Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
30.11.2023

Mit dem Herzen zu 100 Prozent fürs Handwerk

Jörg Dittrich meistert den Spagat zwischen Familie, Betrieb und Politik. Davon konnte sich Patrick Neumann vom "handwerk magazin" überzeugen, als er den ZDH-Präsidenten einen Tag lang bei seinen Terminen begleitete und anschließend interviewte.
Portrait Dittrich

handwerk magzin: Herr Dittrich, Sie sind jetzt seit knapp einem Jahr ZDH-Präsident. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Jörg Dittrich: Ich bin von Hans Peter Wollseifer fachlich und persönlich auf eine besonders positive Art und Weise vorbereitet und ins Amt eingeführt worden. Insofern hatte ich schon eine Vorstellung von der Arbeitsbelastung und den Themen. Natürlich fragte ich mich zu Beginn: Was kann ich in diesem Amt bewegen und wie werde ich aufgenommen? Ganz klar: Die ehrliche Wertschätzung der Gesellschaft und der Politik fürs Handwerk, die ich beim Start ins Amt immer wieder gespürt habe, das hat mich beeindruckt. Das war keine gespielte Wertschätzung! Natürlich weiß ich, dass meine eher extrovertierte Art es mir auch nicht besonders schwer macht, schnell eine persönliche Verbindung zu Ministerinnen und Ministern aufzubauen. Meine Empfindung heute: Ich laufe da nicht mehr als Neuling durch die Gegend.

Der Start Ihrer Amtszeit fiel ja mitten in die Multikrise.

Ja, die ersten Treffen und das Kennen­lernen waren überschattet davon, dass die Krisensituation nicht vorbeiging. Im Winter und in der Energiekrise waren wir froh, dass wir keine Gas-Mangellage hatten. Die Hoffnung war, dass es dann besser wird. Aber die Gründe sind ja ­bekannt, warum es nicht besser geworden ist: Inflation, gestiegene Zinsen, ­gedämpfte Wirtschaft, Krise am Bau und jetzt noch Nahost. Es kommen immer mehr Krisen dazu – eine Besonderheit! Die Regierung muss sich mit prag­matischer Krisenbewältigung bewähren. Aber sie darf dennoch nicht vergessen, langfristige Weichen zu stellen und Reformen auf den Weg zu bringen, damit es auch in Zukunft gut weitergeht in unserem Land. Und bei diesen Entscheidungen muss dann auch die immer wieder zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung in die konkreten Gesetzesvorhaben einfließen. Als Zentralverband drängen wir stark da­rauf, als Teil der Lösung einen verbesserten Rahmen für die Arbeit des Handwerks zu schaffen.

Kommen wir zum politischen Berlin: Wie ist es, zum ersten Mal den Kanzler oder den Wirtschaftsminister zu treffen?

Ich habe es als spannend wahrgenommen. Es ist die Chance, hinter den Vorhang zu schauen und gleichzeitig ganz schnell auf den Punkt zu kommen. Und ich kann Ihnen sagen: Haupt- und Ehrenamt im ZDH schieben im politischen Berlin wie verrückt Themen an – alle miteinander.

Sind die Multikrisen anstrengender für Sie als Handwerksunternehmer oder als ZDH-­Präsident?

Ich glaube, es ist eine Typfrage, wie stark man sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigt. Und ich möchte jetzt nicht als Guru wahrgenommen werden: Aber wenn ich mir die Schwachstellen am deutschen Standort anschaue, dann bin ich nicht überrascht, dass sich das an vielen Stellen krisenhaft zuspitzt und massiv verändert. Ursachen sehe ich da vor allem im demografischen Wandel in unserem Land und in der Digitalisierung.

In der Digitalisierung?

Was ist der Gamechanger in der Digitalisierung: das Internet, das Smartphone, die sozialen Medien oder ChatGPT? Wir sind hier doch mittendrin im Wandel. Natürlich werden wir als Handwerk die Digitalisierungsthemen wie Datennutzung und Automatisierung nutzen. Das müssen wir auch, denn die Veränderungen kommen, ob wir wollen oder nicht. Aber gleichzeitig können wir im Handwerk doch die Gewissheit haben, dass weiterhin eine ganze Menge individueller, handwerklicher Tätigkeiten bleiben. Ich bin sehr optimistisch, dass immer mehr Menschen erkennen: Wenn ich Stabilität im Wandel will, muss ich ins Handwerk gehen. Hier werden Berufs­bilder nicht verschwinden, sondern sie entwickeln sich weiter.

Apropos Beruf. Hat Sie Ihr Vorgänger auf einen Fulltime-Job vorbereitet?

Hans Peter Wollseifer wollte einen Nachfolger haben, der zu 100 Prozent fürs Handwerk da ist. Das bin ich nicht! (lacht) Weil ich die Familie und den Familienbetrieb habe. Aber er meinte vor allem, dass man mit dem Herzen zu 100 Prozent fürs Handwerk da sein muss. Deshalb betone ich auch immer: Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die ich durch die Firma habe, gibt mir gegenüber der Politik die notwendige Glaubwürdigkeit und Durchsetzungskraft. Ich muss die Erlebniswelt des Handwerkers von der nächsten Straßenecke haben, um dessen Anliegen auch vermitteln zu können. Und das Arbeiten in der Familie ist ein großer Antrieb für mich.

Gibt es Punkte, an denen Sie merken, dass Sie das Amt verändert hat?

Ich sage immer scherzhaft: Schlafmangel gehört zum Job! Aber ich habe große Freude an der Arbeit als ZDH-Präsident und ich bin furchtbar neugierig. Aber die Bestätigung aus dem eigenen Firmen-­Engagement, das hat tatsächlich für mich noch mal eine ganz besondere Bedeutung – dieses Unternehmerische ist ganz wichtig für mich. Als ZDH-Präsident bringe ich die Dinge aus der Praxis ein, mit dem Blickwinkel des eigenen Erlebens.

Wie begegnen Sie der aktuellen Stimmungslage in Deutschland?

Wir werden gute Lösungen für die He­rausforderungen finden! Deutschland ist wirtschaftlich stark, wir sind innovativ und das Beharrungsvermögen der Menschen, den eigenen Wohlstand zu halten, ist groß und wird sie motivieren, alles dafür zu tun, dass das so bleibt. Ganz wichtig: Wir brauchen jetzt ein positives Narrativ für die Gesellschaft.

Initiativen, auf die Sie besonders stolz sind?

Das Gebäudeenergiegesetz war im ersten Vorschlag sehr untauglich. Viele Kritikpunkte konnten wir dank des Zusammenspiels der Verbände und des klugen Agierens ausmerzen. Die Stimmung ist diesbezüglich trotzdem ganz schlecht, weil der erste Vorschlag so schlecht war und viele das Gefühl hatten, dass dies so beschlossen wurde. Zudem ist es gelungen, aus dem Bündnis für bezahlbaren Wohnraum einen Baukrisengipfel zu machen. Parallel dazu sind mir als Themen wichtig, wie es gelingen kann, die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme fairer zu machen. Und dann natürlich ist mir das Themenfeld Fachkräftesicherung, Bildungswende und Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR) ganz wichtig.

Wieso sind Sie bei der 4-Tage-Woche so kritisch?

Ich bin nicht kritisch mit der 4-Tage-­Woche. Wenn man so will, bin ich konservativ beim Gedanken, dass immer noch Leistung für Wohlstand und ein gutes Leben nötig ist. Ich kann es mir einfach vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs, in dem wir stehen, nicht vorstellen, dass alle flächendeckend in der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich weniger Stunden arbeiten. Diese Wettbewerbs­fähigkeit haben wir nicht! Wenn man eine 4-Tage-Woche machen möchte, muss das in der Freiheit der Betriebe stehen.

Das heißt, gegen die individuelle Entscheidung des Unternehmers pro 4-Tage-Woche haben Sie nichts …

… überhaupt nicht! Ich habe etwas gegen die Diskussion: Alle können jetzt vier Tage arbeiten – bei vollem Lohnausgleich. Da verrennen wir uns gerade. Sehen Sie: Ich habe mich immer gefragt, was konservativ ist. Ich bin beispielsweise davon überzeugt, dass sich Leistung lohnen muss. Deshalb halte ich auch nichts von Gleichmacherei.

Wie bekommen wir es hin, dass für viele Eltern nicht mehr nur noch das Studium als einziger Karriereweg für die Kinder zählt?

Das ist ein Dreiklang. Erstens: Wenn wir Handwerkerinnen und Handwerker uns nicht als modern und zukunftsgewandt darstellen, dann können wir nicht erwarten, dass es die Gesellschaft für uns tut. Deshalb ist die Imagekampagne so wichtig. Und: Für andere da zu sein – dieser Servicegedanke ist doch cool. Wenn ich irgendwo hinkomme und es regnet rein, freuen sich die Leute darüber, wenn ich das Dach repariere. Das ist eine unglaubliche Bestätigung. Der ­zweite Punkt: Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, also die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Dazu gehört auch die Chance, in diesen Handwerksberufen Geld zu verdienen. Werden andere Geschäftsmodelle bevorteilt und das Handwerk benachteiligt, ist das ein unfairer Wettbewerb. Stichwort sind hier die Sozialabgaben, die vor allem an den Faktor Lohn gekoppelt sind, was sich im lohnintensiven Handwerk natürlich bemerkbar macht.

Und drittens?

Der Wandel in der Gesellschaft – in den Köpfen der Eltern, der Lehrer und der ­Jugendlichen.

Wir haben uns viel über Ihr Pensum und die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt unterhalten. Gibt es etwas, das Sie im zweiten Jahr der Präsidentschaft anders machen werden?

Da fällt mir nichts ein. Natürlich ist mein Handeln nicht alternativlos. Deshalb schaue ich genau hin, wie die Belastung der Familie ist. Wenn ein Nachsteuern nötig ist, dann sicherlich vor allem dort.

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