Stetig steigende Sozialbeiträge belasten das Handwerk massiv
Herr Dittrich, frühere Regierungen hatten sich das Ziel gesetzt, die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent eines Brutto-Monatsverdiensts zu drücken. Das gilt für die Ampel nicht mehr. Welche Folgen hat das?
Die Lohnzusatzkosten gehen derzeit durch die Decke: Die Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sind deutlich über die 40-Prozent-Marke gestiegen und sie werden in den kommenden Jahren weiter bedrohlich Richtung 45 Prozent zunehmen. Da bleibt bei den Beschäftigten immer weniger netto vom brutto. Und was vielen vielleicht gar nicht bewusst ist: Für die Arbeitgeber kommen neben der Hälfte der genannten Sozialbeiträge zusätzlich als Belastung noch die Beiträge zur Berufsgenossenschaft, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das 13. und oft auch das 14. Monatseinkommen hinzu.
Was bedeutet das für die Betriebe?
Dass sie immer höhere Kostenbelastungen haben. Und dass es lohnintensive Wirtschaftsbereiche wie das Handwerk stärker und überproportional belastet: Wir können im Handwerk nicht einfach Menschen durch mehr Automatisierung oder KI ersetzen. Sind die Lohnkosten auf Dauer zu hoch, lohnt sich der Betrieb irgendwann nicht mehr. Viele Geschäftsmodelle geraten in Schieflage. Daran hängen Tausende Existenzen. Außerdem ist zu befürchten, dass in die Schwarzarbeit ausgewichen wird und diese zunimmt. Unsere Sozialversicherungssysteme sind aus der Balance gekommen. Ich will nicht als Überbringer von Hiobsbotschaften auftreten. Aber über diese Megaherausforderung wird viel zu wenig gesprochen. Der starke Anstieg der Sozialbeiträge ist eines der zentralen Zukunftsprobleme.
Was muss die Politik jetzt tun, um die Beiträge in den Griff zu bekommen?
Es ist nicht meine Aufgabe, politische Lösungen zu finden. Aber sehr wohl, den Finger in die Wunde zu legen, die Aufmerksamkeit auf virulente Themen zu lenken, grundsätzliche Anregungen zu geben. Dass die Finanzierung der Sozialsysteme dringend neu aufgestellt werden muss, halte ich für mehr als geboten. Eine vorrangig an die Löhne gekoppelte Beitragsfinanzierung wird jedenfalls für die Zukunft nicht der Weg sein. Eine Idee könnte sein, die Eigenvorsorge stärker zu berücksichtigen, um das System zu entlasten…
… heißt das, dass die Krankenversicherung bei nachgewiesen ungesunder Lebensführung teurer werden sollte, etwa für Raucher?
Fakt ist, dass der Weg, den wir derzeit gehen, für Wirtschaft und Gesellschaft, für das Handwerk nicht mehr gesund ist. Und dass dieser Weg auch nicht generationengerecht ist. Wir sind im Handwerk bereit, uns über alles zu unterhalten, was gesellschaftlich mitgetragen wird.
Passt das Rentenpaket noch in die Zeit, das zum schnelleren Anstieg der Rentenbeiträge führen wird?
Diese weiter steigenden Belastungen aus dem Rentenpaket und deren Folgen für Beschäftigte wie Arbeitgeber werden ganz sicher noch Diskussionsstoff zwischen den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung sein. Es geht darum abzuwägen, was ist nötig und möglich. Dem Handwerk kommt dabei besondere Verantwortung zu, weil wir mit den vielen inhaber- oder familiengeführten Betrieben ganz genau wissen, wo der Schuh drückt: Handwerksbetriebe sind der beste Beweis für ein gutes Miteinander, für das gemeinsame Leben und Arbeiten.
Müssen wir also alle länger arbeiten? Ein späteres Renteneintrittsalter dürfte doch gerade im Handwerk auf Widerstand stoßen…
Als Dachdecker ärgere ich mich, dass in der Rentendiskussion immer der Dachdecker als Hemmschuh für eine Reform genannt wird, nach dem Motto: Und du willst, dass der Dachdecker noch im hohen Alter aufs Dach klettert? Erstens könnte er das im Einzelfall vielleicht sogar, zweitens gilt das doch auch für andere Berufsgruppen mit anspruchsvollen körperlichen Herausforderungen. Ich denke, wir müssen stärker die einzelnen Erwerbsbiografien und die Einzahlungszeiträume betrachten: Es macht doch einen Unterschied, ob man seit seinem sechzehnten Lebensjahr arbeitet und Beiträge zahlt oder erst sehr viel später damit beginnt. Aus Sicht der Handwerksarbeitgeber sollten sicherlich auch noch einmal Überlegungen dazu angestellt werden, wie die steigende Lebenserwartung im Rentensystem berücksichtigt wird. Es muss darum gehen: Was ist bezahlbar für die kommenden Generationen!
Über das Bürgergeld ist eine hitzige Debatte entbrannt. Arbeit lohne sich immer weniger, heißt es. Denken so auch Ihre Angestellten?
In den Betrieben und Firmen höre ich vor allem von den dortigen Leistungsträgern Kritik am Bürgergeld. Diese Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, sagen mir, dass sie – allein schon wegen des Begriffs - die Empfindung haben, dass das Bürgergeld eine Wahlleistung ist, als könne man sich aussuchen, ob man arbeitet oder nicht. Genau davor habe ich immer gewarnt.
Was muss sich beim Bürgergeld ändern?
Wir müssen endlich wieder die Leistungsträger auf der Baustelle, in der Werkstatt, in der Produktion oder bei Dienstleistungen in den Blick rücken. Ihre Arbeit und Leistungen müssen wertgeschätzt und auch durch Anreize anerkannt werden. Den Leistungsträgern muss das klare Signal gegeben werden, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, dass es sich lohnt, wenn man arbeitet. Viele berichten mir, dass sie es aktuell so wahrnehmen, als könne jeder wählen, ob er arbeitet oder vom Bürgergeld lebt, und dass es kaum Vorteile bringt, wenn man sich für die Arbeit entscheidet.
Die Regierung hat eine Wachstumsinitiative beschlossen. Ältere Arbeitnehmer sollen Steuervorteile bekommen, wenn sie länger arbeiten. Wie finden Sie das?
Wir sind im OECD-Ländervergleich bei der Pro-Kopf-Arbeitszeit auf dem letzten Platz. Insofern ist es richtig, mehr Anreize zu setzen, um mehr Arbeit möglich zu machen. Doch es ist zu kurz gesprungen, nur Älteren Steuervorteile zu gewähren. Das muss auch für Jüngere gelten. Nötig ist es, ganz grundsätzlich die Steuerbelastung zu verringern. Im Grunde ist die Idee, nur ausländischen Fachkräften besondere Steuerrabatte zu gewähren, das Eingeständnis, dass wir in Deutschland bei den Steuern nicht wettbewerbsfähig sind. Die hohe Steuer- und Abgabenlast ist doch einer der Hauptgründe, warum Deutschland für viele Menschen aus anderen Ländern mittlerweile unattraktiv ist. Und was für diese Gruppe zutrifft, gilt doch wohl gleichermaßen für die im Land Arbeitenden.
Spüren Sie schon positive Impulse durch die Planungsbeschleunigung in der Verwaltung, die der Bundeskanzler unlängst gelobt hatte?
Davon merke ich leider nichts. Die Gesetze müssen ja auch erst einmal umgesetzt werden. Wir brauchen ein Umdenken in den Behörden. Zum Beispiel in den Ausländerbehörden. Jahrzehntelang sollten sie nicht so viele Menschen hereinlassen, jetzt sollen sie Menschen plötzlich schneller hereinlassen. Zudem kommt viel neue Bürokratie aus Brüssel. Ich bin froh, dass die Regierung die Idee des Handwerks aufgenommen hat, künftig jedes Jahr ein Jahres-Bürokratieabbau-Gesetz vorzulegen.
Sie fordern einen eigenen EU-Kommissar für kleine und mittlere Unternehmen in Brüssel. Bekommen Sie den?
Nein, aber wir bekommen einen Koordinator für Bürokratieabbau auf Vizepräsidentenebene und das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es darf nicht sein, dass das Friedensprojekt EU mit zu viel Bürokratie überfrachtet und aufs Spiel gesetzt wird. 99,8 Prozent in der EU sind kleine und mittlere Unternehmen. Aber Gesetzesmaßnahmen werden mit Blick auf die Großen gemacht wie etwa das EU-Lieferkettengesetz. Da frage ich mich: Warum macht man Gesetze nicht gleich von vorneherein für die Mehrheit, nämlich KMU, und sieht Ausnahmeregelungen für die Konzerne vor?
In Ihrem Heimat-Bundesland Sachsen wird am 1. September gewählt. Wie sehr besorgen Sie die hohen Umfragewerte der AfD?
Das Handwerk, die Wirtschaft insgesamt braucht Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Weltoffenheit. Mit Sorge beobachte ich eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft, die in Richtung Kompromissunfähigkeit läuft. Das ist gefährlich, denn bisher haben wir unseren Wohlstand auf der Grundlage von Kompromissen erarbeitet. Als Exportnation leben wir von Weltoffenheit, und das betrifft nicht nur die notwendige Zuwanderung in Ostdeutschland, sondern auch den Wert eines starken Euro, der uns Wohlstand gebracht hat.
Was würde ein AfD-Ministerpräsident in Sachsen bedeuten?
Natürlich blickt die Welt auf uns. Wenn nicht das Zusammenführende und Einende, sondern das Spaltende und Trennende das politische Handeln bestimmt wie bei den Parteien an den extremen Rändern, dann schadet das der Wirtschaft, unseren Betrieben und der Fachkräftesicherung. Aber auch die anderen Parteien sehe ich in der Verantwortung: Wenn in einigen Wahlkreisen in Sachsen etwa die Grünen auf nicht einmal ein Prozent oder die SPD nur noch auf einstellige Ergebnisse kommt, dann müssen die sich doch mal fragen: Was machen wir falsch? Was müssen wir machen, um mit unseren Themen wahrgenommen zu werden?
Warum ist das Thema Migration Sorgenpunkt Nummer eins in Ostdeutschland?
Die Ostdeutschen haben nach der Wende unter hoher Arbeitslosigkeit gelitten. Hunderttausende sahen sich gezwungen, in den Westen umzuziehen. Die ostdeutsche Gesellschaft hat diesen Schmerz durchlitten. Das wirkt immer noch nach. Und es gibt Verlustängste. Diese Sorgen und Ängste werden von einigen bewusst ausgenutzt, um die Stimmung anzuheizen. Um dem entgegenzutreten, ist es so wichtig, dass der Staat seine Spielregeln durchsetzt, damit wir in Weltoffenheit Gesellschaft gestalten können. Und das sehen im Übrigen die Menschen im Westen genauso wie die im Osten.