Verlässlichkeit und Pragmatismus entscheidend
Handwerk hat sich immer als krisenresistent erwiesen – diese Fähigkeit ist aktuell mehr denn je gefragt: ZDH-Präsident Dittrich fordert im Interview mit Rena Lehmann von der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) einen stärkeren politischen Fokus auf verlässliche Gesamtkonzepte.
Herr Dittrich, Sie hatten vor einem Kollaps der Baubranche gewarnt. Ist der mit dem Wohngipfel im Kanzleramt nun abgewendet?
Die beim Baugipfel verabredeten Maßnahmen sind ein Hoffnungsschimmer. Aber wirken können sie nur, wenn sie wirklich so schnell wie möglich umgesetzt werden. Man muss jedoch anerkennen, dass die Ampel-Koalition den Ernst der Lage am Bau erkannt und sich heftig bewegt hat: Selbst Energiestandards kommen auf den Prüfstand, und das ist auch notwendig. Es wäre gut und wichtig, im Dezember bei einem weiteren Gipfel zu überprüfen, ob die Vorschläge umgesetzt wurden.
Wann werden die Beschlüsse denn auf den Baustellen ankommen: sprich: dafür sorgen, dass wieder mehr gebaut wird?
Es sind mehrere Einzelmaßnahmen, die dafür sorgen können, 2024 einen Kollaps zu vermeiden. Aber um bereits im nächsten Jahr eine vollständige Trendumkehr zu erreichen, hätte die Bundesregierung entweder wesentlich früher handeln oder aber jetzt wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Doch wenn die jetzt beschlossenen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, können wir spätestens 2025 wieder an den Aufwärtstrend der vergangenen Jahre anknüpfen. Dafür darf aber kein Tag mehr verloren gehen. Gefragt sind jetzt auch die Länder. Es geht nicht, dass der Bund versucht, die Bauwirtschaft anzukurbeln, und die Länder ihre Möglichkeiten etwa durch eine Senkung der Grunderwerbssteuer nicht ausschöpfen.
Einige große Baufirmen sind bereits insolvent...
… dabei wissen wir schon heute, dass wir diese Kapazitäten und die Fachkräfte am Bau noch brauchen werden: für die energetische Gebäudesanierung, für den Bau von Infrastruktur und Wohnungen. Denn es wird weiter mehr Wohnraum benötigt werden. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Betriebe diese Krise überstehen. Vorübergehend können sie in Kurzarbeit gehen. Aber das birgt trotzdem die Gefahr, dauerhaft Personal zu verlieren. Einen solchen Effekt haben wir in der Gastronomie in der Corona-Pandemie beobachtet. Dazu darf es im Baubereich nicht kommen. Daher ist es so wichtig, jetzt dafür zu sorgen, dass wieder Aufträge kommen.
Der Einbruch bei den Baugenehmigungen liegt bei etwa 30 Prozent, einige große Baufirmen haben Insolvenz angemeldet. Wie kann man noch verhindern, dass die Kapazitäten wegbrechen?
Alarmiert sind wir weniger wegen der zurückgehenden Baugenehmigungen, sondern vielmehr wegen der dramatisch abnehmenden Bewilligungen für Baufinanzierungen. Das ist der wesentlich aussagekräftigere Indikator. Aus Krediten werden echte Bauvorhaben, aus Baugenehmigungen nicht unbedingt. Und die Zahl der bewilligten Kredite ist regelrecht eingebrochen, hat sich nach dem, was zu hören ist, wohl mehr als halbiert. Das ist ein echtes Alarmsignal. Deshalb müssen die beschlossenen Maßnahmen nun mit großem Tempo umgesetzt werden, damit sie so schnell wie möglich wirken.
Wirtschaftsminister Robert Habeck will 500.000 Wärmepumpen jährlich einbauen. Ist das realistisch?
Das ist ein politisches Ziel. Wir vom Handwerk sind Auftragnehmer für Kundinnen und Kunden. Wenn Kunden Wärmepumpen haben wollen und die Industrie liefert, bauen wir sie ein. Wenn die Förderungen klar sind, dann wird es Verlässlichkeit geben. Unsere Fachbetriebe sind für diese Technik qualifiziert. Wir hoffen, dass der Wärmepumpen-Markt in Deutschland dann wieder an Schwung aufnimmt. Es wäre meine Hoffnung, dass damit auch Bautätigkeit im Bestand nachgefragt wird, die im Neubaubereich gerade wegbricht.
Die Energiepreise sind zuletzt gesunken. Wird es trotzdem im nächsten Jahr noch Maßnahmen brauchen, damit die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben?
Die Energiepreisbremsen sollten bis April 2024 laufen, so wie es geplant und beschlossen ist. Und danach wollen wir eine Antwort auf die Frage haben, wie Deutschland wieder wettbewerbsfähige Energiepreise für alle bekommen kann. Diese Frage hat die Bundesregierung bisher nicht beantwortet.
In der aktuellen Debatte um Flüchtlinge fordern die Grünen, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge aufzuheben. Was halten Sie davon?
Geflüchtete können in Deutschland nach drei Monaten eine Beschäftigung aufnehmen, allerdings ist das mit zu vielen Ausnahmen versehen und sollte dringend überarbeitet werden. Denn wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten und etwas leisten will, ist im Handwerk stets willkommen. Die zuständigen Behörden sind mehr denn je aufgefordert, hier ihren Ermessensspielraum ausbildungs- und beschäftigungsfreundlich auszulegen.
Sollten Unternehmer selbst entscheiden können, wen sie mit welchen Sprachkenntnissen einstellen wollen?
Wir müssen da viel pragmatischer werden. Natürlich sollte ein Unternehmer selbst entscheiden, wen er in seinem Betrieb beschäftigen kann. Das sollte ohne Sprachtests und Integrationskurse möglich sein. Wenn jemand arbeitet, lernt er die Sprache möglicherweise viel schneller - und integriert sich viel leichter.
Müssen auch die Betriebe da flexibler werden?
Sehr viele Handwerksbetriebe sind das bereits, haben Geflüchtete ausgebildet und beschäftigt. Aber es gibt auch Betriebe, die noch nicht verstanden haben, dass die Fachkräftesicherung eine Frage des Überlebens werden wird. Die Folgen der alternden Gesellschaft sind schon jetzt zu spüren und werden sich in den kommenden Jahren noch stärker bemerkbar machen. Wer klug ist, investiert schon jetzt in Ausbildung und Beschäftigung von jungen Menschen aus dem Inland und dem Ausland.
Das Handwerk hat sich immer als resistent gegen Krisen erwiesen. Wie optimistisch blicken Sie auf die nächsten Jahre?
Ich bin optimistisch, nicht nur für das Handwerk, sondern für das ganze Land. Wenn die Politik die richtigen Entscheidungen trifft, werden wir weltweit auch wieder aufschließen als starke Wirtschaftsnation. Außerdem glaube ich an die Menschen im Land. Sie wollen ihren Wohlstand nicht verlieren und werden sich etwas einfallen lassen.