Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
30.01.2023

Handwerk und berufliche Ausbildung attraktiver machen

Die Fachkräftelücke betrifft ganz Deutschland. In Gegenden, die unter der Alterung der Gesellschaft und dem Wegzug junger Menschen leiden, haben es die Betriebe besonders schwer, Personal zu finden, so ZDH-Präsident Dittrich gegenüber "FUNKE Mediengruppe".
Ausbilderin und Auszubildende stehen an einer Sägemaschine in einer Tischlerei.

"Die Fachkräftelücke betrifft ganz Deutschland. In Gegenden, die jetzt schon stark unter der Alterung der Gesellschaft und dem Wegzug junger Menschen leiden, haben es die Betriebe besonders schwer, weshalb es für Handwerksbetriebe im Osten oft noch komplizierter als im Westen ist, Personal zu finden. Und auf dem Land ist es oft schwieriger als in der Stadt. Wir müssen das Handwerk und die berufliche Ausbildung attraktiver machen. Dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik", so ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview mit Tobias Kisling und Thorsten Knuf von "FUNKE Mediengruppe".

Herr Dittrich, in Deutschland fehlen Hunderttausende Fachkräfte. Wie ist die Situation im Handwerk?

Das Handwerk steht bei der Fachkräftesicherung vor riesigen Herausforderungen. Bei uns schlägt die demographische Entwicklung voll durch. Außerdem ziehen viele Jugendliche ein Hochschulstudium einer beruflichen Ausbildung vor. Bereits heute fehlen im Handwerk mindestens 250.000 Fachkräfte, in der Tendenz steigend. Wir kämpfen dafür und tun das uns Mögliche, dass die Lücke in den nächsten Jahren nicht größer, sondern kleiner wird. Aber selbst dann halte ich es für wenig realistisch, sie komplett zu schließen.

Gibt es ein Gefälle zwischen einzelnen Regionen oder Stadt und Land?

Die Fachkräftelücke betrifft ganz Deutschland. In Gegenden, die jetzt schon stark unter der Alterung der Gesellschaft und dem Wegzug junger Menschen leiden, haben es die Betriebe besonders schwer, weshalb es für Handwerksbetriebe im Osten oft noch komplizierter als im Westen ist, Personal zu finden. Und auf dem Land ist es oft schwieriger als in der Stadt.

Was lässt sich dagegen tun?

Wir müssen das Handwerk und die berufliche Ausbildung attraktiver machen. Dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik. Ein Beispiel: Studenten erhalten stark subventionierte Semestertickets für den Nahverkehr. Für Azubis gibt es vergleichbare Angebote hingegen nicht überall. Dabei müssen auch die Lehrlinge zu ihrem Betrieb und zur Berufsschule kommen. In ländlichen Regionen sind viele Arbeitgeber bereit, ihren Azubis einen Zuschuss zum Führerschein zu zahlen oder die Kosten komplett zu übernehmen. Das sollte der Staat fördern.

An was denken Sie?

Ausgang der Überlegungen ist: Es gibt viele Handwerksbetriebe, die zwingend Personal mit Führerschein benötigen. Und es gibt viele Azubis, die sich einen Führerschein nicht leisten können – was gerade auf dem Land eine weitere Hürde für eine Berufsausbildung sein kann. Betriebe, die junge Leute ausbilden, erfüllen eine Aufgabe im Sinne der Gesellschaft. Das Beste wäre, wenn Lehrlinge in ländlichen Regionen direkt einen Zuschuss vom Staat zu den Kosten des Führerscheins erhielten. Der könnte etwa die Hälfte der Kosten übernehmen. Man könnte aber auch bei den Betrieben ansetzen.

Wie müsste das dann aussehen?

Greifen Betriebe ihren Azubis beim Führerschein finanziell unter die Arme, sollte darauf bei den Azubis nicht wie bisher Lohnsteuer und Sozialversicherung anfallen. Bisher steht einer solchen steuer- und sozialfreien Bezuschussung von Führerscheinkosten die Rechtsprechung entgegen. Demnach führt die Kostenübernahme bei PKW-Führerscheinen – anders als bei LKW-Führerscheinen, wo ein überwiegend betriebliches Interesse angenommen wird -, zu einem geldwerten Vorteil bei den Arbeitnehmern und Azubis. Es wird argumentiert, dass der Lehrling den Führerschein im Grunde ja privat benötige. Heutzutage ist jedoch der Führerschein und ein eigenes Auto für viele Jugendliche gar nicht mehr so erstrebenswert wie noch vor einigen Jahren. Da hat sich etwas verändert, und das sollte man berücksichtigen.

Sie führen einen Dachdeckerbetrieb in Dresden. Wie lange muss man bei Ihnen auf einen Termin warten?

Havarie-Einsätze werden natürlich schnell erledigt – so wie bei etlichen anderen Betrieben verschiedenster Gewerke auch. Ansonsten kann man sagen, dass bei größeren Projekten vielerorts die Wartezeiten nicht mehr ganz so lang sind wie noch vor ein oder zwei Jahren. Wenn ein Eigentümer das Dach seines Hauses neu decken oder ein neues Bad einbauen lassen will, dürften vielerorts Wartezeiten von etwa zwölf Wochen üblich sein. Ich finde das nicht unangemessen lang. Im konkreten Fall hängen die Wartezeiten von der Branche und der Region ab.

Wird Zuwanderung helfen, die Fachkräftelücke zu schließen?

Helfen ja, aber das Allheilmittel ist sie sicher nicht. Zuwanderung  wird ein wichtiger Mosaikstein der Lösung sein. Das Handwerk ist seit jeher gut darin, Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu integrieren. Zum Glück ist es heute breiter Konsens in Deutschland, dass wir mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen. Aber um hier erfolgreich zu sein, ist noch einiges zu tun. Verwaltungsverfahren, etwa bei der Visa-Erteilung, müssen schneller werden.  Die Ausländerbehörden müssen sich in echte Welcome-Center wandeln. Und natürlich sind auch die Kommunen gefragt,  Zuwanderern beim – wie ich es nenne – ‚Nestbau‘ zu helfen und dabei, sich hier zurechtzufinden.

In vielen Teilen Deutschlands ist Ausländerfeindlichkeit weit verbreitet, gerade auch im Osten. Können Sie Menschen aus anderen Ländern guten Gewissens empfehlen, hierher zu kommen?

Wenn ich das nicht könnte, wäre ich als ZDH-Präsident an der falschen Stelle. Ich möchte die Probleme nicht ignorieren. Ich möchte als Antwort darauf denen den Rücken stärken, die versuchen, Lösungen zu finden.

 Zuletzt haben Rechtsextremisten zu sogenannten "Handwerker-Demonstrationen" aufgerufen. Wie offen ist Ihre Branche gegenüber Migranten?

Das Handwerk ist bei der Integration besser als andere Branchen, und was den Bereich der Ausbildung betrifft geradezu Integrationsmeister. Knapp die Hälfte aller beruflichen Ausbildungen von Geflüchteten aus den häufigsten Asylzugangsländern seit 2015 fand im Handwerk statt. Dass es auch im Handwerk Menschen gibt, die auf einem falschen Weg sind, kann ich nicht wegwischen. Das Handwerk ist als große Gesellschaftsgruppe immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Strömungen. Aber grundsätzlich gilt bei uns im Handwerk: Es zählt nicht, wo man herkommt, sondern wo man hinwill. Nach diesem Grundsatz handeln die allermeisten Handwerksbetriebe.

Braucht es eine vereinfachte Vergabe des deutschen Passes?

Wir müssen den Leuten, die zu uns kommen sollen, etwas bieten. Wenn das Staatsbürgerschaftsrecht dabei ein Argument sein kann, erscheint mir eine vereinfachte Passvergabe für den Fall ein gangbarer Weg, wenn sie denjenigen Zuwanderern in Aussicht gestellt wird, die sich gut integriert haben und ihren Beitrag zum Gemeinwesen nachweislich erbringen.

Braucht es mehr Flexibilität bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen?

Als Handwerk haben wir vorgeschlagen, ins Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit aufzunehmen, dass Berufserfahrungen stärker berücksichtigt werden. Hier muss die Bundesregierung flexibel sein und sollte das aufgreifen. Wir müssen verstärkt berufliche Erfahrungen und Fähigkeiten bewerten und schauen, wie wir die nutzen können. Denn wir werden wohl nur schwer in Indien oder Vietnam einen ausgebildeten Elektroniker für Gebäudesystemintegration finden. Doch die Menschen dort haben abgeschlossene Ausbildungen und oft langjährige Berufserfahrungen.

Auch im Inland gibt es Potenziale für Fachkräfte. Das Handwerk ist immer noch von Männern dominiert. Wie kann die Branche für Frauen attraktiver werden?

Frauen wählen häufig kreative Handwerksberufe. Weit oben auf der Beliebtheitsskala rangieren Berufe wie Goldschmiedin, Maßschneiderin, Friseurin, Konditorin oder Augenoptikerin. Aber auch einzelne technische Berufe, etwa Zahntechnikerin oder Orthopädieschuhmacherin, sind bei Frauen beliebt. Bei den früher männerdominierten Handwerksbereichen gibt es ohne Frage noch Luft nach oben, aber die Quoten steigen erfreulich an. Auch in Berufsbildern wie etwa Dachdeckerin oder Zimmerin geht es vorwärts. Nicht zuletzt trägt der technische Fortschritt dazu bei, weil dadurch körperlich beanspruchende Arbeiten einfacher oder ganz ersetzt werden. Mussten die Dachziegel vormals nach oben getragen werden, gibt es dafür heute Hebetechniken. Zur Schadensfeststellung muss man nicht mehr aufs Dach steigen, das übernehmen heute Drohnen.

Eine weitere Stellschraube wäre ein höheres Renteneintrittsalter. Als Gegenargument wird häufig der Dachdecker genannt. Sie sind selbst Dachdecker. Ist ein höheres Renteneintrittsalter als mit 67 Jahren körperlich machbar?

Mich stört es, dass immer der Dachdecker für die Debatte herhalten muss. Generell gilt: Wir brauchen definitiv mehr Flexibilität beim Renteneintritt, und wir brauchen Anreize, dass die Menschen länger in Arbeit bleiben.

Arbeitsminister Hubertus Heil plant, dass Arbeitnehmer künftig in bezahlte Bildungszeit gehen können. Sie sollen bis zu ein Jahr freigestellt und von der Bundesagentur für Arbeit unterstützt werden. Befürworten Sie das?

Weiterbildung ist nötig. Und allen innovativen Betrieben ist klar, dass sie Weiterbildung anbieten müssen. Und das tun sie  - auch in dem Wissen, sonst kein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Aber wieder als Staat per Gesetz pauschal für alle alles regeln zu wollen, halte ich für den falschen Weg.

Warum?

In Zeiten des Fachkräftemangels staatlich zu verordnen, dass sich noch viel mehr Menschen zeitweise aus dem Arbeitsprozess verabschieden, halte ich nicht für zielführend.

Der Minister plant, dass die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich sein soll. Reicht das nicht?

Der Chef braucht dann aber ziemlich gute Gründe, um nein zu sagen. Das gibt dann wieder Ärger. Die Entscheidung über Weiterbildungen sollte in der Hand der Betriebe bleiben.

Der Bund wendet etliche Milliarden Euro auf, um Strom und Gas bezahlbar zu halten. Kommen die Hilfen bei den Handwerksbetrieben an?

Die Energiepreisbremsen sind auf dem Weg. Das ist beruhigend. Aber sehr problematisch ist aus unserer Sicht, dass bei den Härtefallhilfen die Dinge nicht vorangehen. Wenn da nicht endlich etwas passiert und die in Aussicht gestellten Härtefallhilfen an die betroffenen Betriebe fließen, dann droht Betrieben das Geld auszugehen und schlimmstenfalls werden sie pleitegehen.

Was ist da los?

Der Bund hat gesagt, wir geben eine Milliarde Euro, um dem Mittelstand zu helfen. Die Länder können auch Geld dazugeben und sollen die Regeln für die Vergabe aufstellen. Aber Bund und Länder kommen einfach nicht  in die Pötte. Es fehlen noch die Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern. Die aber sind die Voraussetzung, damit die Mittel fließen. Doch es wird weiter – als hätte man alle Zeit der Welt - diskutiert und man ist weit entfernt davon, die so dringend nötigen Förderrichtlinien endlich zu beschließen. Die Betriebe haben diese Zeit nicht, bei denen liegen die Abschlagsrechnungen bereits in den Briefkästen. Die Härtefallhilfen sollen auch gerade dazu dienen, dass die betroffenen energieintensiven Betriebe die Monate Januar und Februar überbrücken können, weil die Energiepreisbremsen ja erst im März rückwirkend greifen werden. Jetzt ist es Ende Januar – und immer noch unklar, wann und unter welchen Bedingungen wieviel Geld fließt. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Betrieben, die in der Substanz gesund sind, aber nach der Coronakrise kaum noch Liquiditätsreserven haben. Die müssen jetzt für zwei Monate hohe Energiekosten vorfinanzieren, können es aber nicht. Wenn erst Ende Februar Hilfe kommt, ist es womöglich schon zu spät.

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