Fachkräftesicherung ist die zentrale Zukunftsaufgabe
Herr Dittrich, die Energiepreise gehen durch die Decke, überall fehlen Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft. Stehen Sie als Chef eines Dachdeckerbetriebes da manchmal auf und denken sich: Was habe ich mir da bloß angetan?
Nein, das denke ich nie, dafür macht mir mein Job zu viel Spaß. Es wäre aber auch vermessen. Mein Vater und Großvater haben den Familienbetrieb durch Krieg und Diktatur geführt. Klar, die Zeiten gerade sind intensiv. Aber wenn ich mir anschaue, was die Generationen vor mir überstanden haben, bin ich optimistisch, dass wir auch gut über diese Krise kommen werden.
Keine Angst vor der Rezession?
Ich will die Probleme nicht kleinreden. Die Rezession trifft auch das Handwerk, vor allem das Baugewerbe und die Lebensmittel-Branche. Gerade im Baubereich spitzt sich die Lage dramatisch zu, und die Politik tut viel zu wenig. Aber wenn man wie ich im Dresden der Nachwendezeit ohne Geld und funktionierende Infrastruktur ins Berufsleben gestartet ist, hat man auf manches einen anderen Blick. Das Handwerk lebt von Stärke und Stabilität, die erhalten werden muss. Wirtschaft ist auch viel Psychologie: Ohne Zuversicht und Gestaltungswillen geht es nicht.
Die Regierung hat gerade das Wachstumschancengesetz und Bürokratieentlastungen auf den Weg gebracht. Reicht das, um die Krise vom Handwerk abzuwenden?
Was die Regierung beim Wachstumschancengesetz und beim Bürokratieabbau vorgelegt hat, ist ein guter Anfang, es ist eine Annäherung an das, was nötig ist, aber noch lange nicht der Ruck, den die Wirtschaft braucht.
Ist der Fachkräftemangel die größte Bedrohung für das Handwerk?
Die Fachkräftesicherung ist die zentrale Herausforderung der Zukunft. Wir gehen davon aus, dass bundesweit schon heute im Handwerk rund 250.000 Stellen nicht besetzt sind, aktuell sind weiter noch 30.000 Ausbildungsstellen unbesetzt: Die bieten die Betriebe an und Jugendliche können hier auch noch bis weit in den Herbst hinein ihre Ausbildung starten. Das ist zukunftsentscheidend: Heute fehlen die Auszubildenden, morgen die Gesellen und übermorgen die Meister, die die Betriebe übernehmen können.
Und wieso wollen so wenige junge Menschen ins Handwerk?
Das ist für mich als begeistertem Handwerksmeister auch nur schwer nachzuvollziehen. Es gibt so vielfältige sinnstiftende und zukunftsrelevante Berufe und Tätigkeiten. Man kann so viel im Handwerk bewegen: Allein in den kommenden fünf Jahren stehen in Deutschland 125.000 Betriebe vor dem Generationenwechsel, die alle einen neuen Meister oder neue Meisterin brauchen. Nie war es einfacher, in jungen Jahren seine eigene Chefin oder sein eigener Chef zu werden, nirgendwo sonst gibt es so große Gestaltungsmöglichkeiten. Finden junge Menschen solche Chancen der Verwirklichung im öffentlichen Dienst oder auf der Karriereleiter in einem großen Konzern? Hier braucht es dringend ein Umdenken. Zu vielen ist nicht bewusst, wie wichtig die Rolle des Handwerks in Deutschland ist. Wir übernehmen weit mehr Aufgaben als nur Handwerksarbeiten.
Was meinen Sie?
Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: In keinem anderen Wirtschaftsbereich sind so viele Geflüchtete untergekommen wie im Handwerk. Ganz oft sind es Handwerksbetriebe, in denen Geflüchtete auf ein Leben in Deutschland vorbereitet werden, wo sie das erste Mal die Sprache anwenden und deutsche Umgangsformen lernen. Man könnte sagen: Ein Handwerksmeister ersetzt zwei Sozialarbeiter.
Werden die Betriebe dabei genug unterstützt?
Das Handwerk stellt sich dieser Aufgabe sehr gerne. Aber Ausbildungsbetriebe, die Geflüchtete aufnehmen, brauchen dringend Entlastungen etwa in Form einer steuerlichen Ausbildungszulage. Eine Ausbildung ist immer sehr teuer und erst recht, wenn es sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden gibt. Hier müssen Betriebe unterstützt werden: mit einem flächendeckenden Angebot von ausbildungsbegleitenden Förderinstrumenten, beispielsweise durch Angebote der Assistierten Ausbildung, und bei der Vermittlung von Grundkompetenzen wie der Sprache.
Gerade mal 17 Prozent der Auszubildenden sind Frauen. Wie wollen Sie das ändern?
Ganz klar: Das Handwerk braucht noch mehr Frauen. Hier liegt noch viel Potenzial, um den steigenden Bedarf an Fach- und Führungskräften im Handwerk zu decken. Zwar steht inzwischen in jedem vierten Handwerksbetrieb eine Frau an der Spitze. Doch es ist noch Luft nach oben, vor allem in den bislang vornehmlich von Männern ausgeübten Handwerksberufen, etwa in der Baubranche, im Elektrohandwerk oder im Bereich Sanitär-Heizung-Klima. Durch Digitalisierung und technologischen Fortschritt sind die körperlichen Belastungen in diesen Berufen zurückgegangen. Insgesamt sollte schon die Berufsorientierung in der Schule Mädchen darin bestärken, ihren Talenten und Interessen zu folgen, anstatt sich von überholten Geschlechterrollen leiten zu lassen. Vorbilder spielen hier eine große Rolle, um gerade junge Frauen zu erreichen. In unserer Kampagne zeigen daher junge Frauen ihren Handwerksalltag. Und wir beteiligen uns an vielen entsprechenden Initiativen etwa dem Girls Day, an MINT-Initiativen und der Initiative Klischeefrei.
Ab Januar wird das Bürgergeld um zwölf Prozent erhöht. Befürchten Sie, dass dann noch weniger ins Handwerk kommen, weil sich die Arbeit finanziell nicht mehr lohnt?
Im Handwerk lässt sich gut Geld verdienen. Und ganz abgesehen davon sollte das Handwerk sich nicht daran abarbeiten, ob die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu viel oder zu wenig haben. Uns wäre nicht geholfen, wenn Bürgergeld-Empfänger weniger bekäme, sondern wenn Handwerkerinnen und Handwerker am Ende mehr im Portemonnaie hätten und netto deutlich mehr übrigbliebe etwa durch eine deutliche Reduzierung der Abgabenlast. Leistung muss sich lohnen.