Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
23.07.2024

Der Zusammenhalt als Handwerksfamilie ist Markenkern

ZDH-Präsident Jörg Dittrich nennt Annette Hörnig von der "SuperIllu" als die wichtigsten "Benefits", die für eine Ausbildung im Handwerk sprechen: die hohe Anpassungsfähigkeit des Wirtschaftsbereichs und den Zusammenhalt in der Handwerksfamilie.
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Herr Dittrich, wie hoch ist der Fachkräftemangel im Handwerk?

Wir gehen von rund 250.000 offenen Stellen im Handwerk aus. Dieser Fachkräftebedarf ergibt sich aus den statistischen Daten und den Rückmeldungen aus unseren Betrieben. Wichtig mit Blick auf den Fachkräftebedarf ist auch die Zahl der rund 125.000 Betriebe, die in den nächsten vier, fünf Jahren zur Betriebsnachfolge anstehen. Hierfür werden dringend qualifizierte Meisterinnen und Meister gebraucht, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und Verantwortung übernehmen.

Und im Bereich der Azubis, wie viele offene Lehrstellen gibt es?

Unsere Handwerksbetriebe engagieren sich weiter in großem Umfang in der Ausbildung, doch leider haben sich in den vergangenen Jahren im Durchschnitt für 17.000 bis 20.000 angebotene Ausbildungsplätze keine passenden Bewerberinnen und Bewerber finden lassen. Das sind jedes Jahr rund 20.000 ungenutzte Chancen auf eine Ausbildung. Mit dem im Mai startenden "Sommer der Berufsausbildung" soll wieder in zahlreichen Veranstaltungen bundesweit über die Möglichkeiten einer beruflichen Ausbildung informiert und Betriebe und junge Menschen zusammengebracht werden.   

Wie ist die aktuelle Situation im Handwerk einzuschätzen?

Die Lage ist derzeit noch besser als die Stimmung, denn diese ist schlecht. Die Betriebe rechnen mit schmelzenden Auftragspolstern, weiter steigenden Kosten und sinkenden Umsätzen. Die Perspektive ist nicht von Zuversicht geprägt. Alle sehen die fehlende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei Energiekosten, bei Steuern und Abgaben, bei der Bürokratie. Und sie erwarten, dass sich das auf das eigene Geschäft auswirkt. Es gibt natürlich branchenmäßige Unterschiede, aber alle Branchen stehen vor Herausforderungen - seien es die Nahrungsmittelgewerke, die Kfz-Branche oder der Bau. Besonders schwierig ist die Lage beim Wohnungsbau, in dem die Talsohle noch längst nicht durchschritten ist.

Was können die Handwerksbetriebe selbst tun, um genug Fachkräfte zu finden?

Viele Betriebe machen einiges, um sich gerade für junge Menschen attraktiver aufzustellen: Das reicht von Workshops über Führerscheinzuschüsse, über die Einbindung der Azubis in soziale Projekte und Lernunterstützung in den Betrieben bis hin zu Projekten wie der Juniorbaustelle, die von Auszubildenden geführt wird. Auf Social Media stellen sich zahlreiche Betriebe dar und bespielen die Kanäle mit attraktiven Marketingmaßnahmen. Grundsätzlich ist es so, dass die Ausbildung den Betrieb viel Geld kostet, das wird von Gesellschaft und Politik häufig noch nicht ausreichend wertgeschätzt. Und dennoch: Auch in der Krise sollten Betriebe daran denken, dass sie junge Menschen in der Zukunft brauchen. Sie sollten ihnen zeigen, dass sie im Handwerk eine Zukunft haben.

Aber was macht das Handwerk denn attraktiv?

Das Handwerk hat zwei Besonderheiten, mit denen es aus meiner Sicht gerade jetzt punkten kann: Einerseits hat es eine große Anpassungsfähigkeit. Deswegen gibt es uns noch, und wir werden weiter existieren. Ich bin überzeugt: Die Berufe des Handwerks sind durch Künstliche Intelligenz (KI) weniger von Substitution betroffen als andere Berufsfelder. Wir werden KI nutzen, aber unsere Berufsfelder werden dadurch nicht verschwinden. Das andere ist der Begriff der Handwerksfamilie: In Familienbetrieben haben Chefin und Chef dieselben Interessen wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese beiden Punkte zählen gerade jetzt wieder. Wer also Sicherheit sucht, Regionalität, soziales Miteinander, der kommt am Handwerk nicht vorbei. Man hat immer mit Menschen zu tun. Wenn Sie beispielsweise als Dachdecker einer Kundin oder einem Kunden helfen können, dass er nach einem Sturmschaden wieder warm und trocken in seinem Zuhause sitzt, dann ist das, auch menschlich, einfach schön!

Wer hat Schuld, dass sich vergleichsweise wenige junge Menschen für einen beruflichen Weg ins Handwerk interessieren?

"Schuld" daran ist zuallererst der demographische Wandel, der uns Veränderungen aufzwingt: Es sind einfach immer weniger junge Menschen da. Schon rein mathematisch führt das dazu, dass die Gruppe junger Menschen kleiner wird. Und das betrifft dann auch nicht mehr nur das Handwerk, sondern auch die Bundeswehr, die Polizei, Ärzte, Lehrer, das Pflegepersonal usw. Aber abgesehen davon brauchen wir auch eine Veränderung in der Bildungspolitik: Wir brauchen eine Bildungswende! Lange herrschte das Narrativ, dass Bildung, sprich Abitur und dann ein Studium, Wohlstand schafft. Diese Gleichung geht aber so längst nicht mehr für alle Akademiker auf. Umgekehrt wird aktuell ein Schuh daraus: Berufliche Bildung bis zum Meister, Selbstständigkeit, schafft genauso Wohlstand. In den Köpfen von Lehrern, Eltern und Kindern ist das so nur noch nicht angekommen. Wir haben nicht zuletzt deshalb unsere Imagekampagne verlängert, um noch bekannter zu machen, wie positiv, zukunftsfest, modern und innovativ das Handwerk ist.

Sie machen die Imagekampagne, aber was sollte die Politik tun?

Auch Politik muss zur Attraktivität der berufliche Bildung beitragen! Wir fordern im Sinne der Gesellschaft, dass die berufliche Bildung endlich gleichwertig zur akademischen Bildung behandelt wird. Unsere handwerklichen Bildungszentren müssen technologisch ebenso auf dem neuesten Stand sein wie die Labore an den Unis. Viele der Bildungszentren, deren Gebäude noch aus den 80ern stammen, müssen dringend modernisiert werden. Zudem muss an allen Schulen, auch Gymnasien, flächendeckend über die beruflichen Bildungswege informiert werden, das ist heute noch nicht der Fall. Es geht nicht darum zu sagen, dass weniger Leute Abitur machen sollen. Aber dann sollen sie ihre Berufswahl nach ihren Talenten treffen und darin bestärkt werden. Wenn aber nur eine Studienberatung stattfindet, ist der Weg ja schon festgelegt. Berufsberatung darf nicht nur Studiengänge vorstellen.

Selbstständigkeit hat keinen hohen Stellenwert derzeit. Muss da nicht auch ein Mentalitätswandel stattfinden?

In Zeiten der stärkeren Betonung einer "Work-Life-Balance" muss dafür gesorgt werden, dass auch Selbstständigkeit attraktiv ist. Selbstständige sind in Deutschland eine Minderheit, stehen auf der politischen Agenda leider nicht weit oben. Ohne Selbstständige jedoch haben wir keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze, die wir uns alle wünschen. Mein ganz dringender Appell an alle politisch Verantwortlichen ist daher, diese Gruppe viel stärker als bislang in den Fokus zu nehmen. Selbstständigkeit erfährt viel Misstrauen von Seiten des Staates, in Form von Kontrollen und Dokumentationspflichten.  Das müssen wir verändern! Es gab Zeiten, da haben sich Menschen selbstständig gemacht, weil sie Angst vor Arbeitslosigkeit hatten oder ihren Wohnort nicht wechseln wollten. Das zieht in Zeiten von „Work-Life-Balance“ und einem Arbeitnehmerarbeitsmarkt nicht mehr. Wir müssen die Attraktivität der Selbstständigkeit wieder in den Blick nehmen, uns die Frage stellen, wie gehen wir eigentlich um mit Menschen, die so viel Verantwortung übernehmen. Da gibt es große Defizite. Deshalb sind nur wenige Menschen bereit, diesen Schritt zu machen und die Aufgabe und Verantwortung anzunehmen.

Die Politik schafft die Rahmenbedingungen. Oder auch nicht. Aus den Spitzenverbänden gibt es zuletzt viel Kritik an der Ampel. Was fordern Sie von der Politik?

Zuallererst müssen alle Parteien und allen voran die Ampel-Parteien erkennen, dass Wirtschaftspolitik jetzt in den Mittelpunkt der politischen Agenda gehört. Das kann ich bislang nicht erkennen. Vieles, was bisher an wirtschaftspolitischen Maßnahmen beschlossen wird, wirkt eher homöopathisch. Zum Beispiel das "Bürokratieentlastungsgesetz IV": Es ist viel zu wenig, wenn die Dokumentationspflichten von zehn auf acht Jahre verkürzt werden. Es sollte lieber verhindert werden, dass wir überhaupt ständig alles Mögliche dokumentieren müssen und damit diese Akten entstehen! Hier muss Politik mehr Vertrauen aufbringen. Ich weiß, dass das der Politik weh tut, weil es mehr Freiheit für die Wirtschaft bedeutet und weniger Kontrolle. Aber setzen wir doch einfach einmal einige Nachweispflichten aus und schauen, was dann passiert. Nicht nur an diesem Punkt, sondern insgesamt ist Deutschland momentan nicht wettbewerbsfähig! Dass wir es wieder werden und wieder an die Spitze kommen, das ist ja kein Selbstzweck, sondern auch unsere europäischen Nachbarn erwarten von Deutschland, dass es wieder seine Wirtschaftskraft entfesselt. Die stärkste Wirtschaftsnation der EU kann nicht weiter dahinschwächeln! Die Arbeitslosigkeit ist nicht mehr der entscheidende Indikator für den Zustand einer Wirtschaft, sondern es geht um Investitionen und das Potentialwachstum! Und da sind die Daten schlecht.  Seit 2014 haben wir nicht genügend Investitionen. Wir sehen, dass immer mehr Firmen das Land verlassen, weil die Steuern, Lohnzusatz- und Energiekosten zu hoch sind. Dem muss die Politik durch entschlossenes Handeln und strukturelle Reformen Einhalt gebieten.

Ohne deutsche Wirtschaftskraft leidet auch die EU, deren größter Nettozahler wir sind...

Die ganze politische Landschaft gerät unter Druck, wenn wir hier keine Antworten und Lösungen finden. Das wird diejenigen auf den Plan rufen, die Protektionismus und Nationalismus das Wort reden. Das kann aber nicht funktionieren. Deshalb müssen die demokratischen Parteien sich jetzt aufmachen und die nötigen Veränderungen anstreben. Es ist jetzt nicht die Zeit, noch mehr und zusätzliche Sozialpolitik zu betreiben, sondern wir müssen alles daransetzen, die wirtschaftlichen Grundlagen zu erhalten, damit unsere Sozialsysteme auch künftig noch finanziert werden können!

Sachsen ist das Handwerkerland mit besonders hoher Betriebsdichte. Wie kommt das eigentlich? Und wie gelingt Ihnen bei sich im Betrieb die Nachwuchsgewinnung?

Sachsen hat pro Kopf die höchste Dichte an Handwerksbetrieben in Deutschland. Das heißt, es gibt weniger Industriebetriebe als in anderen Bundesländern. Zugleich zeigt es die Bedeutung des Mittelstands, des Rückgrats der Wirtschaft. Leider ist Sachsen in der demographischen Pyramide Schlusslicht. Und es ist eines der Bundesländer, das besonders schnell altert. Die Nachwuchsgewinnung ist teuer und anstrengend, aber sie ist nötig. Und deshalb steht die Azubibetreuung in unserem Betrieb auch ganz oben.

Schlagworte