Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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24.03.2025

Grundsätzliche Reformen sind entscheidend

Mehr Geld allein löst die Standortprobleme nicht, so ZDH-Präsident Dittrich zu Birgit Marschall ("Rheinische Post"). Er fordert Reformen in Sozialsystemen, Bürokratieabbau und die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Herr Dittrich, die nächste Regierung wird über ein beispiellos großes Finanzpaket verfügen: In zwölf Jahren sind zusätzliche Schulden von einer Billion Euro oder noch deutlich mehr möglich für höhere Verteidigungsausgaben und mehr staatliche Investitionen. Macht Ihnen die Dynamik bei der Staatsverschuldung Sorgen?

Für das Finanzpaket gibt es nachvollziehbare Gründe. Mir macht allerdings sehr große Sorgen, dass diese Geldflut möglicherweise die Reformanstrengungen unterspült und Union und SPD nicht mit demselben Ehrgeiz und in derselben Größenordnung strukturelle Reformen angehen. Die braucht unser Land aber jetzt dringend, um wieder wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu werden. Keine Frage: Grundsätzliche Reformen zu machen, das ist anspruchsvoller, doch entscheidend. Es wird nicht funktionieren, einfach nur mehr Geld ins System zu pumpen und damit vermeintlich Wettbewerbsnachteile zuzuschütten. Standortprobleme lassen sich nicht wegsubventionieren. Ein Beispiel: Der US-Chipkonzern Intel sollte in Magdeburg eine Zehn-Milliarden-Euro-Subvention erhalten, aber er kommt trotzdem nicht.

Sind Union und SPD mit dem Finanzpaket den zweiten vor dem ersten Schritt gegangen? Hat Friedrich Merz seinen wichtigsten Faustpfand in den Verhandlungen mit der SPD aus der Hand gegeben?

Ich urteile nicht über politisches Verhandlungsgeschick. Die Wirtschaft blickt jetzt gespannt auf die Koalitionsverhandlungen. Leider gibt es ein ungutes Bauchgefühl, dass die Ergebnisse nicht ausreichen werden. Das gewohnte Ritual der Koalitionsverhandlungen muss sich ändern: Es kann nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner gehen. In der derzeitigen dramatischen Lage darf es nicht einmal darum gehen, die jeweilige Parteiklientel zu befriedigen. Für alle Verhandlerinnen und Verhandler muss angesichts des Ernstes der Lage oberstes Ziel sein, unser Land wieder auf Vordermann und die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Dafür sind echte, wirksame Reformen in den Sozialsystemen und beim Bürokratieabbau zwingend nötig. Die staatspolitische Verantwortung gebietet es, dass ein Koalitionsvertrag vereinbart wird, der den wirtschaftlichen Aufbruch organisiert. Das ist unser eindringlicher Appell. Denn nur mit einer starken Wirtschaft können wir die Sozialsysteme finanzieren und unserer gewachsenen geopolitischen Verpflichtung nachkommen.

Was müsste am Arbeitsmarkt geschehen?

Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht, die Arbeitslosigkeit steigt wieder. Wir brauchen deutlich mehr Flexibilität im Arbeitsmarkt etwa durch den Übergang von einer Tages- zu einer Wochenhöchstarbeitszeit und das einhergehend mit einer Flexibilisierung der Ruhezeiten und weniger Aufzeichnungspflichten.

Die Union konzentriert sich auf eine Reform des Bürgergelds. Würde das die Probleme am Arbeitsmarkt lösen?

Es muss ganz sicher noch an vielen anderen Stellschrauben gedreht werden. Fatal ist allerdings der inzwischen offenbar weitverbreitete Eindruck, das Bürgergeld sei eine Wahlleistung und man könne sich aussuchen, selbstverdientes Einkommen damit zu ersetzen. Das trifft Leistungsträgerinnen und Arbeitnehmer ins Mark. Diesen verfehlten Eindruck muss Schwarz-Rot durch eine Bürgergeld-Reform korrigieren. Bürgergeld muss eine Sozialleistung für diejenigen bleiben, die tatsächlich nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu verdienen.

Welche Reformen stehen bei Rente, Gesundheit und Pflege an?

Auf den Baustellen und in den Betrieben höre ich immer wieder, dass die Menschen angesichts von Inflation und höheren Mieten mehr Netto vom Brutto wollen. Unser Sozialsystem ist aus der Balance geraten. Wir müssen die Kostenanstiege bremsen, damit die Sozialversicherung überhaupt finanzierbar bleibt. Die Lohnzusatzkosten drohen bis 2030 auf 50 Prozent anzusteigen: Das würde massiv Arbeitsplätze gefährden, besonders im lohnintensiven Handwerk. 2025 stehen wir vor einer ähnlich herausfordernden Situation wie 2003, als Gerhard Schröder die größte Reformagenda seit Bestehen der Bundesrepublik aufgesetzt hatte. Mehr Leistung muss sich wieder lohnen, wenn wir den Gürtel nicht enger schnallen wollen. Es braucht ein klares Bekenntnis im Koalitionsvertrag, die Sozialabgaben dauerhaft bei 40 Prozent zu deckeln.

Was genau müsste Schwarz-Rot bei der Rente ändern?

Es kann nicht sein, dass jüngere Generationen für die steigende Lebenserwartung automatisch allein aufkommen sollen. Doch bislang versuchen die Parteien, sich an einer Rentenreform vorbei zu mogeln. Dass die Rente im Sondierungspapier von Union und SPD weitgehend ausgespart wurde, ist ein Alarmsignal. Ich denke, im Sinne der Generationengerechtigkeit muss auch die ältere Generation einen Teil der Kosten tragen, die durch ihre höhere Lebenserwartung entstehen. Anreize für einen vorzeitigen Renteneintritt müssen verringert werden. Die Aktivrente der Union für jene, die auch im Rentenalter weiterarbeiten möchten, ist "nice to have". Aber die grundlegenden Probleme des Rentensystems löst auch sie nicht.

Passt dazu, die Mütterrente zu erhöhen, wie es im Sondierungspapier steht?

So berechtigt die Mütterrente als soziale Maßnahme sein mag, so passt sie dennoch nicht in die Zeit. Fakt ist: Wir können uns weitere und zusätzliche, damit noch höhere Rentenansprüche nicht mehr leisten.

Merz will Steuerentlastungen für die Unternehmen durchsetzen. Wie wichtig ist das im Vergleich zur Senkung der Lohnzusatzkosten?

Beides ist unerlässlich. Es ist politisch oft einfacher, die Wirtschaft mit Steuererleichterungen anzukurbeln als mit grundsätzlichen Reformen im Sozialbereich oder einer Senkung der Lohnzusatzkosten. Doch nachhaltiger wäre der zweite Weg. Niedrigere Lohnzusatzkosten sind wichtig für Betriebsgründungen und -übernahmen wie auch als Anwerbeargument für die Zuwanderung von Fachkräften. Die beste Lösung wäre eine Kombination aus beidem: Den Anstieg der Lohnzusatzkosten bremsen und gleichzeitig die Steuerlast senken.

Wie passt dazu die SPD-Forderung nach einer höheren Erbschaftsteuer für Betriebe? 

Die neue geopolitische Bedrohungslage hat auch eine wirtschaftliche Dimension: Unsere Stärke ist ein starker Mittelstand. Ohne dessen Innovationen und Produkte könnte die Welt in vielen Bereichen nicht arbeiten. Genau diesen "Hidden Champions" im Mittelstand müssen wir den Rücken stärken. Eine höhere Erbschaftsteuer, die dann das Betriebsvermögen beträfe, würde viele von ihnen wirtschaftlich schwächen, im schlimmsten Fall erdrücken oder vertreiben. Wenn unsere Standortbedingungen schlechter sind als anderswo, verlieren wir diese Betriebe. Bei den Forderungen nach einer Erhöhung der Erbschaftsteuer wird unterschätzt, welch wertvollen Schatz wir hier haben, um den uns andere beneiden. Also: Hände weg von der Erbschaftsteuer!

Wie sieht Ihr Konjunkturausblick für 2025 aus?

Die Krise hat längst auch das Handwerk erfasst. Allein im vergangenen Jahr sind im Handwerk 62.000 Stellen verloren gegangen, der Umsatz ist um 1,2 Prozent gesunken. Im laufenden Jahr erwarten wir allenfalls eine Seitwärtsbewegung. Wir brauchen dringend einen Aufschwung und mehr Wachstum. Die Politik muss endlich die Selbstständigen in den Fokus rücken und Bedingungen schaffen, die ihnen erfolgreiches Arbeiten ermöglichen. Denn genau sie sind es, die Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen und damit die Basis für Steuereinnahmen und Sozialabgaben legen. Wenn schlechte Standortbedingungen immer mehr junge Menschen abschrecken, als Nachfolger einen Betrieb zu übernehmen oder zur Gründerin zu werden, dann ist das eine dramatische Entwicklung mit weitreichenden Folgen.

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