Eine Weltneuheit aus dem "Musikwinkel"

Reine Handarbeit. Alle Maschinen werden mit der Hand betrieben.
Foto: Werner Chr. Schmidt, Mundstücke und Metallblasinstrumente
Innovationen entstehen oft, wenn scheinbar unlösbare Probleme auftreten und Skeptiker unisono verkünden: "Das geht alles nicht!" Wenn dann jemand eine Idee hat, Zeit, Wissen und Leidenschaft in die Umsetzung steckt – dann kann Neues entstehen. So beginnt auch die Erfolgsgeschichte von Max Hertlein, der 2017 mit 23 Jahren seinen Meister im Metallblasinstrumentenbau absolviert.
Die Herausforderung

Foto: Werner Chr. Schmidt, Mundstücke und Metallblasinstrumente
Das Problem, vor dem er und seine ganze Branche stehen: Die europäische EU-Chemikalienverordnung REACH, die 2007 in Kraft getreten ist, stuft Nickel und Blei als gefährliche Stoffe ein. Die beiden Schwermetalle sorgen als Bestandteile von Neusilber oder Messing dafür, dass sich die Metalle gut bearbeiten lassen. Sie stecken bislang in jeder Trompete, Orgel oder Posaune. Andererseits kann Nickel Allergien auslösen, und Blei schädigt schon in geringen Mengen das Nervensystem. Auch wenn bei so gut wie allen Instrumenten schon jetzt mit mehrfachen Beschichtungen der direkte Kontakt mit diesen Metallen verhindert wird, waren die Handwerkerinnen und Handwerker verunsichert: Was bedeutete für sie das anstehende Verbot von Nickel und Blei?
"Das war eine existenzbedrohende Situation für viele in der Branche," erinnert sich Max Hertlein. Der Bundesverband der deutschen Musikinstrumentenhersteller konnte zwar eine Ausnahmeregelung bewirken, doch diese kommt alle zwei Jahre erneut auf den Prüfstand. "Das ist eine für unsere Branche sehr belastende Situation. So hat man keine Planungssicherheit. Gerade mich als jungen Menschen, der gerade ins Berufsleben startete, verunsicherte das", erzählt Hertlein. Eine Idee formte sich in seinem Kopf: eine Trompete aus reinem Kuper und einer speziellen Bronze. "Ich wollte etwas bauen, das funktioniert. Ich wollte ein Instrument fertigen, das auch Musiker mit Allergien bedenkenlos spielen können."
Es kann nicht immer nur um mehr Geld gehen, wenn wir über Arbeit reden. Handwerk heißt auch Leidenschaft und Zufriedenheit mit dem täglichen Tun. Dann erbringt man automatisch eine gute Leistung. Und wenn das Wollen da ist, ist eine hohe Sicherheit im Handwerk gegeben.
Die Lösung
Nun ist reines Kupfer butterweich wie Knete und lässt sich kaum stabil verarbeiten. "Viele sagten, das ginge nicht. Aber genau das war mein Ansporn", erzählt der junge Meister, der gemeinsam mit einem Gesellen im Betrieb seines Großvaters und Firmeninhabers Bernhard Schmidt arbeitet. In fünf Jahren Entwicklungsarbeit war gemeinsam mit seinem Großvater eine ganze Reihe an Problemen zu lösen. Wie bringt man das weiche Kupfer in eine stabile Form? Wie hält man das Metall dünn und gleichzeitig korrosionsbeständig? Mit dem gesammelten Wissen des Betriebs aus sieben Generationen und seinem handwerklichen Know-how hat es Hertlein geschafft, das Kupfer so zu verdichten, dass es diese Eigenschaften auch bei den 0,4 Millimeter dünnen Blechen für das Schallstück und den 0,5 Millimeter dünnen Rohren, Bögen und Ringen erreicht. Sogar die äußerst feinen Federn funktionieren aus reinem Kupfer.
Der Name war bei dem im typischen Kupferton glänzenden Instrument schnell gefunden: Die "la rossa"! Und für all jene, die sich eine andere Farbe wünschen, gibt es "la rossa" auch mit einer Gold- und einer Silberlegierung.
Weltweiter Erfolg

Foto: 21: Werner Chr. Schmidt, Mundstücke und Metallblasinstrumente
Die 2024 mit dem Sächsischen Staatspreis für Design und Innovation sowie dem Umweltpreis der Handwerkskammer Chemnitz ausgezeichnete Trompete hat alle Tests mit Bravour bestanden. Das Institut für Musikinstrumentenbau in Zwota hat bestätigt: null Prozent Nickel, null Prozent Blei – und eine Klangqualität, die überzeugt. "Berufsmusiker haben im Blindtest und einem schalltoten Raum die "la rossa" im Vergleich mit anderen Instrumenten auf die Probe gestellt", erläutert Max Hertlein. Das Ergebnis war eindeutig: Egal ob Tonansprache, Klangverhalten, Haptik oder Stimmigkeit – die Trompete überzeugte in allen Kriterien. Ein Musiker war so begeistert, dass er das Instrument gleich anschließend kaufte.
"Wenn ein Instrument komplett aus einem einzigen Metall besteht – in unserem Fall reinstes Elektrolytkupfer –, dann klingt es einfach besser," erklärt Hertlein. "Diese Trompete hält ewig. Wenn Sie sie nach 3.000 Jahren aus einer Pyramide holen würden, sie würde immer noch so aussehen. Nachhaltiger geht es nicht. Alle Teile sind einzeln austausch- oder reparierbar." Dem jungen Instrumentenbauer merkt man die Begeisterung für sein Handwerk sofort an: "Solche Instrumente verlieren nicht an Wert wie beispielsweise industriell hergestellte."
Für so viel Handwerkskunst sind die Kunden gern bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Die Bestellungen gehen aus der ganzen Welt ein. Max Hertlein kümmert sich eigenhändig auch um den Versand der Instrumente – egal ob nach Japan, in die USA, nach Costa Rica oder China. Er weiß deswegen auch aus leidvoller eigener Erfahrung, welche bürokratischen Hürden es zu überwinden gilt: "Ich kann verstehen, wenn junge Leute sagen, sich im Handwerk selbstständig zu machen, sei nicht mehr attraktiv. Die Bürokratie schreckt ab. Immer wenn ich wieder stundenlang Zolldokumente ausfüllen muss oder mich mit dem neuen Verpackungsmittelschutzgesetz herumplage, raubt mir das enorm viel Zeit. Viele aus meinem Meisterkurs hatten deswegen keine Lust auf einen eigenen Betrieb."
Handwerkerinnen und Handwerker wollen machen und nicht ständig neue Zettel und Formulare ausfüllen müssen.
Nachwuchs gesucht
Dabei braucht die Region um Markneukirchen, der sogenannte "Musikwinkel", dringend junge Menschen, die eine Ausbildung im Musikinstrumentenbau machen wollen. Die Region im Vogtland ist einer der bedeutendsten Standorte der Branche in Europa und Teil des immateriellen UNESCO-Welterbes.
Hertlein deutet aus dem hinteren Werkstattfenster, das einen traumhaften Blick über den kleinen Ort bietet: "Früher gab es in jedem zweiten Hinterhaus eine Werkstatt. Heute sind neben einigen wenigen Handwerkerinnen und Handwerkern nur noch ein paar große Hersteller hier. Viele der kleinen Betriebe haben keine Nachfolgerin oder Nachfolger." Selbst die Berufsschule im nahegelegenen Klingenthal – eine von nur zwei bundesweiten – hat oft Schwierigkeiten, genug Schülerinnen und Schüler für eine ganze Klasse zu finden. "Wir haben hier in unserer Werkstatt keine großen Maschinen. Es ist alles Handarbeit. Dieses traditionelle Wissen steht international hoch im Kurs." Max Hertlein zeigt auf die Fotowand mit Autogrammkarten von Profimusikern, die zu den Kunden gehören. Dazwischen hängt das Foto einer japanischen Händlergruppe, die die Werkstatt seit Jahren regelmäßig besucht. "Trotzdem: Das Handwerk hier in der Region hat ein großes Nachwuchsproblem."
Umso mehr hat es seinen Großvater Bernhard Schmidt gefreut, dass der Enkel schon früh in der Werkstatt mithalf und sein Berufswunsch schnell feststand: "Als ältester Mundstückhersteller der Welt fertigen wir seit 1842 hochwertige Mundstücke für alle Metallblasinstrumente. Zudem stellen wir seit über 30 Jahren Metallblasinstrumente wie Konzerttrompeten, Jazztrompeten, Wald- und Doppelhörner und Posaunen her. Auch Reparaturen und historische Restaurationen von Metallblasinstrumenten gehören zu unserem Alltag. Die Tradition wird bei uns großgeschrieben, ist ein wichtiger Motivator in unserer täglichen Arbeit. Nur so können wir die hohe Qualität garantieren", erzählt der Senior. Und diese Leidenschaft für das Handwerk wird Zukunft haben. Es besteht Hoffnung: 2024 ist Max Hertlein Vater geworden.

Foto: 21: Werner Chr. Schmidt, Mundstücke und Metallblasinstrumente

Jahrbuch 2025
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2025 veröffentlicht. Das Jahrbuch steht unter dem Motto "Zukunft kommt von Können. Und wir können alles, was kommt." Es zeigt: Das Handwerk ist innovativ, vielfältig und kompetent und übernimmt gesellschaftliche Verantwortung.