Mit Problemlösungen extremen Entwicklungen den Boden entziehen
Dieses Interview ist zuerst bei FUNKE Mediengruppe erschienen.
Herr Dittrich, Menschen in Deutschland warten Wochen oder gar Monate auf Handwerker. Haben Sie einen Tipp, um schneller einen Termin zu bekommen?
Na, ich würde dazu raten, guten Kontakt zu Handwerkern vor Ort zu pflegen (lacht). Natürlich kann man Auskünfte zu Fachbetrieben bei den Innungen und Handwerkskammern erhalten. Und für die allermeisten in unserer Branche ist es keine Frage, dass sie trotz voller Auftragsbücher Kunden in Not nicht hängen lassen und Notanfragen umgehend bearbeiten – damit die Menschen sehen, dass sich das Handwerk kümmert. Dass man aber bei langfristigen Plänen sechs oder acht Wochen warten muss, bis der Handwerker vorbeikommt, das halte ich nicht für ungewöhnlich, sondern eher für normal.
Warum?
Das ist in anderen Branchen auch nicht anders. Auf ein neues Auto wartet man auch länger. Darauf sollten sich die Menschen einstellen. Denn angesichts des Fachkräftemangels ist nicht zu erwarten, dass sich das entspannt. Allerdings müssen wir jetzt bei der Nachwuchsgewinnung im Handwerk alles daransetzen, in der Zukunft noch genügend Handwerkerinnen und Handwerker zu haben. Nicht, dass es in einigen Handwerken zu einem Kahlschlag kommt und da dann gar keine Handwerker mehr zu finden sind.
Es gibt im Handwerk so viele offene Stellen wie nie zuvor. Sehen Sie eine schnelle Lösung für die fehlenden Fachkräfte?
Nein, die sehe ich nicht. Und wer immer eine solch schnelle Lösung verspricht, der macht es sich zu einfach mit seinen Antworten und liegt damit meistens falsch. Gerade bei der Fachkräftesicherung ist es die Summe von Dingen, die wir angehen müssen. Vor allem müssen bislang ungenutzte inländische Potenziale ausgeschöpft werden. Wie kann es sein, dass wir von rund 600.000 jungen Menschen nicht wissen, was sie machen und wo sie nach der Schule abbleiben. Da fallen zu viele junge Menschen durch das Raster.
Wie ließe sich das ändern?
Ich halte es für geboten, Vorgaben wie etwa Datenschutzbestimmungen so zu ändern, dass wir wissen, wo diese Jugendlichen sind. Das ist ein riesiges Reservoir von mehreren Hunderttausend potenziellen Fachkräften. Das sehe ich auch bei weiteren Gruppen: Ungelernten, Menschen ohne Berufsausbildung, Langzeitarbeitslosen. Und zusätzlich dazu müssen wir noch als weiteren wichtigen Baustein über gezielte, gesteuerte und qualifizierte Zuwanderung sprechen.
Sie führen einen Dachdeckerbetrieb in Dresden. Vor der anstehenden Landtagswahl ist dort in der AfD eine Partei in Umfragen vorne, die Deutschland vor Zuwanderern abschotten will. Wie attraktiv wirkt das auf Fachkräfte aus dem Ausland?
Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass das Handwerk auf Weltoffenheit und eine Willkommenskultur angewiesen ist. Rassismus, Hass und Hetze sind keine Geschäftsmodelle, die uns helfen, sondern sie schädigen uns. Der Schaden ist aber nicht erst da, wenn möglicherweise einmal extreme Parteien in Regierungsverantwortung kommen. Schon eine breite Diskussion über Themen wie etwa ‚Remigration‘ ist schädlich. Im Handwerk zählt nicht, wo man herkommt, sondern wohin man will. Alle, die integrationswillig und -fähig sind, sind im Handwerk willkommen. Das haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Und darauf sind wir stolz.
Die AfD inszeniert sich gerne als starker Partner des Handwerks. Verfängt das bei Ihren Kollegen?
Mir ist keine Statistik bekannt, dass das Handwerk stärker als andere Berufsgruppen bei extremen Parteien verankert ist. Politik sollte sich mit den Themen beschäftigen, die den Menschen Angst machen, die auch Wut erzeugen. Es ist Aufgabe der Politik, Entwicklungen den Boden zu entziehen, die uns Schaden zufügen. Dazu gehört auch einzugestehen, wenn Pläne nicht funktionieren. Das passiert gerade aber nicht.
Wie steht es um den Stellenwert der Berufsausbildung?
Da haben wir in Deutschland immer noch schwer nachzuholen. In den vergangenen Jahrzehnten war es gesellschaftlich und bildungspolitisch erwünschter, möglichst viele junge Menschen zum Studieren zu bekommen. Nicht dass ich missverstanden werde: Es geht mir nicht darum, dass weniger Schülerinnen und Schüler Abitur machen. Aber sie sollten danach dann auch tatsächlich zwischen allen denkbaren Berufs- und Karriereoptionen entsprechend ihrer Talente wählen können. Wir benötigen schließlich qualifizierte Leute, die Wärmepumpen einbauen oder Smart-Home-Anwendungen verstehen. Mir geht es um eine tatsächlich gleichwertige Behandlung von beruflicher und akademischer Ausbildung.
Was fehlt Ihnen dabei?
Die Realität sieht doch so aus: Bei der akademischen Bildung gibt es einen neuen Hörsaal, ein Semesterticket, Studentenwohnheime und Mensen mit bezuschusstem Essen. Nicht so bei Azubis. Da steht beispielsweise aktuell noch weiter unsere Forderung nach einer Azubi-Ermäßigung des Deutschlandtickets im Raum. Das kann so nicht bleiben!
Sind die jungen Menschen denn noch so gut wie vor zwei, drei Jahrzehnten, wenn es ums Bohren, Hämmern oder Sägen geht?
Das findet im Alltag vieler junger Leute heute kaum noch statt, stattdessen sind sie oft nicht mehr vom Smartphone wegzukriegen. Und in wie vielen Schulen gibt es denn noch Werkunterricht? Wir reden immer davon, dass wir alle Talente fördern wollen. Ich kann nicht erkennen, dass uns das gelingt. In den Klassenräumen geht es um Mint-Fächer und das Auswendiglernen, aber nicht um die Frage, wer besonders gut Holz bearbeiten, Dinge schneidern oder malern kann.
Braucht es an Deutschlands Schulen wieder flächendeckend Werkunterricht?
Das wäre hochsinnvoll. Werken und in der Fortführung dann Berufsorientierung hat nicht erst in den weiterführenden Schulen eine Berechtigung. Damit sollten wir wieder viel früher beginnen. Da geht es ja auch ums Ausprobieren. Die Fähigkeit, Probleme mit den eigenen Händen lösen zu können, das fehlt in vielen Familien doch mittlerweile komplett. Da müssen wir uns nicht wundern, dass viele junge Menschen gar nicht in Erwägung ziehen, einen handwerklichen Beruf zu wählen – einfach auch, weil sie es nicht kennengelernt haben. Und dann sitzen nicht wenige von ihnen später frustriert im Hörsaal, obwohl eine Ausbildung vielleicht die bessere Wahl gewesen wäre.