Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
02.12.2022

"Die Einheit des Handwerks bewahren"

Nach neun Jahren endet Ende des Jahres die Amtszeit von ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. In der „DHZ“ zieht er Bilanz.
    Portraitfoto von Hans Peter Wollseifer vor einer Strukturleinwand im Haus des Deutschen Handwerks in Berlin

    Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks

    "Das Entscheidende bleibt für mich: die Einheit des Handwerks zu bewahren. Denn das ist unsere Kraft. Das ist unsere wirtschaftliche Macht, und natürlich wird dadurch auch unsere gesellschaftliche Wertigkeit herausgestellt. Es wird weiter eine große Aufgabe sein, das Handwerk in sich zusammenzuhalten. Wenn man das schafft, wird man weitere Erfolge in der Handwerkspolitik, aber auch gesellschaftlich für das Handwerk erzielen", so ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Interview mit Karin Birk und Steffen Range von der „Deutschen Handwerks Zeitung“.

    Herr Wollseifer, der Bundespräsident hat jüngst die Bürger auf rauere Zeiten eingestimmt. Gilt das für Handwerker gleichermaßen?

    Leider ja. Die Situation unserer Betriebe macht uns große Sorgen. Nach unseren Umfragen sieht die Perspektive für die nächsten Monate nicht gut aus. Neun von zehn Betriebe haben schon jetzt deutlich höhere Energiekosten als zu Jahresbeginn 2022, bei fast jedem sechsten Betrieb haben sie sich seither verdreifacht. Viele können die höheren Preise in der Regel aber nur bedingt weitergeben, manche können es gar nicht. Es ist ein großes Problem für die Betriebe und ganz besonders für die energieintensiven Betriebe, jetzt über die Runden zu kommen.

    Können Sie nachvollziehen, dass sich derzeit so manches Handwerksunternehmen von der Politik verlassen fühlt?

    Ich hoffe nicht, dass sie sich verlassen fühlen. Wir kämpfen für sie jeden Tag - in Berlin und in den Bundesländern. Wir versuchen für die Betriebe wirkliche Erleichterungen zu erreichen. Das gilt für die ganze Handwerksorganisation, von der Basis bis zum Zentralverband. Dass Unternehmen jetzt den Dezemberabschlag bekommen, ist nicht Gott gegeben. Dafür haben wir uns eingesetzt. Das gilt auch für die Gaspreisbremse, die zum 1. März oder vielleicht schon zum 1. Februar kommt. Es wird den Kostenanstieg nicht kompensieren, aber es wird ihn abfedern helfen. Das gilt auch für die Strompreisbremse. Darüber hinaus setzen wir uns aktuell dafür ein, dass für die energieintensiven Betriebe eine Härtefallbrücke gebaut wird und sie nicht in eine Winterlücke fallen.

    Was wollen Sie da erreichen?  

    Es darf für die Monate Januar und Februar für energieintensive Betriebe keine Lücke bei den Hilfen geben. Ansonsten kommen viele Betriebe an den Rand ihrer Existenz oder werden insolvent. Unser Vorschlag lautet: Der Staat sollte die Hälfte der Abschlagszahlung für Gas für diese Zeit übernehmen.

    Angesichts der angespannten Lage können viele Handwerksunternehmer die Forderungen nach einem Bürgergeld nicht nachvollziehen. Verstehen Sie das?

    Wir zahlen im Handwerk gute Löhne. Das Problem ist, dass der Abstand zwischen den Nettolöhnen und den erhöhten Sozialleistungen wie beispielsweise in Form des Bürgergeldes immer kleiner wird. Das ist nicht hinnehmbar: Die Arbeit unserer Beschäftigten in den Betrieben, die jeden Tag aufstehen und anpacken, diese Arbeit muss sich lohnen. Das muss besonders im lohnintensiven Handwerk so sein. Wir müssen die 40-Prozent-Grenze bei den Lohnzusatzkosten halten. Doch genau das Gegenteil passiert aktuell. Wir gehen mit einem großen Schwung über die 40-Prozent-Grenze. Wir erwarten eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge um 0,3 Prozentpunkte, außerdem werden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,2 Prozentpunkte zulegen. Wahrscheinlich kommt noch ein Plus bei der Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte hinzu. Da bleibt dann am Ende immer weniger Netto vom Brutto in den Portemonnaies unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übrig, und die Betriebsinhaber müssen immer länger und mehr arbeiten, damit ihre Arbeit überhaupt einen Gewinn abwirft.

    Wie hat sich in der Zeit Ihrer ZDH-Präsidentschaft die Einstellung der Gesellschaft zu Leistung und Unternehmertum geändert?

    Ich denke, das muss man differenziert betrachten. Mit Blick auf das Handwerk haben viele erkannt, dass sie uns für Vieles brauchen. Das zeigen auch unsere Erhebungen. Anders als etwa internationale Konzerne haben wir im Handwerk nicht erst in der Corona-Krise versucht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Denn im Handwerk fehlt Personal, sind geeignete und qualifizierte Fachkräfte nur sehr schwer und oft auch gar nicht zu finden. Deshalb wissen wir im Handwerk, dass wir ausbilden müssen, dass das nicht andere für uns übernehmen. Das zeigen auch die diesjährigen Zahlen. Die Zahl der aktuell noch offenen Ausbildungsstellen hat sich auf 22.000 nochmals erhöht. Aus dem Grund steht die Fachkräftesicherung auch weiter ganz oben auf der Agenda.

    War der Erhalt des Meisterbriefes auch deshalb so wichtig?

    Ohne Zweifel war der Erhalt des Meisterbriefes der größte Gemeinschaftserfolg, den wir mit dem ZDH und mit der ganzen Handwerkerschaft gegen die Europäische Kommission durchgefochten haben. Dafür haben wir drei Jahre lang gekämpft. Mit diesem Erfolg im Rücken haben wir es dann geschafft, zwölf deregulierte Berufe wieder zu Meisterberufen zu machen. Darauf bin ich stolz. Darüber hinaus ist es gelungen, meine Idee eines BerufsAbiturs im ZDH als neues Bildungsformat zu konzipieren und dann auf den Weg zu bringen. Heute können junge Menschen in neun Bundesländern neben einem höheren schulischen Abschluss gleichzeitig eine Lehre machen. Ich würde mir wünschen, dass das BerufsAbitur weiter verfolgt und in den kommenden Jahren auf alle Bundesländer und noch mehr Berufe ausgedehnt wird.

    Was haben Sie unterschätzt?

    Ich selbst versuche nach dem Prinzip zu handeln: Ich sage, was ich tue, und ich tue, was ich sage. In der Bildungspolitik greift dieses Prinzip leider nicht. Das habe ich unterschätzt. Da sagt man, was man tun will, und tut es dann doch nicht. Die Berufsorientierung an Gymnasien ist nur ein Beispiel dafür. Wir reden seit Jahren darüber. Immer wieder. Und Politiker aller Parteien sagen mir dann – auch immer wieder-, dass sie berufliche Bildung als gleichwertig ansehen. Das reicht mir aber nicht. Den Worten müssen endlich auch Taten folgen. Ich möchte eine Gesetzgebung, die diese Gleichwertigkeit auch ausweist. Vor diesem Hintergrund müssen dann alle politischen Entscheidungen getroffen werden. Das wäre bildungspolitisch ehrlich und mutig.

    Was hat Sie enttäuscht?

    Zum Anfang meiner Amtszeit habe ich mir vorgenommen, ein nahbarer Präsident zu sein. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, auf die Leute zuzugehen, mit ihnen zu sprechen, zusammenzuführen, wo das erforderlich war. Ich war dabei in allen Bundesländern unterwegs. Es bedrückt mich persönlich sehr, dass sich die jetzt in der Gesellschaft zu beobachtende Polarisierung in Teilen auch im Handwerk widerspiegelt.

    Besteht die Gefahr, dass das Handwerk als Quertreiber gesehen wird?

    Das glaube ich nicht. In vielen Gesprächen mit der Politik haben wir, habe ich versucht, das zu relativieren. Unsere Stärke im Handwerk ist die Einigkeit. Die Integration nach innen war auch Ansatz meiner Amtszeit. Wir sind so vielseitig: 130 Berufe, 53 Handwerkskammern, 39 große Fachverbände. Wir haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wir haben eine Doppelspitze in den Kammern aus Hauptamt und Ehrenamt. Das alles unter einen Hut zu bekommen, das ist uns gut gelungen, auch bei den schwersten Themen. Und es wird auch beim Angriffskrieg auf die Ukraine und seinen Folgen wieder gelingen.

    In Ihre Amtszeit fielen nicht nur der Angriffskrieg auf die Ukraine und die Flüchtlingskrise, sondern da gab es auch die Pandemie. Wie stark hat Sie das alles persönlich gefordert?

    Mein Vorgänger hat mir gesagt, dass ich dieses Amt bekleiden kann, wenn ich zwei Tage die Woche Zeit dafür aufbringe. Tatsache ist: Es waren fünf Tage die Woche, und acht Stunden reichten oft nicht aus. Hinzu kam die eigene Handwerkskammer und der eigene Betrieb. Viel Zeit für Privates blieb da nicht.

    Ich kann mich beispielsweise erinnern, als wir zu Anfang der Corona-Krise im Kanzleramt saßen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte damals, was jetzt auf uns zukomme, hätten wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt. Die Pandemie werde uns überall treffen - in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und in der Politik. Und so war es dann auch. Ende des vergangenen Jahres hatte ich dann wie viele andere geglaubt, wir hätten das Gröbste überstanden. Die Umsätze bewegten sich wieder nach oben. Man muss sich nur vorstellen, die Zinsen für einen Baukredit lagen bei rund einem Prozent, die Inflation bei rund drei Prozent. Seit dem 24. Februar hat sich dann alles grundlegend geändert. Wir sind von einer Krise in die nächste geschlittert. Heute haben wir eine multiple Krise. Und damit haben wir noch eine Weile zu kämpfen.

    Was geben Sie in einer solchen Situation ihrem Nachfolger mit?

    Die Einheit des Handwerks zu bewahren. Denn das ist unsere Kraft. Das ist unsere wirtschaftliche Macht, und natürlich wird dadurch auch unsere gesellschaftliche Wertigkeit herausgestellt. Es wird weiter eine große Aufgabe sein, das Handwerk in sich zusammenzuhalten. Das ist eine Riesenaufgabe für den Nachfolger. Wenn man das schafft, wird man weitere Erfolge in der Handwerkspolitik, aber auch gesellschaftlich für das Handwerk erzielen.

    Und was steht bei Ihnen persönlich auf dem Programm?

    Ich freue mich, dass ich nach neun Jahren mal wieder ein ganzes Wochenende mit meiner Frau und Familie haben werde. Und unter der Woche hoffe ich, auf eine 39-Stunden-Woche zurückfallen zu können. In Köln bin ich ja noch ein paar Jahre als Präsident der dortigen Kammer gewählt und freue mich darauf, wieder mehr die regionalen Handwerksthemen in den Vordergrund stellen zu können. Betrieblich gibt es auch noch Aktivitäten und Vorhaben. Und in Berlin werde ich noch beim IKK e.V. und der IKK classic tätig sein. Die Arbeit geht mir also ganz sicher nicht aus.