Nur ein MEHR an alten Rezepten reicht nicht

Foto: ZDH/Henning Schacht
Herr Dittrich, Sie haben vor der Wahl von der Politik entschlossene Signale gefordert. Jetzt bekommen Sie mindestens zwei milliardenschwere Sondervermögen. Bei der Infrastruktur ist das keine Frage, aber profitiert Ihre Branche eigentlich auch von dem Sondervermögen Bundeswehr?
Ich glaube, dass vielen nicht bewusst ist, wie tief das deutsche Handwerk in ganz viele Lieferketten eingebunden ist. Und da rede ich ganz bestimmt nicht nur vom Catering für die Beratungen der Rüstungskonzerne, sondern von der Zulieferung, die auch für die Industrie stattfindet. Wenn so eine große Menge Geld in den Wirtschaftskreislauf hineinkommt, dann hat das definitiv Auswirkungen auf das Handwerk.
Haben Sie überhaupt genügend Leute und ausreichend Material, um Kindergärten zu renovieren, Brücken zu sanieren, und was da bald noch alles so auf dem Auftragszettel stehen mag?
Wir gehen davon aus, dass mehr als 200.000 Stellen im Handwerk momentan nicht besetzt sind. Wir stehen am Anfang der Welle, dass die Babyboomer in Rente gehen. Es wird nicht nur im Handwerk, sondern in allen Sektoren der Wirtschaft Engpässe geben. Wir müssen gegensteuern auf allen uns möglichen Feldern. Selbst wenn alle Probleme auf der Welt verschwinden würden, das Fachkräftethema würde bleiben. Doch Erfahrungen – etwa beim Photovoltaik-Ausbau, bei dem viele anfangs befürchteten, es gäbe zu wenige Fachkräfte – haben gezeigt: Wenn Planungssicherheit besteht und der Hochlauf von Investitionen klug organisiert wird, dann ist das zu stemmen und finden sich die benötigten Kapazitäten.
Sie und der ZDH beklagen schon seit vielen Jahren eine überbordende Bürokratie. Hat sich da eigentlich inzwischen Spürbares getan oder ist die Bremswirkung immer noch hoch?
Die Bürokratie ist ein so mächtiger Krake geworden, dass sie zum Staatsversagen führen kann. Wir müssten schnell Geschwindigkeit aufnehmen, um die mit den Sondervermögen verbundenen Ziele umzusetzen. Doch das Ausmaß an Bürokratie, dem sich Betriebe aktuell gegenübersehen, lässt das nicht zu.
Nennen sie doch bitte mal ein Beispiel.
Nehmen Sie eine Fleischerei, die ihre Räume neu fliesen möchte. Aus dem Arbeitsschutz folgt, dass die Fliesen eine bestimmte Rutschfestigkeit haben und deshalb rau sein müssen. Die Lebensmittelkontrolle fordert gleichzeitig besonders glatte Fliesen, damit sich keine Keime bilden. Also werden Sie mit einer der beiden Behörden Ärger bekommen.
Jeder Wirtschaftsverband durfte bei Robert Habeck die zehn idiotischsten bürokratischen Vorschriften benennen, der Wirtschaftsminister versprach, dass er da was macht. Am Ende ist wenig rausgekommen. Hat Habeck die Durchschlagskraft gefehlt?
Der Bürokratieabbau hängt ja nicht nur an einem Ministerium. Aber ja, über alle Bereiche hinweg betrachtet sind die Ergebnisse dürftig. Wir müssen viel schneller werden. Wenn uns das nicht gelingt, wird der Abstand zu anderen Ländern noch größer werden. Es gab mal eine Zeit, da waren wir beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf einer Höhe mit den USA. Das ist schon lange her.
Friedrich Merz will unter anderem ein eigenes Digitalministerium schaffen. Und einen Staatsminister für Sport und Ehrenamt. Würde es Sinn machen, dass man das Thema Bürokratie ähnlich herausgehoben betrachtet? Oder sogar so weit geht, wie es in den USA passiert ist, wo Elon Musk ganz viele Stellen und damit auch Bürokratie abbauen will?
Bürokratieabbau klingt immer schön, wenn damit aber ernst gemacht wird, ist das schmerzhaft. Es gäbe weniger Kontrolle und die Kontrolleure bräuchten eine andere Aufgabe. Was Elon Musk angeht - eine einzelne Person dafür zu inthronisieren, kann ich mir für unsere Demokratie nicht vorstellen. Es gibt aber bereits Institutionen, denen man mehr Rechte geben kann, um die Bürokratie ernsthaft in den Griff zu bekommen. Ich denke da zum Beispiel an den Normenkontrollrat.
Nach der Wahl war der Osten blau eingefärbt. Es gab dort besonders viele Menschen, die die AfD gewählt haben. Hat Sie dieses Wahlverhalten überrascht?
Das Erstarken von Parteien am rechten wie linken Rand, die populistische Antworten auf politische Herausforderungen geben, besorgt mich. Es würde allerdings den Blick in die falsche Richtung lenken, wenn wir das als rein ostdeutsches Thema abtun. Das ist im Westen genauso angekommen. Mir macht diese populistische Welle grundsätzlich Sorgen, weil der Populismus einen Schuldigen sucht und meint, in der Disruption liege die Lösung. Doch populistische Forderungen wie die Enteignung von Unternehmen, der Austritt aus der Europäischen Union oder auch die Abschaffung des Euro führen ganz bestimmt nicht zur Wohlstandsmehrung Deutschlands.
Was sollte sich ändern?
Der Sozialstaat muss Menschen schützen, denen es nicht gut geht. Aber ich sehe deutlich, dass es ganz viele Menschen gibt, die ihre Leistung gewürdigt sehen wollen. Das gilt es in den Fokus zu nehmen. Nur einfach ein Mehr vom alten Rezept wird die Menschen nicht überzeugen.
Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde. Eigentlich doch eine tolle Sache. Aber gewürdigt wird das nicht.
Wir spielen in der Champions League, aber wir spielen momentan nicht um den Sieg. Und für ein Land, das es gewöhnt war, in der Champions League ganz oben zu sein, ist schon das Mittelmaß ein gefühlter Abstieg. Und es ist auch ein realer, wenn wir nicht gegensteuern. Genügsamkeit reicht da nicht. Zum Glück gibt es aber ja auch positive Entwicklungen.
Zum Beispiel?
Na, der von mir schon angeführte Photovoltaikausbau etwa: Da hieß es zunächst, dass dafür zehntausende Arbeitskräfte fehlen würden. Am Ende ist die Photovoltaik im Zubau über den Erwartungen gelandet. Daran sieht man, dass die Soziale Marktwirtschaft Lösungen sucht und findet. Dafür braucht es aber politische Verlässlichkeit und Stabilität.
Die alte Regierung hatte mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz zumindest auf dem Papier Erleichterungen beschlossen, damit mehr qualifizierte Menschen aus dem Ausland nach Deutschland kommen können. Das Handwerk hatte das auch immer wieder gefordert. Hat das bisher gefruchtet?
Es gibt in der Tat erste positive Entwicklungen. So sind die Visa-Bearbeitungszeiten kürzer geworden, die Menschen kommen schneller ins Land. Das Zuwanderungsgesetz war ein ganz wichtiger Schritt. Wir müssen diesen Weg entschlossen weitergehen und weiter nach Potenzialen suchen, weil wir selbst dann, wenn es gelingt, alle inländischen Reserven zu heben, rein zahlenmäßig nicht ohne eine gesteuerte Zuwanderung in unser Arbeitssystem auskommen werden. Auch nicht dann, wenn wir die Produktivität steigern. Wir werden trotzdem Menschen benötigen, die bereit sind, hier mitzuarbeiten.
Im Zusammenhang mit der am Mittwoch beginnende Internationalen Handwerksmesse und dem Kongress ZUKUNFT HANDWERK findet am 14. März wieder das Münchner Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft statt. Olaf Scholz kommt. Was gibt es denn mit einem Kanzler auf Abruf noch zu besprechen?
Wir tun als Organisation alles dafür, dass die ZUKUNFT HANDWERK und die IHM zu einem Hotspot des Handwerks, ja zum Wacken des Handwerks werden. Wir wollen, dass sich dort junge Menschen mit Influencern und innovativen Betrieben treffen, sich austauschen und eine positive Stimmung mitnehmen. Dafür bieten wir viele verschiedene Formate an. Die Gesellschaft soll wissen, dass sich das Handwerk nicht zum Abgesang trifft, sondern an Kraft strotzt und Impulse in die Gesellschaft und in die Politik gibt.
Das war der Werbeblock. Und was ist mit Herrn Scholz?
Es gebietet der Respekt vor dem Amt und den Strukturen, dass wir den Bundeskanzler gerne zu Besuch haben und uns mit ihm unterhalten. Und natürlich gibt es auch jetzt – in einer international extrem schwierigen Lag mit Auswirkungen auf die Wirtschaft – Gesprächs und Informationsbedarf und es interessiert uns, welche Schlussfolgerungen Herr Scholz aus drei Jahren Kanzlerschaft zieht. Darüber werden wir auch mit den kommenden Verantwortungsträgern sprechen. Friedrich Merz etwa plant, auch nach München zu kommen.