Kindern Klangwelten eröffnen
Wenn ein hörgeschädigt geborenes Kind zum ersten Mal etwas hört, ist das ein emotionaler Moment. „Bei den Eltern fließen dann die Tränen.“ Claudia Brömel, Hörakustikmeisterin aus Lübeck, hat diesen Moment schon oft erlebt. Sie und ihre Mitinhaberin Anja Fromm sind spezialisiert auf Sonderversorgungen. Dazu gehören Säuglings- und Kleinkindversorgungen mit Hörgeräten, Implantat- und Tinnitusversogungen sowie Audiotherapie.
Wohlige Atmosphäre geschaffen
Ihr Betrieb Auris Hörakustik liegt gar nicht weit vom Lübecker Universitätsklinikum entfernt. Die Ärztinnen und Ärzte dort wissen, wer ihren Patientinnen und Patienten nach der Entlassung zuverlässig helfen kann. Brömel und Fromm sitzen in ihrem Geschäft an der vielbefahrenen Ratzeburger Allee. Draußen tobt der Verkehr, drinnen herrscht eine freundlich entspannte Atmosphäre. Die 150 Quadratmeter sind hell gestrichen, die Arbeitsbereiche durch Glaswände getrennt. Im Wartebereich gibt es für die Kinder Spielzeug und Kaffee für ihre Eltern, im Hörstudio warten klingende Klötzchen auf die Kleinsten. Und im Pausenraum steht neben der Küchenzeile eine Liege, damit die vier Angestellten und die beiden Auszubildenden auch mal ihre Füße hochlegen können.
Zukunft selbst bestimmen
„Wir sind Chefinnen zu gleichen Teilen. Das ist bei uns wie in einer guten Ehe.“ Anja Fromm, Jahrgang 1985, lacht, als sie das sagt. Aber tatsächlich ist gut zu spüren, wie vertraut die beiden Frauen zusammenarbeiten. Kennengelernt haben sie sich vor 20 Jahren in der Firma. Damals gehörte Auris Hörakustik noch ihrem Vorgänger. Als der sich in den Ruhestand verabschieden wollte, hat er seinen Meisterinnen die Nachfolge angeboten. Sie sei ein wenig überrumpelt gewesen, als die Frage kam, erinnert sich Anja Fromm. Angestellte Hörakustikmeisterin zu sein, schien ihr bis dahin ausreichend. Aber der Gedanke, bald einen anderen Chef zu haben, behagte ihr auch nicht. „Da müssen wir selber ran“, sagte sie sich. Claudia Brömel ergänzt: „Allein Chefin zu sein, kam für mich nicht infrage. Ich hatte das Gefühl: Mit Anja, das passt gut. Wir haben uns immer sehr gut verstanden.“ Im Januar 2016 war es dann so weit: Brömel und Fromm wurden ihre eigenen Chefinnen.
Kundschaft wächst mit
Seit 1994 gibt es Auris Hörakustik bereits, 20 Jahre davon sind die beiden schon dabei. „Die Menschen, denen wir helfen – das ist es, was bleibt“, sagt Claudia Brömel. Viele der Kinder, denen sie einst zum Hören verholfen haben, sind längst erwachsen. Sie kommen inzwischen mit ihren Partnern und den Kindern in das Geschäft an der Ratzeburger Allee. „Von 0 bis 100 Jahren ist bei uns alles dabei“, sagt Anja Fromm. Sie erinnert sich an einen Jungen, der im Kindergartenalter sein erstes Hörgerät bekommen hat. „Mama, ich kann den Wind hören“, hat er damals gestaunt. Heute ist er Mitte 20 und nach wie vor ihr Kunde.
Gute Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum
Seit langer Zeit ist Auris Hörakustik spezialisiert auf die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern. Aber natürlich sind sie hier für Menschen jeden Alters da. Neben dem Anpassen von Hörgeräten gehört zu Fromms und Brömels Job auch die Tinnitusversorgung und die Audiotherapie, ein Training für Menschen, die schon lange unter Hörverlust leiden. Ebenso die hochmoderne Implantatversorgung. Im nahen Uniklinikum wird unter die Haut bis in die Hörschnecke ein sogenanntes Cochlea-Implantat eingesetzt, das den funktionstüchtigen Hörnerv stimuliert. Außen am Kopf sitzt dann der Sprachprozessor mit Überträgerspule. „Wir betreuen diese Patientinnen und Patienten mit der Nachsorge und Folgeanpassungen“, erklärt Claudia Brömel das Prinzip. „So was machen Akustiker eher selten; bei uns hier in der Gegend kaum einer.“
Einsatz von 3D-Scannern erleichtert die Arbeit
Es ist dieser Mix aus Technik, Handwerk und Kundenkontakt, den die beiden Frauen an ihrer Arbeit so lieben. Claudia Brömel, Jahrgang 1976, wollte eigentlich Augenoptikerin werden. Weil es in diesem Bereich damals keinen Ausbildungsplatz gab, sagte ein Berufsberater: „Werd doch Akustikerin, das ist so ähnlich, nur für die Ohren.“ Mit Menschen zu tun zu haben und handwerklich zu arbeiten, das gefiel ihr. Heute, sagt sie, sei nur noch wenig Handarbeit zu erledigen, dafür sei die Technik weit vorangeschritten. Statt wie früher die Ohrabformungen per Post zu verschicken, steht heute im Laden ein 3D-Scanner. „Die Daten verschicken wir übers Netz und binnen drei, vier Werktagen fertigt das Labor die Plastik. Das ist schnell und kostengünstig.“
Die Work-Life Balance stimmt
Anja Fromm hingegen wollte schon als junges Mädchen Akustikerin werden. Nach einem Schülerpraktikum bei Auris Hörakustik mochte sie am liebsten gar nicht mehr gehen. „Das Team und die Räume hier haben mir gleich gefallen“, erinnert sie sich. Mittlerweile ist sie Mitte 30 und die gute Atmosphäre ist geblieben. Es gehe ja nicht nur ums Geschäftliche, sondern auch um die Work-Life-Balance für alle, sagen die beiden Frauen. Ausschließlich Frauen arbeiten bei Auris Hörakustik, alle in Teilzeit. Es habe sich irgendwie so ergeben. Das klingt leichthin gesagt. Tatsächlich jedoch haben hier zwei Frauen etwas Bleibendes aufgebaut, das ihnen und allen anderen nützt.
Diese Handwerk-Story erschien zuerst im ZDH-Jahrbuch 2022.