Pluspunkte des Koalitionsvertrages schnell umsetzen

Foto: ZDH/Henning Schacht
Dieses Interview ist zuerst bei FUNKE-Medien erschienen.
Herr Dittrich, Deutschland ist einer neuen Regierung einen Schritt näher. Ist das, was im Koalitionsvertrag steht, eine gute Nachricht für das Handwerk?
Wir haben disruptive geopolitische Veränderungen. Deutschland befindet sich das dritte Jahr in der Rezession. Zehntausende Jobs gehen verloren. Wir brauchen in dieser Lage jetzt vor allem schnell eine handlungsfähige Regierung. Gut ist daher, dass sich die Parteien schnell auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben. Das zeigt: Es ist verstanden worden, dass jetzt nicht die Zeit für parteipolitische Eitelkeiten ist. Für die Regierungsarbeit wichtig ist, was dann von dem Vertrag konkret umgesetzt wird.
Wovon profitiert das Handwerk am stärksten?
Ein ganz großes Plus ist der vorgesehene Bürokratierückbau. Hierzu gibt es umfangreiche Pläne. Das beginnt bei konkreten Zielen zur Verkleinerung von Bundesbehörden bis zur Abschaffung der Bonpflicht beim Bäcker. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die neuen Abschreibungsmöglichkeiten bei Investitionen. Und wesentlich ist die Senkung der Strompreise.
Wo wird das Handwerk am meisten gegängelt? Haben Sie ein Beispiel für besonderen bürokratischen Wahnsinn?
In zu vielen Fällen müssen Dinge nur für mögliche spätere Kontrollen dokumentiert werden. Das ist so, als wenn Sie dazu verpflichtet würden, täglich ein Formular auszufüllen, dass Sie an dem Tag nicht zu schnell Auto gefahren sind. Natürlich ist es richtig, dass etwa der Zoll auf Baustellen wegen Schwarzarbeit kontrolliert. Aber macht es Sinn, dafür auch wissen zu wollen, wer wann vor 2 Jahren Pause gemacht hat. Wer das nicht lückenlos nachweisen kann, wird bestraft. Das ist doch absurd. Diese ausufernde Bürokratie führt zu Verdruss, Misstrauen und am Ende zum Staatsversagen, weil wir uns inzwischen selbst so viel auferlegt haben, dass das im Grunde kaum noch eingehalten werden kann.
Sie wünschen sich also weniger Dokumentationspflicht, dafür aber mehr unangekündigte Kontrollen?
Wir brauchen wieder mehr Zutrauen und Vertrauen. Wenn jemand gegen Gesetze verstößt, muss er bestraft werden. Aktuell jedoch dokumentieren wir uns um Kopf und Kragen.
Die Strompreise sollen um 5 Cent je kWh sinken – reicht das?
Fünf Cent sind schon mal eine deutliche Entlastung. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise. Ein niedriger Strompreis dürfte auch dazu beitragen, den Klimaschutz und die Transformation zu fördern. Ist Strom preiswert, lohnen sich neue Technologien wie Wärmepumpe oder E-Autos von allein.
Was ist im Koalitionsvertrag kontraproduktiv für das Handwerk?
Dass sich darin keine Verabredungen dazu finden, wie man die ausufernden Kosten für die sozialen Sicherungssysteme – wie Krankenkassen, Pflegeversicherung oder Renten - in den Griff bekommen will. Steigende Sozialabgaben schlagen im lohnintensiven Handwerk deutlich stärker als in anderen Bereichen zu Buche. Dadurch werden lohnintensive Leistungen immer teurer oder sogar unbezahlbar. Bei den Sozialabgaben droht ein Kosten-Tsunami. Die Schwarzarbeit steigt zunehmend, weil der Kostendruck zu hoch ist – zum Beispiel im Friseurhandwerk. Ein Prozent mehr etwa bei den Krankenkassenbeiträgen klingt erst einmal wenig. Doch das bedeutet 19 Milliarden Euro Belastung: an Mehrkosten für die Betriebe und an Kaufkraftentzug für Beschäftigte.
Was schlagen Sie konkret vor? Abschaffung der Kranken- oder Pflegeversicherung? Finanzierung über Besteuerung von Aktiengewinnen?
Mir geht es darum, dass die sozialen Systeme auch in Zukunft gut funktionieren. Aber wir können die Kosten nicht allein der jüngeren Generation aufbürden. Wir müssen uns fragen: Was können wir uns noch leisten? Wir alle müssen uns bewegen: Ältere und Jüngere. Wir haben im europäischen Vergleich viele Feier- und Urlaubstage, einen hohen Krankenstand. Die Arbeitslosigkeit steigt und die Wettbewerbsfähigkeit nimmt ab. Es ist offensichtlich, dass es so, wie es ist, nicht weitergehen kann.
Ist ein Mindestlohn von 15 Euro für das Handwerk verkraftbar?
Wenn der Mindestlohn um zwei Euro steigt, dann ist der Druck groß, dass auch die sonstigen Tarife im Handwerk steigen. Ein höherer Mindestlohn bedeutet zudem, dass höhere Sozialabgaben fällig sind. Mit diesen höheren Kosten steigt also der Stundenverrechnungssatz. Manche Betriebe fragen sich auch, ob es gerecht ist, wenn man in der Uckermark oder Eifel einen Mindestlohn von 15 Euro aufgedrückt bekommt, und der Mitarbeiter in München davon trotzdem seine Miete nicht bezahlen kann. Aber Fakt ist doch: Es ist Sache der Sozialpartner und nicht der Politik, über Erhöhungen des Mindestlohnes zu entscheiden, dafür haben wir die Mindestlohnkommission.
Sind die Steuerbefreiungen für Überstunden positiv?
Wenn das Arbeitszeitvolumen dadurch steigt, dann ja. Leistung muss sich lohnen. Wer mehr arbeitet, muss einen Vorteil haben. Sollte es aber so sein, dass die Wochenarbeitszeit auf 34 Stunden gesenkt wird und dann die Zuschläge bezahlt werden müssen, werden wir nur teurer und nicht wettbewerbsfähiger.
Wie sinnvoll ist die Umwandlung der täglichen in eine wöchentliche Höchstarbeitszeit im Handwerk?
Es bringt mehr Freiheit und Flexibilität für Beschäftigte und Betriebe – sowohl was die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit betrifft wie auch die Abarbeitung von Aufträgen.
US-Präsident Donald Trump mischt die Weltwirtschaft durch seine Zoll-Eskapaden auf. Inwieweit trifft das auch das Handwerk in Deutschland?
Unsere Wirtschaft ist weltweit verflochten. Die Nachfrage aus dem Ausland trägt etwa 30 Prozent zu unserer Wirtschaftsleistung bei. Das Handwerk ist immer betroffen, sei es als Zulieferbetrieb für Exportprodukte oder auch als Dienstleister für die Industrie. Zieht diese aus Deutschland ab, wird sich das auch auf das Handwerk negativ auswirken.
Sind Handwerker auch Exporteure?
Klar, denken Sie etwa an den Dresdner Christstollen, der bis nach Japan oder Amerika exportiert wird, an Einsätze auf Auslandsbaustellen bis hin zu Sattlereien, die in den arabischen Raum liefern.
Es ist immer noch schwierig, Handwerker zu bekommen. Haben Sie einen Tipp, wie dies besser gelingen kann?
Pflegen Sie einen guten Kontakt zu Ihrem Handwerker wie zu Ihrem Arzt. Das hilft. Aber klar ist: Wir brauchen mehr junge Menschen, die sich für das Handwerk entscheiden. Und wir werden auch gesteuerte Zuwanderung brauchen, um dauerhaft einen guten Service zu bieten.
Wie viele Jobs sind aktuell im Handwerk unbesetzt?
Schätzungsweise rund 200.000 Stellen sind derzeit unbesetzt. Es besteht ein großer Druck, junge Leute zu finden, aber auch produktiver zu werden.
Warum gehen zu wenige junge Leute ins Handwerk?
Das betrifft nicht allein das Handwerk, sondern hat mit der demografischen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte zu tun: In Deutschland wurden zu wenige Kinder geboren. Und aus dieser kleineren Gruppe entscheiden sich dann zu viele Absolventen beispielsweise aus Gymnasien, zu studieren: Viele von denen wären nach ihren Talenten im Handwerk besser aufgehoben. Aber an vielen Gymnasien findet nach wie vor nur Studienberatung und keine Berufsorientierung statt: Was alles möglich ist im Handwerk, darüber wird nicht gut genug informiert.
Welche Gewerke sind für junge Leute besonders zukunftsfest?
Die Ausbildungszahlen in den vielen Klimahandwerken sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Dazu zählen die Bereiche Sanitär-Heizung-Klima, Elektro, Dachdecker, Zimmerer. Im Handwerk sind Jobs momentan kaum durch Künstliche Intelligenz gefährdet, denn noch ist nicht absehbar, dass die KI die Überwurfmutter hinter der Vorwand festschrauben kann. Das Handwerk arbeitet mit KI, aber wird nicht durch KI substituiert. Das ist ein großer Vorteil, gibt Sicherheit.
Immer wieder gibt es Asylbewerber, die hier ausgebildet wurden und mit dem Ende ihrer Ausbildung abgeschoben werden – obwohl weder Betrieb noch Azubi das wollen. Schadet der Eifer der Abschiebungen den Betrieben?
Wir schaden uns nur selbst, wenn wir gut integrierte Menschen abschieben. Wir werden unseren Wohlstand und unsere Sozialsysteme ohne eine gesteuerte Zuwanderung nicht erhalten. Vielfalt, Weltoffenheit und soziale Marktwirtschaft sind die Faktoren, mit denen Deutschland groß geworden ist – warum sollten diese jetzt falsch sein?
2024 gingen geschätzt 62.000 Arbeitsplätze im Handwerk verloren. Ist dieser Abwärtstrend gestoppt?
Leider nein. Dem Bau geht es derzeit nicht gut. Da 60 Prozent der Handwerksbetriebe direkt oder indirekt für den Bau arbeiten, ist die Lage schlecht.
Müssen deshalb auch mehr Betriebe aufgeben oder gehen insolvent?
Handwerker sind keine Schuldenmacher. Manche, vor allem Betriebe mit älteren Meisterinnen und Meistern, geben in der Rezession auf, weil sie ihr Lebenswerk nicht ruinieren wollen. Viele hören auch auf, weil sie einfach keinen Bock mehr haben auf übergriffige Bürokratie, zu hohe Kosten, zu wenig Wertschätzung ihrer selbstständigen unternehmerischen Verantwortung. Wir erleben keine Insolvenzwelle, sondern ein stilles Sterben der Betriebe. Hier gehen zigtausende Arbeitsplätze verloren, die wir so dringend brauchen.