Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Der Seismograf der Gesellschaft

Bestattermeister René Strawinski unterstützt mit Empathie Trauernde und fördert eine bewusste Bestattungskultur. Neben seiner Arbeit engagiert er sich international bei Katastropheneinsätzen und setzt sich für die Anerkennung seines Berufes ein.
Bürogebäude der Bestatter.

Es ist ein besonderer Beruf. Er löst Beklommenheit aus bei vielen Menschen. Sie assoziieren düstere Bilder. Da kommen Gedanken und Gefühle hoch, die wir in unserer Gesellschaft gerne weit wegschieben. Dabei geschieht es jeden Tag: Menschen sterben und nicht alle sind alt und lebenssatt. Der Tod kann Kranke erlösen, er nimmt aber auch Gesunden das Leben. Zurück bleiben Menschen, die trauern.

Menschen, die zunehmend nicht mehr so recht wissen, wie das geht. Die Trauer und Tränen nicht zulassen, lieber verdrängen wollen. René Strawinski führt seit 23 Jahren ein Bestattungsunternehmen in der Hansestadt Havelberg, einer Kleinstadt im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt. Dort, in dem hellen, freundlichen Gebäude registriert er wie ein Seismograf, wie die Gesellschaft sich wandelt und dass oft die Worte fehlen, wenn es ums Sterben geht. Zum Glück kommen Menschen wie René Strawinski ins Spiel. Er und seine drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regeln formale und organisatorische Fragen – und eröffnen damit Freiraum für Hinterbliebene, Trauer zuzulassen.

Trauer-Knigge online nachzulesen

René Strawinski im Büro.

Weil der Bestatter eine zunehmende Hilflosigkeit seiner Kundschaft registriert, bietet er auf der Webseite seines Unternehmens Orientierung an: Unter dem Stichwort Trauer-Knigge wird erläutert, wie Mitgefühl ausgedrückt werden kann. Es finden sich auch dezente Hinweise zum Verhalten bei einem Trauergottesdienst. Ist Online-Nachhilfe für die Begleitung des letzten Weges mittlerweile nötig? René Strawinski lächelt fein und weist darauf hin, dass es selbst bei ihm auf dem Lande längst nicht mehr üblich ist, Verstorbene bis zu ihrer Beerdigung in ihren Wohnungen zu lassen. Obwohl die meisten Menschen sich wünschen, zu Hause zu sterben, sieht die Realität anders aus – gestorben wird meist in Krankenhäusern und Pflegeheimen. "So gibt es weniger Räume für die Erfahrung, dass Sterben zum Leben gehört. Kaum einer wagt es noch, Tote zu Hause aufzubahren oder die Totenwäsche selbst zu übernehmen“, erzählt René Strawinski.

"Die Angst und das Unbehagen nehmen"

Wie der letzte Weg sich anfühlt, weiß keiner. Selbst wenn der Tod von schwerer Krankheit erlöst, bleibt für die Hinterblieben der Verlust eines geliebten Menschen, die Ohnmacht und oft auch die Verzweiflung. "Keiner will den Tod sehen – aber unser Job ist es, dabei zu helfen, dem Tod zu begegnen. Wir sind da – wir begleiten, wir beraten und wir möchten vor allem auch die Angst und das Unbehagen nehmen“, sagt René Strawinski.

Was braucht es für seinen besonderen Beruf? "Empathie, ein Gespür für Menschen, ein sicheres Auftreten, das gleichzeitig auch von Zurückhaltung geprägt ist“, lautet die Antwort. Was ist für ihn das Beste in seinem Beruf? Da muss der Bestatter nicht lange nachdenken: "Der Umgang mit Menschen. Die Menschen machen es spannend. Und auch wenn ich nach 23 Jahren Berufsalltag manchmal denke, ich habe alles erlebt, werde ich noch überrascht von den Geschichten, die ich höre. Auch bin ich immer wieder berührt davon, dass die Menschen uns aufrichtig danken. Ernst gemeint und von Herzen – dann wissen wir, warum wir das machen."

Mehr Sichtbarkeit für diesen relevanten Beruf

René Strawinski würde sich wünschen, dass das Sinnstiftende seines Handwerks breiter in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Nicht nur, weil die ca. 3.200 Bestattungsunternehmen, die wie er im Bundesverband Deutscher Bestatter e. V. organisiert sind, sich über gute Nachwuchskräfte freuen. Er will seine Branche sichtbar machen. Gerade in einer Gesellschaft, die den Gedanken an Endlichkeit wegschiebt. Fast jeder Dritte stimmte bei einer Umfrage der Antidiskriminierungsbeauftragten der Bundesregierung im Jahr 2022 der Aussage zu: "Ältere sollten keine Last für andere und die Gesellschaft werden." Das hat der Gesellschafts-Seismograf René Strawinski längst registriert. Seit Jahren geht es in Vorsorgegesprächen um möglichst pflegearme Gräber. "Wir wollen die Kinder nicht belasten“, hört er dann immer.

Ich sage es ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wie die Zukunftsherausforderungen zu bewältigen sind. In Deutschland gibt es zu viele Baustellen.

Eine Branche mit Verantwortung

René Strawinski sieht seine Branche in besonderer Verantwortung für das Allgemeinwesen. Er ist will das Image seines Berufes aufpolieren, deshalb fördert er die Bestattungskultur und das Berufsethos. In seinem Unternehmen bildet er auch aus. Und er engagiert sich über Grenzen hinweg im Verein "DeathCare Embalmingteam Germany.“ Das ist ein gut 70-köpfiges ehrenamtlich engagiertes Profi-Team auf dem Gebiet der Versorgung Verstorbener, das bei Katastrophen angefordert wird, wenn eine hohe Zahl von Opfern zu versorgen ist. Dafür verlangt es keine Bezahlung. Das ist weltweit einzigartig! Für das professionelle Vorgehen sorgt das Know-how der Mitglieder. Viele haben zusätzliche Erfahrung aus Rettungsdiensten, Bundeswehr, Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk.

Wir tun das, was sich in unserem Unternehmen bewährt: Wir geben unser Wissen und unsere Erfahrung weiter und leben die Tugenden Fleiß, Zuverlässigkeit und Tatkraft vor.

Einsatz im türkischen Katastrophengebiet

Freiwillige Helfer bei der Naturkatastrophe in der Türkei.

So war der Bestatter aus Havelberg nach dem Erdbeben im Februar 2023 im türkischen Ort Kahramanmaraş im Einsatz. Die Erdbeben in der Türkei und in Syrien zählen zu den schlimmsten Naturkatastrophen der vergangenen hundert Jahre. Mehr als 57.000 Menschen fielen den Beben zum Opfer. Noch am 6. Februar, dem Tag, an dem die Erde erstmals bebte, bekundete das "Deathcare Embalmingteam Germany“ seine Hilfsbereitschaft gegenüber der Türkei. Das Team ist auf solche Einsätze vorbereitet: Ein Container mit Arbeitsgeräten und Materialien steht am Flughafen Münster-Osnabrück immer bereit. Schon am Freitag saß das erste Team im Flugzeug. René Strawinski löste als Einsatzleiter mit zehn Bestattern und einem Dolmetscher das erste Team eine Woche später ab. Er ist auch als Thanatopraktiker ausgebildet, das heißt er ist spezialisiert auf die Rekonstruktion verwundeter Körper und auf die Einbalsamierung Verstorbener: "An manchen Tagen mussten 150 bis 300 Verstorbene identifiziert und versorgt werden. Da ist natürlich auch unser Know-how in hygienischen Belangen gefragt“, so der Bestatter.

Wie geht er mit der hohen psychischen Belastung um? "Auch wir waren von den Bildern bewegt. Das Team fängt sich hier auch gegenseitig auf. Und man muss das erst einmal verarbeiten zu Hause. Wir entlasten die anwesenden Rettungsorganisationen vor Ort. Die örtlichen Helfer wissen die Verstorbenen, die sie in den Trümmern finden, bei uns in guten Händen. Wir nehmen den Einsatzkräften eine Last von den Schultern“, beschreibt René Strawinski. In Absprache mit der Regierung übergaben die Bestatter die Toten an ihre türkischen Kollegen. Diese konnten sich anschließend auf die Beisetzungen nach der islamischen Religion konzentrieren. Und wie auch in Havelberg, ist es der Dank der Hinterbliebenen, der motiviert. "So unterschiedlich auch Riten in anderen Nationen, Kulturen und Religionen sind – alle Trauernden freuen sich, lässt man sie nicht allein.“

Jahrbuch 2024

Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2024 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt unter dem Moitto "Neu denken. Zeit, zu machen." viele Positivbeispiele von Handwerkerinnen und Handwerkern in den Bereichen Transformation, Digitalisierung, Innovation und Gesellschaft.

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