Der Stimmungs-Schreiner
Alles begann 2020 in Ischgl
„Hier stimmt etwas nicht!“ Das sagte ihm sein Bauch. Maik Rönnefarth war erst einen Tag da, legte sich in sein Hotelbett und wusste: „Ich muss wieder heim.“ Am nächsten Morgen steigt er ins Auto und reist ab. Freunde und Geschäftspartner lässt er verdutzt zurück. Wie jedes Jahr hatten sie sich auf ihre gemeinsame Woche im Tiroler Skiort Ischgl gefreut. „Corona war in diesen Tagen Anfang März 2020 überhaupt kein Thema in dem Ort“, erinnert sich der 43-Jährige. Er hat keine Symptome, nur so ein Gefühl. Zuhause in Dernau zählt er schließlich als erster Corona-Infizierter im Kreis Ahrweiler. Zehn Tage später steht jeder Skilift in Ischgl still und der gesamte Ort als epidemiologisches „Superspreading-Event“ in den Medien.
Maik Rönnefahrt entscheidet eigentlich fast immer aus dem Bauch heraus und guckt mit seinen Händen. „Wir Schreiner fassen alles an, ertasten es, wir können gar nicht anders, wenn wir neue Räume betreten.“ Aber im Frühjahr 2020 hat er erst einmal nichts mehr zum Anfassen, nichts in der Hand, muss seine knapp 30 Mitarbeiter in der Werkstatt aus dem Homeoffice führen. Dass diese Quarantäne ihn zu einer Idee inspirieren wird, die zehntausende Familien über viele Lockdown-Monate im Jahr 2020 und 2021 hinwegtragen wird, ahnt er da noch nicht.
Er ist ein „Bauchgefühlmensch“
Rönnefarth sagt, er sei „ein Bauchgefühlmensch“. Ein Arbeitstier ist er aber auch. Weil er so viele Urlaubstage angesammelt hatte, schickte ihn sein damaliger Chef lieber auf die Meisterschule als den Urlaub auszubezahlen – das sollte sich als gute Investition in die berufliche Zukunft erweisen. 2004 macht sich Rönnefarth mit 28 Jahren selbstständig. Gemeinsam mit einem Gesellen gründet er die Schreinerei Rönnefarth. Ein grüner Holzwurm wird ihr Firmenlogo und ein ehemaliges Weingut schließlich ihre hochmoderne Werkstatt.
In der ersten Zeit kontrolliert seine Mutter noch die Geldflüsse. Doch selbst als sie ihren Sohn besorgt an den heimischen Küchentisch zitiert, wo sie das dünne Sparbuch entgeistert neben den Berg an Rechnungen legt, bringt das Rönnefarth nicht lange aus der Ruhe. „Ich wusste, ich habe zwei gesunde Hände. Ich wusste, ich kann arbeiten und Qualität liefern.“ Er ist überzeugt: Aufträge gibt es reichlich. „Doch wenn die Kunden mir die Tür aufmachten, schauten sie mich erstmal skeptisch an. Ihr Blick verriet: ‚So jung?‘ Die hatten alle noch das verstaubte Bild vom alten Meister Eder im Kopf.“ Den „Nagel“ hat er ihnen jedoch schnell gezogen.
Das Gemüt „der Menschen da draußen“ beschäftigt ihn schon immer – jetzt in der Quarantäne noch bewusster. „Die Situation der Eltern, darunter auch meine Beschäftigten, die nun während Corona Kinder Zuhause hatten und gleichzeitig arbeiten mussten, die schlechte Stimmung überall, das hat mich bewegt.“ Also nimmt er sich die Zeit, um etwas an die Hand zu geben, um Kindern die Zeit zu vertreiben und sie Eltern zu schenken. Seine Idee: die „Zeit-Vertreib-Kiste“.
„Die schlechte Stimmung überall, die hat mich bewegt.“
Kurz darauf stehen rollbare Holzkisten an sieben Standorten im Kreis Ahrweiler. Gut zu erreichen und so zu bedienen, dass Hygieneregeln eingehalten werden können. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Rönnefahrt „Holzwürmer“ nennt, bestücken sie mit Holz-Osterhasen und Farben zum Anmalen. Zum Dank bekommt die Schreinerei monatelang bemalte Exemplare und andere Bastel- und Backwaren hingestellt. „Ich habe beobachtet, wie die Eltern den Gang zur Kiste mit ihren Kindern richtig zelebriert haben. Und als ich mal eine nachfüllte, haben ein paar Kinder schon in einiger Entfernung gewartet. Die sind mir hinterhergelaufen und haben sich lauthals bedankt.“ Die kostenlose Kiste spricht sich schnell rum. Mehrere Arbeitstage müssen zur Produktion neuer Holzfiguren aufgewendet werden, doch die Freude der Kinder und Eltern ist ansteckend. Aus den Osterhasen werden im Laufe des Jahres Muttertags-Herzen, Nikoläuse und Sterne. Weitere Firmen beteiligen sich, spenden Holz, Lackdöschen, Stifte, Malbücher und Eisgutscheine für die Kisten. „Eine Schreinerei aus Nordrhein-Westfalen fragte mich, ob sie das Konzept übernehmen dürften. Das hat mich gefreut.“
Gemeinsam mit einem Kölner Geschäftsfreund starten die Holzwürmer schließlich noch eine ganz besondere Aktion: Sie lassen die Figuren aus der Zeit-Vertreib-Kiste von Kindern Zuhause bemalen, stecken sie in kleine Ostertüten mit Essen und Wein aus der Region und verteilen sie in einem Seniorenheim in Bensberg, westlich von Köln. „Wir haben mit dieser Aktion wirklich die alten Leute vor Freude zum Weinen gebracht. Das war schön!“ erzählt Maik Rönnefarth.
Dieser Beitrag erschien erstmals im ZDH-Jahrbuch 2021.