Für einen Neustart braucht es Tempo beim Regierungshandeln

Foto: ZDH/Henning Schacht
Wovon würde die Handwerksbranche am stärksten profitieren – und was bräuchte es für einen gelungenen Neustart?
Ein echter Neustart klappt nur, wenn die neue Regierung in den ersten 100 Tagen zeigt, dass sie es ernst meint und gleich Pflöcke einschlägt. Es ist keine Zeit für neue Gutachten oder Prüfaufträge und schon gar nicht für neuen Streit. Das, was an Positivem im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, muss umgesetzt werden. Weniger Bürokratie, bezahlbare Energie, bessere Abschreibungsregeln, das muss die neue Regierung sofort anpacken. Wenn Betriebe und Beschäftigte hier Entlastungen und Erleichterungen sehen, kann daraus echte Aufbruchstimmung entstehen – im Handwerk und darüber hinaus.
Was sind vielversprechende Pläne des Koalitionsvertrages?
Der geplante Bürokratieabbau von 25 Prozent ist ein echter Lichtblick und würde die Betriebe spürbar entlasten. Das würde in der Praxis bedeuten: mehr Zeit für Kunden, weniger Zeitaufwand für Papierkram. Auch die angekündigte Entlastung bei den Stromkosten ist ein Pluspunkt. Und aus Handwerkssicht ein wirklich positiver Ansatz sind die vorgesehenen Investitionen in die berufliche Bildung – für neue Technik in den handwerklichen Bildungszentren, für bessere Lernorte, für eine verlässliche Förderung. Das alles zeigt: Die schwarz-rote Koalition hat zentrale Handwerksthemen erkannt. Wenn die jetzt beherzt umgesetzt wird, kann das dem Handwerk wirklich Rückenwind geben.
Was ist im Koalitionsvertrag kontraproduktiv für das Handwerk?
Bei Steuern und Sozialabgaben gibt es einige Kröten zu schlucken. Die geplante Körperschaftsteuersenkung lässt die allermeisten Handwerksbetriebe außen vor, denn fast 80 Prozent sind Personenunternehmen. Und dass die dringend nötige Reform unserer Sozialsysteme wieder vertagt wird, ist eine echte Enttäuschung. Gerade in einem lohnintensiven Bereich wie dem Handwerk schlagen steigende Sozialabgaben knallhart auf die Betriebskosten durch. Der Vertrag hat Potenzial, aber es muss an entscheidenden Stellen noch mutige Nachbesserungen geben.
Was ist nötig, um das “stille Sterben” der Handwerksbetriebe zu stoppen?
Das Handwerk braucht dringend bessere Rahmenbedingungen: Bürokratie entschlacken, Steuern fair gestalten, Sozialabgaben deckeln. Und wir müssen die Wertschätzung für das Handwerk wieder spürbar machen – bei jungen Leuten, in der Gesellschaft, in der Politik. Nur wenn wir wieder echte Perspektiven bieten, entscheiden sich auch mehr Menschen dafür, einen Handwerksbetrieb zu übernehmen oder neu zu gründen. Wenn kleine und mittlere Betriebe aber weiter unter steigenden Belastungen und Kosten ersticken, wird sich der Schwund verschärfen. Es braucht jetzt eine klare wirtschaftspolitische Offensive für den Mittelstand.
Was könnte konkret getan werden, um den Fachkräftemangel zu beheben?
Wir müssen endlich in die berufliche Bildung investieren – modernisierte Bildungsstätten, eine bessere finanzielle Förderung von beruflicher Ausbildung und mehr Wertschätzung für das Handwerk. Notwendig ist eine Bildungswende hin zu einer gleichwertigen Behandlung akademischer und beruflicher Bildung. Außerdem ist eine gesteuerte Zuwanderung notwendig mit deutlich weniger bürokratischen Hürden und schnelleren Verfahren.
Und um wie viele Stellen im Handwerk geht es inzwischen?
Im Handwerk fehlen derzeit geschätzt rund 200.000 Fachkräfte. Jede unbesetzte Stelle bremst Innovation, Wachstum und auch die Energiewende. Besonders bitter: Für rund 20.000 Ausbildungsplätze, die Handwerksbetriebe Jahr für Jahr anbieten, finden sich keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber. Das liegt nicht nur an den demografisch bedingt sinkenden Bewerberzahlen, sondern auch an strukturellen Problemen: Jugendliche wissen oft zu wenig über die Karrierechancen im Handwerk, viele bringen schulische Defizite etwa beim Lesen oder Schreiben mit, und fehlende Mobilitätsangebote wie Azubi-Tickets oder bezahlbarer Wohnraum erschweren den Zugang zusätzlich. Um die Lücken zu schließen, braucht es dringend eine Bildungswende mit besserer Berufsorientierung, gezielter Förderung und einer kraftvollen Offensive für berufliche Bildung sowie eine qualifizierte Zuwanderung.