Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
22.01.2025

"Das Handwerk ist eine Zukunftsbranche!"

ZDH-Präsident Dittrich warnt bei Igor Steinle (Neue Berliner Redaktionsgesellschaft) davor, dass ohne ein Überwinden des bestehenden 'Veränderungsnotstandes' in unserem Land Wirtschaft und Handwerk nicht aus der Krise kommen werden.
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Herr Dittrich, wie optimistisch sind Sie für das Jahr 2025?

Wirtschaft ist auch Psychologie. Ich will sie nicht schlechtreden, um keine selbsterfüllende Prophezeiung zu fördern. Aber Fakt ist doch: Die Lage ist nicht gut, die Wettbewerbsfähigkeit nimmt ab. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Doch was ist? Wir haben einen Veränderungsnotstand. Schlimmstenfalls haben wir erst im Herbst einen neuen Haushalt und eine wirklich handlungsfähige Regierung. Optimismus zu verbreiten, fällt da schwer.

Laut Allensbach befürchten 44% der Deutschen, dass das Land seine besten Tage hinter sich hat. Ist die Stimmung im Handwerk ähnlich düster?

Warum sollte es im Handwerk anders sein als in der übrigen Gesellschaft? Es gibt ein schönes chinesisches Sprichwort: "Wenn wir den Weg weitergehen, den wir gerade gehen, kommen wir vermutlich genau dahin, wohin wir gerade gehen." Ich empfehle dringend, einen anderen Weg einzuschlagen.

Wie muss ein Kurswechsel aussehen?

Die Wirtschaft muss Priorität haben, weil nur eine starke Wirtschaft soziale Leistungen, Investitionen und die Modernisierung unseres Landes ermöglicht. Wir müssen den Standort stärken: Bürokratie runter, Betriebe und Beschäftigte bei Steuern und Abgaben entlasten. Derzeit jedoch wachsen die Sozialausgaben stärker als die Wirtschaftskraft, gibt es ein zunehmendes Missverhältnis. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etwa hat sich in den vergangenen 14 Jahren mehr als verdoppelt. Das soll einfach so weitergehen? Wenn wir nicht gegensteuern, steigen die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung so, dass wir sie kaum noch tragen und verkraften können.

Der Grund für den hohen Krankenstand liegt auch in einer anderen Datenerfassung.

Es gibt eine Online-Plattform, die stellt hunderttausende Krankschreibungen im Jahr aus. Wissen Sie, wo die sitzt? In Malta. Das ist dann sicher nicht der Hausarzt. Solchen Missbrauch müssen wir stoppen. Steigende Krankenstände und höhere Kosten im Vergleich zu anderen Ländern können uns nicht kalt lassen. Ein "Weiter-so" ist keine Option, denn das gefährdet die Zukunft unserer Sozialsysteme. Da lohnt ein Blick in andere Länder, etwa nach Schweden mit seinen Teilzeit-Krankschreibungen: erst Physiotherapie und danach arbeiten. Warum nicht auch bei uns?

Habeck will Einkünfte aus Kapitalerträgen zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen heranziehen. Eine gute Idee?

Natürlich müssen wir über die künftige Finanzierung der Sozialsysteme nachdenken. Sie fast ausschließlich an die Löhne zu koppeln, ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn aber der Vorschlag dann lediglich lautet, Kapitalerträge sozialversicherungspflichtig zu machen, nur um mehr Geld zu haben, strukturell aber nichts verändert wird, halte ich das nicht für sinnvoll und gefährlich.

Wie wirkt sich die Krise auf das Handwerk aus?

Um die 80.000 Arbeitsplätze sind 2024 verloren gegangen: nicht vorrangig durch Entlassungen, sondern durch Renteneintritte und Schließungen. Viele Betriebsinhaber fragen sich: Lohnt es überhaupt noch, bei dem wirtschaftlichen und bürokratischen Druck einen Familienbetrieb zu führen, zum Beispiel eine Dorfbäckerei? Wenn dann ein solcher Betrieb mit fünf Mitarbeitern schließt, ist das in der Regel keine Schlagzeile wert. Doch dieses stille Sterben findet statt. Gesprochen wird jedoch nur über den Stellenwegfall in der Industrie. Das ärgert uns, weil etwa im Bau Kapazitäten wegfallen, die unbedingt gebraucht werden.

Was muss passieren?

Die nächste Regierung muss wirtschaftspolitisch liefern. Wir sehen, dass der Populismus weltweit auf dem Vormarsch ist. Wer verhindern will, dass auch hierzulande absurde Ideen wie der Austritt aus dem Euro oder der EU diskutiert werden, muss einen Politikwechsel hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit vollziehen.

Drohen ohne Politikwechsel Parteien mit solchen Positionen noch stärker zu werden?

Diese Stimmung nehme ich überall wahr: in den Parteien, in den Betrieben. Die nächste Regierung muss deshalb die Kraft für echte Veränderungen aufbringen. Keine Frage: Veränderungen tun weh und erzeugen Unmut. Aber wir können es nicht einfach weiterlaufen lassen, dann bleibt die Wirtschaft in der Krise. Weniger Bürokratie heißt mehr Eigenverantwortung. Es bedeutet weniger Kontrolle. Halten Staat und Gesellschaft das aus? Wir alle müssen uns bewegen. Das wird anstrengend für die Gesellschaft, auch für das Handwerk.

Die Industrie verliert derzeit 10.000 Arbeitsplätze pro Monat. Ist das in Zeiten des Fachkräftemangels eine Chance für das Handwerk, wenn Industriearbeiter in die Branche wechseln?

Eindeutig ja. Das wünscht sich vielleicht nicht jeder. Wer aber Sicherheit sucht, ist im Handwerk gut aufgehoben. Unsere Berufsbilder sind nicht so leicht ersetzbar etwa durch KI. Und wir sind für alles zuständig, was wir in Zukunft brauchen: für eine alternde Gesellschaft Orthopädie, Zahnersatz, Hörakustik und Augenoptik, für die tägliche Versorgung Backwaren und Wurst, aber auch Textil- und Gebäudereinigung. Und für die Transformation PV-Anlagen, barrierefreies Bauen, E-Mobilität, Smart Home. Das Handwerk ist eine Zukunftsbranche!

Allerdings ist die Bezahlung eine andere.

Der Lohnanteil im Handwerk liegt teils bei über 70 Prozent, in der Industrie ein Bruchteil davon, da kann man locker ein 15. Monatsgehalt zahlen. Aber auch im Handwerk sind die Löhne gestiegen. Mit niedrigeren Lohnzusatzkosten könnte noch mehr gezahlt werden.

Wie hat sich Ihr Handwerkeralltag in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Die Dokumentationspflichten sind ausgeufert. Ein Beispiel: Wir haben immer Sicherungen auf Dächern montiert. Jetzt müssen wir auf Flachdächern jede einzelne fotografieren und unterschreiben, wer sie eingebaut hat. Wir dokumentieren uns dumm und dusselig. Aber verhindert das wirklich Unfälle?

Laut ifo-Institut verbringen Angestellte heute 22 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie. Und im Handwerk?

Eine Studie hat herausgefunden, dass es bei Metallbaumeistern sogar 30 Prozent sind. Und dann wundern wir uns, dass die Leute sich lieber anstellen lassen. Unter Meisterabsolventen wird die Bürokratie inzwischen als einer der Hauptgründe gegen Selbstständigkeit genannt. Angesichts tausender Betriebsübergaben in den kommenden Jahren ist das eine fatale Entwicklung.

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