Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
21.06.2022

Betriebsnachfolgen frühzeitig vorbereiten

BMWK-Staatssekretär Kellner und ZDH-Generalsekretär Schwannecke sprechen in der "DHZ" über die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Betriebsnachfolgen im Handwerk für die Zukunft und die anstehenden Transformationsprozesse.
Ein Azubi repariert etwas an einer großen Maschine, ein Ausbilder schaut zu.

Was passieren muss, damit die rund 125.000 anstehenden Betriebsübergaben im Handwerk klappen, wichtiges Know-How bewahrt wird, und warum der 360-Grad-Blick unverzichtbar ist, erklären BMWK-Staatsekretär Michael Kellner und ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke im Doppelinterview mit Karin Birk und Steffen Range von der Deutschen Handwerks Zeitung (DHZ).

Herr Kellner, Sie sind auch Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung. Deshalb meine Frage: Weshalb ist es so wichtig, dass die Betriebsnachfolge im Mittelstand, im Handwerk gelingt?

Kellner: Ganz einfach. Wenn wir es nicht schaffen, Unternehmen zu erhalten und in der nächsten Generation fortzuführen, dann brechen uns wichtige Strukturen weg. Gerade im ländlichen Raum wäre das fatal. Deshalb ist es mir so wichtig, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Unternehmensnachfolge gelingt. Das ist eine riesige Aufgabe. Der demografische Wandel ist frappierend. Der Anteil derer, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, nimmt immer weiter zu. Und gleichzeitig kommen immer weniger nach.

Herr Schwannecke: Von welchen Größenordnungen sprechen wir? Wieviel Unternehmensnachfolgen stehen in den nächsten Jahren im Handwerk an?

Schwannecke: Wir rechnen damit, dass in den nächsten fünf Jahren im Handwerk rund 125.000 Betriebe zur Übergabe anstehen. Und wenn man weiß, dass jeder Betrieb durchschnittlich fünf, sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, dann reden wir ganz schnell von 600.000 bis 800.000 Beschäftigten bundesweit. Hinzu kommt, dass gerade in Ostdeutschland die erste Unternehmergeneration nach der Wende vor der Übergabeentscheidung steht. Das Thema hat hier eine ganz besondere Brisanz.

Der demographische Wandel ist das eine, die wirtschaftliche Lage das andere. Inwiefern erschweren die Krisen das Übernahmegeschehen?

Kellner: Als ich Mittelstandsbeauftragter geworden bin, hatte ich gehofft, dass wir im Ministerium noch die letzte Phase der Corona-Pandemie mit den Überbrückungshilfen begleiten und uns dann anderen Themen zuwenden. Dann kam alles anders. Ich hätte mir auch nicht ausgemalt, dass ich mir jetzt wöchentlich über Lieferkettenprobleme Sorgen mache. Die eine Woche sind es Stahlnägel, die nächste Woche ist es Bitumen, dann sind es gelbe Säcke, weil Kunststoffe fehlen. Die Zeiten sind schwierig und die Belastungen groß, das weiß jeder. Gleichwohl versuchen wir, Unternehmen zu helfen. Gerade haben wir beispielsweise die EEG-Umlage abgeschafft. Das dämpft zumindest den Preisanstieg beim Strom. Außerdem arbeiten wir an einer Gesetzesnovelle im Bereich Erneuerbarer Energien: Unternehmen, die in ihren eigenen Betriebsstätten grünen Strom erzeugen und verwenden, sollen faktisch keine Abgaben dafür bezahlen müssen.

Schwannecke: Die vergangenen anderthalb Jahre waren natürlich nicht dazu angetan, Mut zu machen. Schon ohne ein solch schwieriges Umfeld gilt es bei einer Übernahme eine Entscheidung zu treffen, die nicht nur mit Chancen, sondern auch mit Risiken verbunden ist. Jede und jeder sah und sieht, wie schnell sich auch gute Geschäftsmodelle nur noch schwer oder gar nicht mehr realisieren lassen und staatliche Hilfe nötig wird. Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt anders als zu Beginn der 2000er Jahre noch immer gut ist und Beschäftigte dort in Festanstellungen gut verdienen. Auch das macht den Schritt in die Selbstständigkeit – sei es als Gründung oder Übernahme - nicht leichter.

Herr Schwannecke, Herr Kellner: Was muss passieren, dass in einer solchen Lage trotzdem möglichst viele Übergaben klappen?

Schwannecke: In erster Linie geht es darum, die Erwartungshaltungen von Übergebenden und Übernehmenden in Übereinstimmung zu bringen. Das ist ein Riesenthema. Wer einen Betrieb aufgebaut hat, hat viel Herzblut hineingesteckt. Und wer nach dreißig oder mehr Jahren den Betrieb abgibt, erwartet auch eine Rendite für seine Arbeit. Das gilt insbesondere, wenn daraus die Altersvorsorge bestritten werden soll. Hier die Erwartungen abzustimmen, ist schwierig. Die Handwerkskammern und ihre Beraterinnen und Berater leisten hier viel bis hin zur Ermittlung des tatsächlichen Unternehmenswertes. Aber natürlich gibt es auch Enttäuschungen. Das weiß ich aus den Gesprächen mit den Beratenden vor Ort. Ganz wichtig ist auch, dass man sich frühzeitig mit der Frage der Unternehmensnachfolge, dem Abgeben und Loslassen, beschäftigt. Das heißt, nicht erst mit 65, sondern eher schon mit 55 mit den Überlegungen und Vorbereitungen beginnen. Auch hier können die Berater der Kammern helfen.  

Kellner: Eine Übergabe geht nicht von heute auf morgen. Sie braucht Beratung, Zeit und die Bereitschaft zum Kompromiss von beiden Seiten. Ich bin froh, dass die Kammern hier so viel Unterstützung bieten. Das ist etwas, was die Politik alleine nicht leisten kann. Die Politik kann nicht regeln, wer eine Tischlerei oder einen Kfz-Betrieb vor Ort übernimmt. Wir können nur die Rahmenbedingungen verbessern.

Inwiefern unterstützt die Politik die Unternehmensnachfolge?

Kellner: Indem wir etwa Nachfolgebörsen wie ,nexxt-change-org’ organisieren. Außerdem haben wir die Informationsplattform ,Nachfolge-in-Deutschland.de'  unterstützt. Hier gibt es leicht zugängliche Informationen zum Thema. Nicht zuletzt wollen wir so auch diejenigen ansprechen, die bisher nicht zu den klassischen Nachfolgern gehörten. Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. In dieser Zielgruppe haben wir sicher einen Nachholbedarf, was Unternehmensübernahmen angeht. Vielleicht ist der nächste Handwerksmeister vor Ort eine Handwerksmeisterin und vielleicht heißt der nächste Handwerksmeister nicht Müller sondern Özdemir. Wir müssen in alle Richtungen schauen. Wir brauchen einen 360-Grad-Blick.

Darüberhinaus haben wir 2019 das Förderprogramm  „Unternehmensnachfolge - aus der Praxis für die Praxis“ mit 30 Modellprojekten gestartet. Diese Projekte gilt es in absehbarer Zeit gemeinsam auszuwerten und Lehren daraus zu ziehen. Und natürlich ist mir auch klar, dass wir mehr Bürokratieabbau brauchen und mehr Rechtssicherheit was etwa die Mitnahme von Kundendateien angeht. Auch daran arbeiten wir.

Was ist der Handwerksorganisation wichtig?  

Schwannecke: Der 360-Grad-Blick ist entscheidend. Er sollte bis in die Schulen hineinreichen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, das Interesse für Selbstständigkeit, für Betriebe so früh wie möglich zu wecken und anzulegen. Wir versuchen das, indem wir in die Schulen gehen. Politik kann uns dabei unterstützen. Denn eines ist klar: Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass Übergaben vor allem in der Familie stattfinden. In den Modellprojekten und auch auf andere Weise versuchen wir, auf ganz unterschiedlichen Wegen und in ganz unterschiedlichen Formaten alle potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten anzusprechen. Wir gehen beispielsweise an Universitäten. Wir überlegen, wie wir Brücken für diejenigen Studenten bauen, die sich dort nicht richtig aufgehoben fühlen, aber vielleicht zum Handwerk passen. Eine Betriebsübernahme ist ganz klar eine Übernahme einer Führungsrolle.

Neben Bürokratie empfinden viele die Finanzierung als Hürde. Dies gilt insbesondere in Zeiten steigender Inflation und steigender Zinsen? Welche Unterstützung gibt es?

Kellner: Wie die Inflations- und Zinsentwicklung weitergeht, habe ich nicht in der Hand. Das hängt vom Fortgang des Krieges und der Lieferkettenproblematik ab. Klar ist aber, dass wir als Politik in Zeiten hoher Inflation und anziehender Zinsen die Förderbedingungen immer wieder nachjustieren werden. Das gilt für die KfW-Förderbank wie für Bürgschaftsbanken gleichermaßen.

Schwannecke: Die Bürgschaftsbanken und ihre Beteiligungsgesellschaften sind gut auf die Finanzierungspraxis der Unternehmen abgestellt. Das ist in der Vergangenheit sehr hilfreich gewesen. Neben der KfW und den Förderbanken der Länder sind sie eine wichtige Säule der Förderung.

Bleibt die Gretchenfrage: Würden Sie beide in diesen Zeiten ein Handwerksunternehmen übernehmen?

Kellner: Noch bin ich sehr glücklich in meinem Job. Diese Legislaturperiode bleibe ich auf jeden Fall dabei. Aber Spaß bei Seite: Wenn ich ein Unternehmen übernehmen würde, dann lieber eines, das schon am Markt ist. Wo man auf einer Erfahrung aufbauen kann. Das ist eine große Chance. Das finde ich an diesem Modell sehr attraktiv. Deshalb werbe ich dafür.

Schwannecke: Ich fühle mich auch wohl, bei dem was ich mache. Aber ich will nur sagen, dass ich meinen Neffen mit 26 Jahren ermutigen konnte, in die Selbstständigkeit als Tischlermeister zu gehen. Da ich selbst aus einer Tischlerfamilie komme, hat mich das sehr gefreut.

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