eine Idee vielleicht doch nicht so gut ist wie gedacht."
Für manche Veränderungen aber braucht man einen langen Atem. Als die Werkhalle erweitert wurde, bestand Bianca Rosenhagen darauf, dass der neue Umkleide- und Duschtrakt für die Frauen genauso groß gebaut wird, wie der für die Männer – obwohl es zu diesem Zeitpunkt gar keine Metallbauerinnen in der Firma gab. "Wenn ich den Trakt kleiner geplant hätte", sagt sie, "dann hätte das bedeutet, dass ich auch nicht daran glaube, dass die Frauen kommen. Dann hätte ich nicht voll dahintergestanden."
Und sie kamen. Jahre später sind Frauen im Blaumann kein exotischer Anblick mehr bei Rosenhagen Metallbau. Zwei weibliche Auszubildende und eine Gesellin gibt es aktuell in der Fertigung – und eine Meisterin: Pia Rosenhagen, die Tochter von Bianca und Heiko. Auch Sohn Ben ist Metallbaumeister – und beide Kinder haben Lust, den Betrieb zusammen in der Zukunft zu führen. Bianca Rosenhagen freut sich natürlich, dass die Nachfolge schon geregelt ist: "Das ist ja nicht selbstverständlich in der heutigen Zeit, aber unser Vorbild und der Kulturwandel haben wohl Lust auf Verantwortung gemacht."
Die moderne Kommunikationsstruktur und flache Hierarchien haben auch Menschen den Weg in unseren Betrieb geöffnet, die in anderen Betrieben erst gar nicht eingestellt worden wären.
"Eins habe ich vor allem von meiner Frau gelernt: Jeder Mensch hat Stärken", sagt Heiko Rosenhagen. Menschen mit Problemen im sozialen Umfeld bekommen bei Metallbau Rosenhagen eine Chance, ihre Stärken zu zeigen und zu entwickeln. Auch ein syrischer Geflüchteter, der 2017 als Praktikant bei Rosenhagen begann, leitet nach erfolgreicher Ausbildung mittlerweile als Abteilungsleiter den Zuschnitt. Und seit April 2022 integriert der Betrieb auch einen ukrainischen Mitarbeiter. "Das läuft gut", sagt Bianca Rosenhagen, die sich in der Lokalpolitik engagiert und sich wünschen würde, dass bürokratische Hürden abgebaut würden: "Durch Arbeit lernt ein Geflüchteter doch viel besser die Sprache und integriert sich besser, als wenn er 600 Stunden Integrationskurs absolvieren muss, bevor er arbeiten darf."
Wenn Bianca und Heiko Rosenhagen, die seit 1995 verheiratet sind, heute auf ihren Betrieb schauen mit seiner jungen und diversen Belegschaft, mit seiner positiven Fehlerkultur und seiner Integrationsfähigkeit, dann wissen sie, wo sie herkommen, aber auch, dass sie gut gerüstet sind für die Herausforderungen der Zukunft. "Das Entscheidende ist: der Veränderung positiv entgegensehen und bei sich selbst beginnen", sagt Bianca Rosenhagen. Ihr Mann nickt zustimmend: "Wir bleiben nicht nur ein Familienunternehmen, wir sind eine Familie."
Jahrbuch 2023
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2023 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt auf, wie mit dem geballten Können von Handwerkerinnen und Handwerkern Zukunft gestaltet wird.