Bürokratieabbau beschleunigt Transformation
Einer von fünf Tagen geht nur für Bürokratie drauf, so beschreibt ZDH-Präsident Dittrich den Betriebsalltag für „BILD“-Redakteur Thomas Liebenberg: Diese Belastung verunsichere zunehmend auch junge Meisterinnen und Meister, sich auf den Weg zur Selbstständigkeit zu begeben und Betriebe zu übernehmen oder zu gründen.
Handwerkspräsident Jörg Dittrich über...
... Nachwuchssorgen und die Bildungspolitik:
„Da hat man sich jahrzehntelang zu einseitig darauf konzentriert, möglichst viele zum Abi und ins Studium zu bringen - mit dem Ergebnis, dass immer weniger eine berufliche Ausbildung gemacht haben. Das ist aus dem Ruder gelaufen, jetzt fehlen die handwerklichen Fachkräfte. Wir müssen hinkommen zu einer gleichwertigen Behandlung und Förderung von beruflicher Bildung und dem akademischen Weg nach dem Abitur. Das gibt’s aktuell nicht. Zwar gehen immer mehr Schüler aufs Gymnasium, gleichzeitig kommen dann aus den Real- und Hauptschulen oft junge Menschen raus, die die Grundfähigkeiten nicht haben, die wir brauchen: lesen, schreiben, rechnen – oder die gar keinen Abschluss haben. Viele sind gar nicht ausbildungsfähig. Das ist nicht hinnehmbar. Mit Werkunterricht ist es nicht getan. Schüler – auch am Gymnasium – müssen wieder haptische Arbeit kennen lernen. Zwei bis drei praktische Tage pro Schuljahr in einem Handwerksbetrieb … das muss doch möglich sein!“
... Arbeitskräftemangel und Zuwanderung:
„Nach der Wiedervereinigung gab es genug Arbeitskräfte, heute stehen selbst Fachkräfte aus Osteuropa kaum mehr zur Verfügung: wegen der Demografie! Wir brauchen eine Erwerbszuwanderung. Gezielt junge, integrationswillige Menschen anwerben und sie hier ausbilden. Denn die Fachkräfte, die wir brauchen, gibt es in vielen Ländern gar nicht. Finden Sie dort mal einen Elektroniker für Gebäudesystemintegration ...“
... Bürokratie und Bußgelder:
„Inzwischen geben vier von fünf ausgebildeten Handwerksmeistern an, sich nicht selbstständig machen zu wollen, weil sie keinen Nerv auf die ganze Bürokratie haben. Die Bürokratie würgt uns ab! Warum bauen Sanitär- und Heizungsinstallateure heute lieber ein Bad als 'ne Wärmepumpe? Weil sie keine Lust haben, hoch komplizierte Fördermittelanträge auszufüllen. Einer von 5 Tagen geht für Bürokratie drauf: Mir kommt es im eigenen Betrieb so vor, dass es manchmal sogar fast die Hälfte der Arbeitszeit von Betriebsinhabern ausmacht. DIN-Normen, was darf in welchem Material drin sein, Gefährdungsanalysen, Datenschutz, EU-Verordnungen ... Dazu kommt: Strafen gibt es nicht, wenn Du einen Fehler machst – Strafen gibt es schon, wenn Du nicht nachweisen kannst, dass Du keinen Fehler gemacht hast. Das ist etwa so, als müsse man als Autofahrer ein Bußgeld bezahlen, wenn man nicht beweisen kann, dass man in der Stadt tatsächlich nur 50 km/h gefahren ist.“
... Energiepreise und Investitionen:
„Wir stecken mitten in der Energiekrise und sind noch lange nicht durch! Und sie trifft nicht nur energieintensive Gewerke wie etwa Bäcker, Fleischer, Galvaniseure, Textilreiniger oder Metallbauer, sondern uns alle! Wenn große Industriebetriebe aus Deutschland wegziehen, weil sie hier wegen der hohen Energiepreise nicht mehr wettbewerbsfähig sein können, dann brechen dem Handwerk auch die Gewerbeaufträge weg. Dazu kommt die Unsicherheit, die Investitionen verhindert: Wenn ein Bäcker heute einen neuen Ofen kauft, dann muss der 20 Jahre halten. Da muss der Bäcker wissen, ob er den dann über diese Zeit noch mit Öl, Strom, Gas oder Wasserstoff heizen kann und darf!“
... Handwerker-Preise und Pleiten:
„Wenn Sie bauen wollen, dann bauen Sie jetzt – denn billiger wird's nicht! Aber wenn die Kosten weiter steigen, auf die wir keinen Einfluss haben, wie jetzt gerade wieder bei den Sozialabgaben, dann würgt uns das im lohnintensiven Handwerk ab, dann ist zu befürchten, die Schwarzarbeit zunimmt. Das will doch keiner. Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht einen Kipppunkt erreichen. Es gibt jetzt schon Kaufzurückhaltung. Es kann nicht sein, dass es sich beispielsweise eine Krankenschwester künftig nicht mehr leisten kann, wie bisher alle vier Wochen zum Friseur zu gehen, sondern nur noch alle zehn Wochen. Handwerksleistungen müssen bezahlbar bleiben.“
... Glück und Zukunft:
„Handwerk macht happy, denn es bietet die einzigartige Möglichkeit, Geist in Materie fließen zu lassen, täglich Sinnstiftendes zu tun und Bleibendes zu schaffen. Laut einer Studie der IKK classic sind nur 49 Prozent der Deutschen, aber 79 Prozent aller Handwerker glücklich in ihrem Beruf! Und das wird auch so bleiben. Technologie kann vieles leichter machen, den Handwerker wird sie nicht ersetzen. Versuchen Sie mal, ein verstopftes Waschbecken mit künstlicher Intelligenz frei zu kriegen ...“