Individuell geschustert, innovativ vermarktet
Es riecht gut bei Vickermann und Stoya. Wer das Maßschuh-Geschäft in der Baden-Badener Merkurstraße betritt, ist sofort umhüllt von diesem ganz besonderen Duft aus Leim und Leder. Hinter dem Kassenbereich führt eine steile Treppe hinauf in die Werkstatt und ins Lederlager. Und gleich links geht es in den Schauraum. Hier lagern in den bis zur Decke reichenden Regalen die hölzernen Leisten: immer schön paarweise, in all den verschiedenen Größen der Kundschaft. Dazwischen stehen in mit Samt ausstaffierten Vitrinen Maßschuhe der Firma Vickermann und Stoya: Slipper aus rötlichem Fischleder, Schnallenschuhe, Budapester, Haferlschuhe, Boots, Sneaker und viele mehr. Wie Schätze sehen diese Schuhe aus. Und ja, das sind sie auch. Um die dreitausend Euro kostet solch ein Paar in der Erstanfertigung. Sechzig bis achtzig Arbeitsstunden braucht es, um ein solches Paar aus besten Materialien zu fertigen.
Wer nur wartet, auf den wartet keine anderer. Es ist wichtig, sein Können immer weiter zu vertiefen und dabei zu verstehen, was Kundinnen und Kunden möchten.
In der zweiten Etage des verwinkelten Fachwerkhauses, in dem Werkstatt, Vertrieb und Verkauf untergebracht sind, sitzt Martin Stoya an einem Holztisch und erzählt seine Geschichte. Geboren vor 49 Jahren in Sachsen-Anhalt, hat er als junger Mann Orthopädieschuhmacher gelernt. Er wollte mit selbst etwas herstellen – mit seinen Händen, wollte diesen Schaffensprozess von der Idee bis zum fertigen Produkt in seinen Händen haben. Das Schuhmacher-Handwerk schien ihm dafür geeignet. "Ich habe bei erfahrenen Meistern gelernt, konnte mich ausprobieren und" – Stoya lächelt bei der Erinnerung daran – "auch ein bisschen lernen, wie man es vielleicht auch besser machen könnte."
Mitte der Neunzigerjahre ist er nach Baden-Baden gezogen, um für einen dortigen Maßschuhmacher zu arbeiten. 2004 hat er dann seinen heutigen Geschäftspartner Matthias Vickermann kennengelernt, nur ein Jahr später 2005 haben die Beiden die Schuhmanufaktur Vickermann und Stoya gegründet. Vorsichtig, Schritt für Schritt, haben sie angefangen. Heute, siebzehn Jahre später, bilden sie gemeinsam mit zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Handwerksbetrieb, der in der Stadtgesellschaft längst fest verankert ist. Das dürfte auch daran liegen, dass hier die Kombination gelingt - von einem handwerklich herausragenden Angebot und einer dabei stark an den Wünschen der Kundinnen und Kunden orientierten Arbeit. Das heißt, immer wieder zu schauen, wo die Bedürfnisse der Kundschaft liegen, wie sich diese verändern. Und dann auch zu überlegen, was das für den Betrieb, für das eigene Handwerk bedeutet. Die Zeichen stehen auf Umdenken: "Wer nur wartet, auf den wartet kein anderer", umreißt Martin Stoya diese Geschäftsphilosophie.
Für Stoya ist es wichtig, sein Können immer weiter zu vertiefen und dabei zu verstehen, was seine Kundinnen und Kunden möchten und brauchen. Es sind vor allem Individualisten, die sich bei Vickermann und Stoya Maßschuhe anfertigen lassen, die Wert legen auf Qualität und Langlebigkeit. Und die sich durchaus für das Handwerk und das Können interessieren, das damit verbunden ist. Ein Können, das über Jahrhunderte überliefert worden ist.
Man spürt: Martin Stoya liebt sein Handwerk. Einen Schuh zu fertigen, sei sicherlich keine ganz und gar neue Erfindung. Und zu versuchen, krampfhaft über Farbe oder Material die Einzigartigkeit herauszustellen, das gehe erfahrungsgemäß schief. "Es sind die individuellen Details, die den Unterschied machen." Gerade auch im Vergleich zu industriell gefertigten Schuhen. Und welche das sein sollen, danach werde gemeinsam mit der Kundin oder dem Kunden gesucht. "Manchmal frage ich, warum ein bestimmter Schuh gefällt, ein anderer aber nicht. Das muss man aus den Kundinnen und Kunden herauskitzeln." Wichtig sei natürlich auch die spätere Verwendung des Schuhs. Für einen Büroschuh sei eine weiche Ledersohle gerade richtig, ein Stadtschuh brauche die dämpfende Gummisohle. Über all das müsse gesprochen werden. Martin Stoya kann das und mag das. "Je besser sich der Kunde öffnet, desto besser wird dann der Schuh."
Zum Angebot der Schuhmanufaktur gehört auch, Schuhe zu reparieren, die man nicht selbst gefertigt hat. Wer nicht vorbeikommen will, der kann vom Sneaker bis zum Golfschuh alles einschicken. Dafür wurde eigens die Online-Schuhreparatur-Seite shoedoc.de entwickelt. Die wird immer wieder im Sinne der Kundenfreundlichkeit nachjustiert. Mit wenigen Klicks können die Reparatur-Wünsche eingegeben werden, und der Preis wird gleich errechnet. Shoedoc schickt dann eine Transportbox ins Haus. Und schon kurze Zeit später kommen die Schuhe dann repariert wieder zurück. Offenbar zur Zufriedenheit vieler Kundinnen und Kunden, denn beim nächsten Mal haben nicht wenige von ihnen auch gleich noch die Schuhe ihrer Familie mitgeschickt.
Unser Handwerk ist praktizierte Nachhaltigkeit. Wir setzen auf Qualität und Langlebigkeit und orientieren uns an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden.
Genau das ist für Martin Stoya praktizierte Nachhaltigkeit. Vor der Industrialisierung des Schuhhandwerks, sagt er, wurden Schuhe über Jahre, mitunter jahrzehntelang getragen. Mittlerweile werden industriell gefertigte Schuhe nach durchschnittlich einem Dreivierteljahr entsorgt. Dem setzen Vickermann und Stoya Qualität und Langlebigkeit entgegen. Ein bei ihnen gefertigtes Paar kann bei guter Pflege und fachmännischer Reparatur gut und gerne zwanzig Jahre getragen werden. Darauf sind sie stolz. Etwas richtig gut zu können, sagt er, sei enorm befriedigend. "Ich möchte deshalb auch, dass es weitergeht mit unserem Handwerk." In Baden-Baden sind es die Beiden von der Schuhmanufaktur, die sich genau darum kümmern.
Jahrbuch 2023
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2023 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt auf, wie mit dem geballten Können von Handwerkerinnen und Handwerkern Zukunft gestaltet wird.