Strukturelle Defizite mittelstandsgerecht angehen
Um das Handwerk als Umsetzer von Transformation zu stärken, müssten Betriebe im Rahmen eines mittelstandsgerechten Gesamtkonzepts dringend entlastet werden, so ZDH-Präsident Dittrich im Interview mit Gernot Heller für die "Passauer Neue Presse", den "Donaukurier" und die "Rhein-Neckar-Zeitung".
Die Bundesregierung hat gerade ein Bündel von Entlastungen für die Wirtschaft beschlossen. Hilft das dem Handwerk, den kleinen und mittleren Firmen über die Krise?
Die beschlossenen Maßnahmen und Impulse sind für das Handwerk wichtig, wobei die meisten Vorhaben etwa im Bereich des Bürokratieabbaus nicht neu sind. Insgesamt wird das Maßnahmenpaket nicht ausreichen, um die strukturellen Schwächen des Standortes auszugleichen. Doch Meseberg hat insofern einen Anfang gemacht, als die so notwendige Debatte über den Wirtschaftsstandort Deutschland endlich angestoßen und in den Mittelpunkt gerückt wurde. Es sind grundsätzliche Reformen notwendig, um die Standortschwächen zu beheben, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und zu mehr Wachstum zu kommen. Diese Reformen müssen Teil eines mittelstandsorientierten Gesamtkonzepts sein und die Wirtschaft in Gänze im Blick haben.
Fühlt sich das Handwerk von der Ampel-Regierung vernachlässigt? Orientiert die sich zu sehr an den grossen Unternehmen?
Wenn wir Maßnahmen wie beispielsweise den geplanten Industriestrompreis betrachten wird deutlich, dass der politische Fokus immer noch zu sehr auf Großunternehmen liegt und nicht bei kleinen und mittleren Betrieben, wie den über eine Million Handwerksbetrieben in Deutschland. Sondertarife, Entlastungen oder Lösungen, die einseitig nur großen Industrieunternehmen zugutekommen, führen zu Wettbewerbsverzerrungen und gefährden im Handwerk und im Mittelstand Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Wie gravierend ist die aktuelle Wirtschaftsflaute für das Handwerk, wie viele Betriebe stehen auf der Kippe?
Verunsicherung und Zukunftsängste sind in vielen Bereichen spürbar, auch bei einer Reihe von Handwerksbetrieben. Den meisten geht es aktuell noch gut, die Geschäftslage ist bezogen aufs Gesamthandwerk insgesamt erstaunlich robust. Doch die Stimmung trübt sich merklich ein, was ganz sicher mit den vielfältigen Belastungsfaktoren, den zahlreichen strukturellen "Baustellen" und den multiplen Krisen zu tun hat. Die Betriebe sehen sich aktuell einfach enorm vielen Herausforderungen gegenüber.
Gerade in der Baubranche droht die Lage bedrohlich zu werden. Die Aufträge brechen hier massiv ein. Das ist mehr als nur ein ungutes Gefühl. Und beim Bau ist der Tiefpunkt der Talsohle noch gar nicht erreicht. Das bedeutet nichts Gutes: Denn verliert die Baubrache Fachkräfte, wird es noch unwahrscheinlicher, dass die von der Politik vorgegebenen Bauziele wie 400.000 neue Wohnungen pro Jahr realisiert werden, ganz zu schweigen von den nötigen Infrastrukturbauvorhaben oder energetischen Gebäudesanierungen.
Womit könnte dIe Wirtschaft am schnellsten und wirksamsten aus dem Tief geholt werden?
Notwendig sind sowohl Entlastungen für Betriebe als auch konkrete wachstumspolitische Maßnahmen. Neben der aktuellen Konjunkturlage belasten die Betriebe vor allem die strukturellen Defizite in Deutschland in Bereichen wie Energie, Steuern, Bürokratie oder Infrastruktur. Die müssen mutig und kraftvoll angegangen und verbessert und aufgelöst werden. Das Handwerk, das seinen Standort eben nicht ins Ausland verlagern kann, sieht sich besonders stark mit den Standortschwächen konfrontiert. Die multiplen Krisen der letzten Jahre wirken hier noch einmal wie ein Brennglas, das bereits bestehende Missstände verstärkt.
Reichen die gesetzlichen Schritte der Regierung aus – Stichwort Einwanderungsgesetz – um das Grossproblem Fachkräftemangel zu entschärfen?
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz geht in die richtige Richtung. Damit all diese Regelungen tatsächlich greifen und Fachkräfte aus dem Ausland schnell und in ausreichend großer Zahl nach Deutschland kommen, müssen sie rasch und unbürokratisch umgesetzt werden. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie im Weg steht und es an der Umsetzung hapert. Doch der perspektivisch weiter steigende Fachkräftebedarf wird sich nicht allein durch Zuwanderung lösen lassen. Wir müssen auch die inländischen Arbeitskräftepotenziale besser nutzen, beispielsweise bei Schulabgängern ohne Abschluss, bei Frauen, bei Langzeitarbeitslosen, bei Geringqualifizierten, bei Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen.
Droht die Energiewende am Fachkräftemangel im Handwerk zu scheitern?
Die Transformation hin zu mehr Klimaneutralität ist eine Herkulesaufgabe. Schon derzeit arbeiten rund 490.000 Handwerksbetriebe mit über 3,1 Millionen Beschäftigten in knapp 30 Gewerken täglich in fast allen Bereichen am Erfolg der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende mit – sie installieren beispielsweise Wärmepumpen und Solaranlagen, sanieren energetisch Häuser und warten E-Fahrzeuge. Der stetig wachsende Fachkräftebedarf ist folglich eine der zentralen Herausforderungen, wenn es darum geht, in eine klimaneutrale Zukunft zu starten. Deshalb ist die Fachkräftesicherung im Handwerk längst ein gesamtgesellschaftliches Anliegen.