Energiewende braucht zusätzliche handwerkliche Klimafachkräfte
Zu den bereits jetzt fehlenden Fachkräften im Handwerk werden perspektivisch noch mehrere Tausend zusätzliche Fachkräfte nötig sein, um die für die Energie- und Mobilitätswende notwendigen Solaranlagen, Wärmepumpen, elektrischen Ladestationen zu installieren und Gebäudedämmungen vorzunehmen. Wir müssen also deutlich mehr Menschen für Handwerksberufe begeistern, damit die Wärme- und Energiewende gelingt, erläutert ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Gespräch mit Florian Schmidt von t-online.
Herr Dittrich, wie heizen Sie zuhause?
So, dass mir warm ist. Spaß beiseite, ich habe zuhause eine Gastherme hängen. In meiner Dachdecker-Firma ist es anders: Da heizen wir vornehmlich mit einer Wärmepumpe, nur wenn es ganz kalt wird, schalten wir auch dort eine Gasheizung dazu.
Das heißt, Sie müssen sich nun auch überlegen, wie es weitergeht, wenn die Heizung ab 2024 kaputt geht?
Ja, wobei die Sache bei mir recht einfach ist: Ich wohne zwar in einem denkmalgeschützten Gründerzeithaus, allerdings bekommen wir absehbar einen Fernwärme-Anschluss. Die neuen Vorgaben kann ich also problemlos umsetzen.
Sie Glücklicher!
Das können Sie laut sagen. Denn es gibt gerade in Dresden, aber natürlich auch in vielen anderen Städten in Deutschland, viele alte Häuser, die auch künftig keine Fernwärme bekommen – und bei denen der Denkmalschutz den Einbau einer Wärmepumpe verhindert. Da werden die neuen Heizregeln kaum umsetzbar sein.
Das klingt, als seien Sie nicht sonderlich zufrieden mit den Beschlüssen der Ampel-Koalition. Dabei ist das neue Gesetz doch eigentlich ein tolles Konjunkturprogramm für das Handwerk, oder?
Glauben Sie mir, das Handwerk hat auch ohne dieses Gesetz genug zu tun. In einigen Gewerken vor allem der Klimahandwerke quellen die Auftragsbücher vieler Betriebe über, kommen diese kaum mehr hinterher. Allerdings ist wegen der steigenden Zinsen und höheren Finanzierungskosten im Baubereich aktuell zu spüren, dass weniger Bauaufträge eingehen. Da müssen wir aufpassen, dass nicht Kapazitäten verloren gehen, die dringend etwa für die energetische Sanierung von Gebäuden oder den Wohnungsneubau gebraucht werden. Planungssicherheit ist hier das Stichwort, weniger ein Konjunkturprogramm.
Das Klima braucht einen Rückgang des CO2-Ausstoßes.
Das stimmt. Aber der Plan der Ampel, um das zu erreichen, greift zu kurz.
Warum?
Wirtschaftsminister Robert Habeck will, dass künftig eine halbe Million Wärmepumpen pro Jahr neu eingebaut werden. Allerdings klammert das die Frage aus, ob es überhaupt ökologisch wie auch ökonomisch sinnvoll ist, in allen Häusern mit einer solchen Heizanlage zu arbeiten. Es gibt auch Gebäude, da geht das nicht oder nur sehr ineffizient. Das dürfen wir nicht vergessen.
Wie ginge es denn besser?
Mein Vorschlag ist: Wir sollten zunächst einmal ermitteln, wie viele Häuser es gibt, die gut wärmegedämmt sind. Danach können wir die Wärmepumpen-Zahl festlegen.
Abgesehen von der Eignung der Gebäude: Schafft das Handwerk die Heizwende personell überhaupt?
Isoliert betrachtet ja. Der reine Einbau der Pumpen ließe sich auch in dieser Größenordnung stemmen. Doch damit ist es ja nicht getan. In vielen Häusern müssen Heizkörper verändert, Fußbodenheizungen neu verlegt, neue Dämmungen angebracht werden. Um all diese Tätigkeiten auszuführen, fehlen die Leute.
Wie viele Installateure, Dämmspezialisten und Fensterbauer fehlen denn?
Die Bundesagentur für Arbeit sagt, dass derzeit im Gesamthandwerk mehr als 150.000 Stellen frei sind. Allerdings melden nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen – deshalb schätzen wir im Zentralverband, dass sogar um die 250.000 Stellen nicht besetzt sind. Hinzurechnen müssen wir perspektivisch dann noch mehrere Tausend zusätzliche Fachkräfte, die nötig sein werden, um die für die Energie- und Mobilitätswende notwendigen Solaranlagen, Wärmepumpen, elektrischen Ladestationen zu installieren und Gebäudedämmungen vorzunehmen.
Und wie viele sind das?
Bis 2030 benötigen wir da vermutlich mindestens noch bis zu 100.000 weitere zusätzliche handwerkliche Fachkräfte. Menschen, die wir in den kommenden Jahren für Handwerksberufe begeistern müssen, damit die Wärme- und Energiewende gelingt. Zum Vergleich: Im Dachdeckerhandwerk arbeiten derzeit über den Daumen gepeilt 80.000 bis 90.000 Beschäftigte.
Und wo kommen diese Leute alle her?
Das ist tatsächlich die Frage, die wir uns stellen müssen. Zunächst einmal müssen wir alle Potenziale im Inland heben. Viele Frauen arbeiten immer noch nur in Teilzeit, die könnten auch in Vollzeit arbeiten, nicht zuletzt im Handwerk. Wir müssen noch mehr Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Auch müssen wir es schaffen, dass mehr junge Menschen einen Schulabschluss machen – und ich denke, wir müssen auch die Neigung zum Studieren hinterfragen.
Das ist die alte Zu-viele-Studenten-zu-wenige-Azubi-Diskussion.
Ja, aber sie ist weiter sehr relevant. Von mir aus können noch viel mehr Menschen Abitur machen – aber es kann nicht sein, dass die Berufsorientierung an den Gymnasien eine reine Studienberatung ist. Die jungen Menschen müssen ihren Talenten entsprechend einen Beruf finden. Und dafür müssen sie auch über alle Möglichkeiten und Karrierechancen einer beruflichen Aus- und Fortbildung informiert werden. Relevant wird künftig außerdem ein noch deutlich umfangreicherer Einsatz von Robotern im Handwerk. Bislang hat sich das kaum gelohnt, weil es genügend Arbeitskräfte gab. Künftig aber wird sich das ändern.
Es sei denn, es wandern mehr Menschen nach Deutschland ein. Dann gäbe es wieder genügend Arbeitskräfte.
Genau, das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist da ein guter erster Aufschlag. Am Ende aber kommt es auf die Praxistauglichkeit an: Was macht denn eigentlich ein Betrieb mit zehn Mitarbeitern? Soll der in irgendein Land fahren, da zwei Leute anwerben und die damit verbundenen bürokratischen Hürden allein nehmen? Da braucht es noch Nachbesserungen. Wir müssen alle Hebel ziehen, um für ausreichend Fachkräfte im Handwerk zu sorgen, denn angesichts der vielen anstehenden Zukunftsaufgaben, für die Handwerkerinnen und Handwerker unverzichtbar sind, können wir es uns als Gesellschaft und Wirtschaft gar nicht leisten, dass Betriebe wegen Personalnot aufgeben müssen.
Das liegt auch daran, dass viele Betriebe bald zumachen dürften, weil sie keinen Nachfolger finden. Was raten Sie Meistern, die ihren Betrieb jetzt an eine jüngere Person übergeben wollen?
Das ist tatsächlich gar nicht so leicht. Denn es dauert oft Jahre, einen Nachfolger aufzubauen. Aber auch hier gilt: Damit überhaupt genügend Kandidaten für eine Nachfolge motiviert sind, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen: Da ist die Politik am Zuge, nicht zu viele bürokratische Hürden aufzubauen und die Betriebe durch alle möglichen arbeitsrechtlichen, steuerlichen und anderen Regulierungen in ihrem unternehmerischen Elan zu drosseln. Aktuell können sich nur 20 Prozent der Meisterabsolventinnen und -absolventen vorstellen, einen Betrieb zu gründen oder als Chef zu übernehmen – alle anderen scheuen diesen Schritt vor allem wegen der überbordenden Bürokratie. Das muss sich dringend ändern, weshalb der Abbau von Bürokratie ein so zentrales Thema ist.