Weibliche Nachfolge ins Rollen bringen
Ich ermutige Frauen, den Schritt ins Handwerk zu wagen. Denn viele Inhaberinnen und Inhaber möchten nach anstrengenden, aber erfolgreichen Aufbaujahren ihre Betriebe in fachkundige Hände übergeben.
"Manche nennen mich Frau Terpe. Aber das ist schon in Ordnung." Corina Reifenstein lacht, wenn sie davon erzählt. Die 55-Jährige ist seit 2010 Geschäftsführerin der Terpe Bau GmbH im Land Brandenburg. Da kann es schon mal vorkommen, dass Firmen- und Familienname verwechselt werden. So oder so, die Chefin weiß schon, wann sie gemeint ist. Im Prinzip: immer.
Corina Reifenstein – blondes Haar, Smartwatch und an diesem Tag ausnahmsweise im Business-Look – empfängt in ihrem Büro. Die Terpe Bau GmbH hat ihren Sitz in einer früheren LPG, einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Zu DDR-Zeiten gehörten zu solchen Betrieben auch Baubrigaden, die alle anfallenden Arbeiten erledigten. Corina Reifenstein – Maurerin mit Abitur – kam 1988 als Sachbearbeiterin zur LPG. Mit ihrem anschließenden Hochbau-Fernstudium an der Ingenieurschule für Bauwesen in Cottbus habe sie "in die Wende reinstudiert", erzählt sie. 1991, sie hatte den Abschluss gerade in der Tasche, wurde Terpe Bau gegründet. "Ich bin Gründungsmitglied", sagt sie stolz. Die Neunziger waren Zeiten großer Unsicherheit, in denen alle in diesem Lausitzer Betrieb gelernt haben, was es heißt, umzudenken.
Draußen im geklinkerten Treppenhaus und in den gelb gestrichenen Fluren des Firmen-Gebäudes hängen die Fotografien der Terpe-Bauten: Ein- und Zweifamilienhäuser, Verwaltungs- und Schulgebäude, sanierte Wohnblöcke und architektonische Kleinode – es ist alles dabei. Sorgfältig gerahmte Zeugnisse zeugen vom hohen fachlichen Können und der engen Verbundenheit zur Region und ihren Menschen. Die Lausitz ist überregional bekannt für ihre Braunkohlevorkommen.
Corina Reifenstein, Jahrgang 1967, hat schon als Jugendliche erfahren, was für eine Herausforderung Veränderung sein kann. Aber eben auch, welche Chancen ihr innewohnen. "Wenn etwas zu Ende geht, beginnt etwas Neues", ist sie überzeugt. Ihr Elternhaus, ihr ganzes Dorf wurde in den Achtzigerjahren umgesiedelt. Devastieren lautet der Fachbegriff dafür. "Das war keine Frage des Wollens, sondern des Müssens", erinnert sie sich an diese Zeit. "Wir wussten immer, wir sitzen auf der Kohle."
Heute stehen wieder Veränderungen an. In Sichtweite der Terpe GmbH befindet sich das Kraftwerk Schwarze Pumpe. Die zwei riesigen Türme inmitten der zerklüfteten Landschaft sind häufig in Zeitungen und Fernsehnachrichten zu sehen, seit die Bundesregierung 2018 bekannt gegeben hat, dass das Kraftwerk im Rahmen des Kohleausstiegs bis 2038 stillgelegt wird. Was von der Politik 'Transformation' genannt wird, bedeutet für die Menschen vor Ort ganz konkrete Veränderungen. Die LEAG, die als Energieunternehmen das Kraftwerk betreibt, war in den zurückliegenden Jahrzehnten einer der wichtigsten Auftraggeber für Terpe Bau "Wir haben aber zeitig verstanden, dass wir uns umorientieren müssen", schildert Corina Reifenstein den Prozess im Unternehmen. "Folgerichtig haben wir unser Wirkungsfeld ausgeweitet. Heute bauen unsere Leute in ganz Brandenburg, aber auch in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Sogar auf Mallorca steht inzwischen ein Wohnhaus von uns." Sie lächelt, wenn sie an dieses Projekt denkt.
Erhöhte Flexibilität ist das eine. Mindestens ebenso wichtig aber ist, wer die Arbeit tatsächlich macht. Corina Reifenstein versucht deshalb schon seit längerem, junge Menschen für das Handwerk zu gewinnen. Und zwar nicht nur in ihrer Funktion als Unternehmerin, wo sie acht Auszubildende hat, sondern auch als Präsidentin der Handwerkskammer (HWK) Cottbus. Von den 9.600 Handwerksbetrieben hier in Südbrandenburg werden über 4.000 von Personen geführt, die älter sind als 55 Jahre und die nach anstrengenden, aber erfolgreichen Aufbaujahren ihre Betriebe in fachkundige Hände übergeben möchten. Insgesamt begleitet die HWK Cottbus 120 Nachfolgen pro Jahr.
Corina Reifenstein übernimmt das auch gerne selbst. Als Frau in einer männerdominierten Branche ermutigt sie Schülerinnen und Studentinnen, den Schritt ins Handwerk zu wagen. Im zurückliegenden Sommer etwa hat der Lausitzer Nachfolge-Bus bei Terpe Bau Station gemacht. Den angereisten zwanzig Studentinnen der Technischen Universität Cottbus und den zwei Gymnasiastinnen an Bord hat sie ihre eigene Geschichte erzählt: Von einer Frau, die sich in ihrem Traumberuf immer weiterentwickelt hat. Noch heute kann sie fachgerecht eine Mauer hochziehen. "Und es macht mir Spaß", sagt sie mit leuchtenden Augen. Und wenn der Bauleiter Urlaub hat, vertritt sie ihn auch schon mal. "Da bin ich früh eben nicht im Büro, sondern auf der Baustelle." Die Männer wissen, dass die Chefin es kann.
"Fachkräfte werden jetzt überall gebraucht", sagt Corina Reifenstein in ihrem Büro. "Aktuell natürlich ganz besonders für die klimapolitische Wende. Aber egal welches Gewerk, ob als Heizungsbauer, Bäcker oder Augenoptikerin: Etwas mit den eigenen Händen zu tun und jemandem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern – das ist eine schöne Erfahrung." Man spürt: Ihr ist es wichtig, Zukunft und Vergangenheit zusammen zu denken. "Ich bin es noch von früher gewöhnt, nicht gleich alles wegzuwerfen", erläutert sie ihr betriebliches Nachhaltigkeitskonzept. "Bei Sanierungsobjekten retten wir alte Bauteile. Oft sind das handwerkliche Meisterstücke. Wenn meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter was Altes finden, stellen die das gleich zur Seite: Da soll erst mal die Chefin draufschauen." Es sei ihr, sagt sie, ein Bedürfnis, alte Dinge wertzuschätzen und in die Gegenwart zu retten. Corina Reifenstein, soviel ist klar, beherrscht ihr Handwerk und hat die Zukunft fest im Blick.
Fachkräfte werden jetzt überall gebraucht. Etwas mit den eigenen Händen zu tun – das ist eine schöne Erfahrung.
Jahrbuch 2023
Diese Handwerk-Story wurde zuerst im ZDH-Jahrbuch 2023 veröffentlicht. Das Jahrbuch zeigt auf, wie mit dem geballten Können von Handwerkerinnen und Handwerkern Zukunft gestaltet wird.