Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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KI-gestützter Fahrzeugschein-Scanner

Als Autowerkstatt und Start-up mit einer europaweit einzigartigen KI-Software lockt Autosiastik Oldtimerliebhaber, Tuning-Fans und Autoenthusiasten ebenso an wie Automobilhersteller, Versicherungsanbieter, Fuhrparkbetreiber und Ersatzteilehändler.
Die drei Geschäftsführer von Autosiastic

Die drei Geschäftsführer arbeiten unter einem Dach: Rasmus Wachsmuth, Timo Sternberg und Nikola Matović (v. l.).

Trifft man Timo, Nikola und Rasmus, ist man sofort beim Du. Der Werkstatthund "Pie" begrüßt alle schwanzwedelnd im gemütlichen Foyer mit Ledersofas, einer Mooswand mit Logo und den Motorrädern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Meisterurkunde und Zertifikate sind dezent in einer Ecke versammelt. "Wir sind wie eine große Familie, ein verrückter Haufen mit Benzin im Blut. Für uns bedeutet Arbeit nicht, dass man morgens schlecht gelaunt irgendwo hinmuss. Neben der Pflichterfüllung gehören auch Leidenschaft und Motivation dazu", beschreiben die drei das Arbeiten im 15-köpfigen Team der Autowerkstatt der Autosiastik GmbH von Timo Sternberg und Nikola Matović und des Start-ups Autosiastik Software GmbH mit Rasmus Wachsmuth als Gesellschafter.

Die Autowerkstatt liegt recht abgelegen am Rand eines Industriegebiets in Kaltenkirchen, einer mittelgroßen Stadt nördlich von Hamburg. Dennoch zieht sie Oldtimerliebhaber, Autoenthusiasten und Tuning-Fans aus ganz Deutschland an; ihr YouTube-Kanal hat über 53.000 Abonnenten. Und noch eine Besonderheit birgt der Betrieb: ein Start-up als zweite Firma unter gleichem Dach, das eine europaweit einzigartige KI-Software entwickelt hat – einen Fahrzeugschein-Scanner, den bereits etwa 25.000 Autowerkstätten nutzen können. Zu den Großkunden gehören Automobilhersteller, der TÜV Süd, Versicherungsanbieter, Fuhrparkbetreiber und Ersatzteilehändler.

Auf dem Weg zum gemeinsamen Betrieb durchlaufen der gebürtige Hamburger Timo Sternberg und der aus Serbien stammende Nikola Matović zunächst unterschiedliche Ausbildungen und Berufsstationen, aber gleich bei ihrer ersten Ausbildung zum Technischen Assistenten für Informatik lernen sie sich kennen. Doch trennen sich ihre Wege nach der gemeinsamen Ausbildungszeit erst einmal wieder.

Wir müssen uns selbst darum kümmern, digitaler zu werden. Deswegen können wir nur jedem Handwerker raten: Finde die Defizite deiner Branche, vernetze dich und packe das Problem selbst an!

Sternberg absolviert ein Einstiegsqualifizierungsjahr (EQJ) in einer Werkstatt und setzt dann noch eine Ausbildung zum Karosserie- und Fahrzeugbaumechaniker drauf. Bei der Deutschen Meisterschaft des Kfz-Handwerks wird er Erster seines Fachs. Noch während der Ausbildung macht er seinen Meister. Doch weil er noch einmal neue Wege gehen wollte, arbeitet er erst einmal im Hamburger Hafen als Hafenfacharbeiter.

Auch Matović macht noch eine weitere Ausbildung, wird Groß- und Einzelhandelskaufmann, schließt ein Fahrzeugbau-Ingenieurstudium ab, arbeitet beruflich erfolgreich bei mehreren Reedereien. Seine Leidenschaft sind jedoch Autos, speziell Oldtimer aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Er gründet eine kleine Werkstatt und verkauft schon bald seinen ersten selbst restaurierten Oldtimer, einen Citroën DS. "Ich wollte etwas machen, was mich wirklich glücklich macht. Und dieser Citroën sollte beweisen, ob ich das auch kann."

Auf einer Feier treffen sich Timo und Nikola wieder – und schnell steht fest, dass sie etwas zusammen machen wollen. Die erste Werkstatt ist noch "ein Loch in Hamburg-Bahrenfeld", wie sie es schmunzelnd beschreiben, doch beide wollten etwas machen, worauf sie "wirklich Bock hatten". Schnell wird aus dem Betrieb mehr als eine klassische Werkstatt.

2017 gründen sie die Autosiastik GmbH. Ihre Spezialität bis heute: Karosserieumbauten, Restaurierungen, Tuning und Unfallschäden. "Uns war ziemlich schnell klar, dass wir unsere Leidenschaft auch in den sozialen Medien zeigen wollen und dass die jungen Leute, die wir uns als Mitarbeitende wünschen, nicht mit klassischen Anzeigen zu finden sind. Ein professioneller Webauftritt musste her", erzählt Nikola.

Probleme analysieren und aktiv angehen

  • Ein Karosseriebau- und Fahrzeugbau-Geselle setzt die Kleberaupe zum Einsetzen einer neuen Frontscheibe.

    Karosseriebau- und Fahrzeugbau-Geselle Nikolas Ross setzt die sogenannte Kleberaupe zum Einsetzen einer neuen Frontscheibe.

  • Ein Auszubildendende setzen eine Autoscheibe ein.

    Auszubildender Lars Waller setzt eine Scheibe ein.

Probleme aktiv anzugehen, war auch der Ausgangspunkt, einen Fahrzeugschein-Scanner zu entwickeln. Rund ein Jahr lang managen Timo und Nikola 2019 eine große Fahrzeugflotte. "Timo verzweifelte fast daran, dass er ständig die 140 Fahrzeugscheine abtippen musste", erzählt Nikola lachend. "Hat man hier nur einen Zahlendreher, bestellt man schnell das falsche Ersatzteil." Da müsse es doch eine digitale smarte Lösung geben, dachten sich die beiden. Nikola erzählt: "Wir haben uns überlegt, dass ja nicht nur wir damit kämpfen. Eine einfache Rechenaufgabe: 230 Arbeitstage im Jahr, vier Minuten pro Fahrzeugschein. Nimmt man nur zehn Autos pro Tag, sind das jährlich über 153 Stunden, die eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nur damit verbringt, diese Daten einzugeben. Das ist wahnsinnig ineffizient, kostenverursachend und fehleranfällig." Eine erste Recherche ergab, dass es keine zufriedenstellende Lösung am Markt gab.

Um nach einer Lösung zu suchen, holen sich die beiden aus dem Freundeskreis den IT-Spezialisten Rasmus Wachsmuth dazu und tüfteln drei Jahre an einem Prototyp. "Der Fahrzeugschein wird als Blanko-Dokument von der Bundesdruckerei ausgegeben", erklärt Rasmus. "Die individuellen Angaben werden in den Behörden gedruckt. Da ist schon einmal die Schrift nicht auf der Linie, die Schriftarten unterscheiden sich, manchmal sind Buchstaben nur schwer lesbar. Das Dokument leidet, wenn es ständig in der Hosentasche getragen wird. Hier kommt die Vision-KI für maschinelles Sehen ins Spiel. Wir haben die Software mit Daten gefüttert und erreichen nun eine Trefferquote von nahezu 100 Prozent beim Auslesen. Natürlich alles datenschutzkonform auf ausschließlich deutschen Servern." Digitalfotos des Scheins können via App mit dem Smartphone oder einer Kamera erstellt und an die API-Schnittstelle übermittelt werden. Gefördert wurden die hohen sechsstelligen Entwicklungskosten von der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein (WTSH) und später auch aus EU-Töpfen. Als sie den Prototyp auf die Website gestellt hatten, kamen die Anfragen.

Was sind die Zukunftspläne?

Die Vision von Autosiastik ist der digitale Fahrzeugschein. Er hätte den Vorteil, dass man ihn jederzeit auf dem Handy fehlerfrei auslesbar dabeihätte und dass der Fahrzeuginhaber selbst sein Fahrzeug besser verstehen könnte. Zu diesem Zweck hat Autosiastik Software im Sommer 2023 eine B2C-Plattform gelauncht: www.fahrzeugschein.de. "Hier können User ihren Fahrzeugschein und alle Dokumente rund ums Auto hochladen und verwalten. Die Plattform zeigt auf einen Blick, welches Öl, welche Räder geeignet sind, was eine neue Versicherung kosten würde, was das Auto noch wert ist und welche Anfälligkeiten es hat", erklärt Rasmus. Die Daten kann man mit seinem Versicherer, Autoverkäufer oder seiner Werkstatt individuell teilen. Innerhalb von wenigen Wochen hatte die Seite bereits 10.000 Anmeldungen. Die Dienstleistung ist für die User kostenlos, Autosiastik verdient an der Kooperation mit einer Versicherungsvergleichs- und einer Autoverkaufsplattform.

Auch die Nachwuchsförderung liegt den drei Geschäftsführern am Herzen. Neben der Moderation von Wettbewerben und der Produktion von Imagevideos des Kfz-Fachverbands haben sie auch die Website www.carzubi-sh.de initiiert. Hier können junge Menschen nach einem Ausbildungsplatz in Schleswig-Holstein im Kfz-Gewerbe suchen. Davon profitiert hat auch der eigene Betrieb: Auf das Profil von Autosiastik meldeten sich zuletzt über 100 Bewerberinnen und Bewerber. "Auf unsere Azubis sind wir sehr stolz. Alle der letzten Jahre haben mit mindestens gut abgeschlossen", erzählt Timo. Autosiastik bildet Automobilkaufleute und Karosseriebauer, bald auch Kfz-Mechatroniker aus. Die Vernetzung der drei Autosiasten ist bemerkenswert: Timo engagiert sich ehrenamtlich als Pressesprecher der Kfz-Innung Bad Segeberg. Nikola ist Gastdozent am Institut für Automobilwirtschaft, einer Einrichtung der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen. Auch die Kfz-Werkstatt kann weiterwachsen, da das Gelände Ausbaupotenzial bietet. Und natürlich stehen hier wieder einige Oldtimer, die restauriert werden wollen. Ganz getreu dem Motto: Mach, worauf du wirklich Bock hast.

Ein weißer Mercedes-Oldtimer vor einer schwarzen Wand.

Oldtimer wie dieser Mercedes sind die große Leidenschaft der Autosiastik-Mitarbeitenden.

Jahrbuch 2024

Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2024 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt unter dem Moitto "Neu denken. Zeit, zu machen." viele Positivbeispiele von Handwerkerinnen und Handwerkern in den Bereichen Transformation, Digitalisierung, Innovation und Gesellschaft.

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