Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
11.07.2023

Wärmewende: Betriebe brauchen Planungssicherheit

Das Handwerk braucht als Umsetzer der Energiewende wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, damit es seinen Beitrag leisten kann, die klimapolitischen Ziele zu erreichen, so ZDH-Präsident Dittrich gegenüber Thomas Hagenbucher von der "Schwäbischen Zeitung".
Techniker bei der Wartung von Wärmepumpen, die an einer Hauswand montiert sind.

Herr Dittrich, das mittlerweile fast schon berühmte Heizungsgesetz ist nun vom Bundesverfassungsgericht erst einmal gestoppt worden. Was sagen Sie dazu? Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Der Umgang der Regierung bei diesem Gesetzgebungsprozess entsprach nicht bewährten Gepflogenheiten. Da ist viel Vertrauen verspielt worden. Dass das Gesetz jetzt gestoppt wurde, möchte ich aber keinesfalls mit Häme kommentieren. Doch richtig ist auch: Es war von Beginn an ein Hauptkritikpunkt von uns, dass es viel zu hastig abgelaufen ist und man nicht genügend Zeit gelassen hat, die Expertise von denen, die das umsetzen sollen, anzuhören.  

Wie erklären Sie sich diese extreme Eile der Ampel? Hat man da Angst vor Kritik, vor Verwässerung – vor den eigenen Bürgern?

Ich habe die Eile nicht verstanden. Die erste Anhörung zum dann geänderten Gesetz hat stattgefunden, obwohl der Koalitionskompromiss noch nicht in den Gesetzentwurf eingearbeitet war. Wie soll man seine Meinung zu einem Gesetz äußern, das noch gar nicht vorliegt. Das war nicht in Ordnung. Inzwischen hat Minister Habeck aber immerhin eingeräumt, dass zu viel Druck gemacht worden ist. Das finde ich souverän. Und auch, dass die Koalition die "Gelbe Karte" des Verfassungsgerichts akzeptiert.

Was sagen Sie zum jetzt vorliegenden Stand des Gesetzes – gerade im Vergleich zu den Anfangsplänen?

Der jetzige Entwurf enthält zwei zentrale Kernpunkte, für die wir uns als Handwerk stark gemacht haben: Technologieoffenheit und die Verzahnung der kommunalen Wärmeplanung mit den Heizungsverpflichtungen. Man sollte die nun gewonnene Zeit dafür nutzen, die weiter noch offenen Fragen zu klären. Das sind vor allem die Förderkulisse und die Wärmeplanung, für die das nötige Gesetz noch nicht vorliegt. Kunden entscheiden sich nur für eine Wärmepumpe, wenn sie wissen, welche Förderung sie dafür erhalten und welche Wärmeplanung in ihrer Kommune vorgesehen ist. Im Moment warten viele Menschen ab. Gleichzeitig berichten mir die Betriebe, dass sich viele Kunden noch schnell eine Gasheizung einbauen lassen wollen, weil sie offenbar nicht an sinkende Strompreise glauben. Was auch in gewisser Weise nachvollziehbar ist: bei den vielen derzeitigen Um- und Ausstiegsszenarien bei der Stromerzeugung.  

Hätte man die drei abgeschalteten Atomkraftwerke nicht noch einige Jahre weiterlaufen lassen müssen – in solch einer Lage der Stromknappheit?

Wir sind keine politische Partei, und mir als Handwerkspräsident steht es nicht zu, die Energieleitlinien der Regierung zu beurteilen. Worauf ich allerdings poche, und was für uns als Handwerk wichtig ist: Dass Politik Versorgungssicherheit und einen wettbewerbsfähigen Strompreis sicherstellt. Die erneuerbaren Energien müssen preislich wettbewerbsfähig sein. Denn neben der ökologischen gibt es auch eine ökonomische Nachhaltigkeit. Wenn die Betriebe vom Markt sind, bevor die Transformation der Energieerzeugung geschafft ist, dann ist dem Klima damit nicht geholfen. Wichtig ist: Die meisten Menschen – gerade auch im Handwerk – teilen das Ziel hin zur Klimaneutralität, aber eine reine Zielfestlegung reicht nicht, sondern der Plan dahin muss auch funktionieren und machbar sein.

Was halten Sie vom Industriestrompreis?

Wie er jetzt geplant ist, lehnen wir ihn ab. Das würde automatisch andere Gruppen im Wettbewerb benachteiligen – und bezahlen müsste es ja die Gemeinschaft. Wenn ein Strompreis-Rabatt kommen soll, muss klar sein, wie lange dieser gilt und wie er wirken soll – und er muss dann auch für das Handwerk geöffnet werden. Denn auch bei uns gibt es sehr viele Betriebe, die sehr energieintensiv sind, zum Beispiel Fleischereien, Bäckereien, Galvanisierungsbetriebe, Kfz-Werkstätten oder die Textilreinigungsbetriebe.

Kann es wirklich funktionieren, jedes Gebäude mit Wärmepumpen zu heizen? Es gibt Handwerker, die sagen ganz klar: nein.

Ganz genau so ist das. Das bloße Zählen von Wärmepumpen bringt uns da nicht weiter. Es geht doch um die Frage, wie bekommen wir am besten und effizientesten den CO2-Ausstoß runter. Für das eine Gebäude kann dafür durchaus eine Wärmepumpe das Richtige sein, bei anderen Gebäuden erreicht man das viel besser mit einer energetischen Sanierung, sodass nicht mehr so viel Wärme und damit Energie verschwendet wird. Es gibt mehrere gute Wege zum Ziel, deswegen war uns auch die Technologieoffenheit so wichtig, die nun ins Gesetz gekommen ist – Stichwort Biomasse, Holzpellets und das Verbrennen von Holz. Auch die Verbindung mit der Wärmeplanung ist wichtig.

Welche Schulnote erhält der aktuelle Gesetzentwurf von Ihnen?

(lacht) Ich würde eher so antworten: An dem jetzigen Entwurf sieht man, wie wichtig die Diskussion ist, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Der neue Entwurf enthält wesentliche Änderungen, die wir als Handwerk für richtig halten und die es praxistauglicher machen: die Technologieoffenheit und die Verzahnung mit der Wärmeplanung. Deswegen ist es ein besseres Gesetz als der Ursprungsentwurf.

Sie warnen davor, dass Handwerksleistungen schon bald unerschwinglich werden könnten. Sind wir nicht längst so weit?

Alarmismus hilft in dieser Situation niemandem. Aber wir sind an einem Punkt, wo mir Betriebe berichten, dass zum Beispiel beim Brötchenkauf aus Kostengründen jetzt nicht mehr auch noch das Stück Kuchen mitgenommen wird oder Kundinnen und Kunden seltener zum Friseur gehen. Offenbar legen auch einige ihre Pläne, ein Haus zu bauen, wegen der hohen Zinsen und Baukosten erst einmal auf Eis.

Was sind die Hauptgründe für den Anstieg der Preise?

Da gibt es viele, die das Handwerk überwiegend gar nicht beeinflussen kann. Allein die höheren Beiträge zur Sozialversicherung machen in diesem Jahr im Handwerk Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten aus, die die Betriebe und Beschäftigten einfach verlieren. Jeder sollte sich Handwerksleistungen leisten können – und zwar ohne jeden Euro und Cent umdrehen zu müssen.

Was müsste getan werden, um Handwerksleistungen erschwinglich zu halten?

Ein ganz wichtiger Baustein: Wir müssen die Sozialsysteme neu justieren und schauen, ob das alles noch ausgewogen ist – gerade mit Blick auf die Finanzierung. Die Lohnzusatzkosten sind für das Handwerk als sehr lohnintensivem Wirtschaftsbereich ein ganz wichtiger Punkt, jede Erhöhung bei den Sozialbeiträgen schlägt bei uns im Handwerk durch. Und ich erwähnte es schon: Die Betriebe brauchen verlässliche und bezahlbare Energie.

Man hat manchmal den Eindruck, dass die Inflation auch von dem einen oder anderen Handwerker ausgenutzt wird, um den eigenen Profit zu erhöhen. Ist das so?

Das kann man pauschal keineswegs so sagen. Es gab eher viele Jahre, in denen es Handwerksbetriebe schwer hatten, ausreichend Geld zu verdienen. In bestimmten Branchen wurde zuletzt durchaus gutes Geld verdient, keine Frage, diese Zeit geht aber schon wieder zu Ende. Der Hochbau etwa bricht gerade stark ein – die ersten Betriebe sind bereits in Kurzarbeit. Aber gerade die Nahrungsmittelgewerke – Bäcker und Metzger – stehen stark unter Druck. Mir ist kein Handwerker bekannt, der wegen Reichtums geschlossen hat. (lacht)

Wie ist die Stimmung im deutschen Handwerk allgemein?

In unserer Frühjahrsumfrage haben die meisten Betriebe einen guten Geschäftsverlauf gemeldet. Die Zukunftsaussichten sind allerdings nicht so rosig - durch Inflation, Zinsanstieg und Lohnsteigerungen. Der Hochbau, zu dem der Wohnungsbau gehört, rutscht schon jetzt in größere Schwierigkeiten. Wenn wir solche Rückgänge bei Industrie und Banken hätten, wie wir sie dort aktuell sehen, wären diese Branchen schon zum dritten Mal im Kanzleramt gewesen.

Das politische Ziel lautet ja eigentlich 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Warum wird das deutlich verfehlt?

Wir brauchen definitiv mehr Wohnungen, als wir aktuell haben, um bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten: Gerade für Handwerkerinnen und Handwerker und besonders für Auszubildende im Handwerk ist das essenziell. Wir müssen aber auch sehen, dass im ländlichen Raum bereits ungenutzter Wohnraum vorhanden ist. Auch der ÖPNV kann hier sicher seinen Beitrag leisten. Wir müssen die Leute in der Mitte im Blick haben, die die Chance bekommen sollten, einmal in ihrem Leben Wohneigentum zu bilden.

Was könnte man tun?

Eine Idee wäre es zum Beispiel, beim Erstkauf die Grunderwerbssteuer zu erlassen. Man könnte auch Zinsvergünstigungen für Familien anbieten. Auch könnte man bauliche Standards und Normen überdenken, da hat sich bei Technik und Material durch Fortschritt und Innovation einiges geändert, die Regeln sind aber noch die alten. Wenn der Neubau stockt, wäre es zudem sicher sinnvoll, deutlich mehr alte Häuser zu sanieren.

Schafft das Handwerk die ganzen Wärmepumpen-Einbauten? Es besteht ja schon jetzt ein Fachkräftemangel.

Im Handwerk fehlen aktuell bereits 250.000 Fachkräfte, Tendenz steigend. Es müssen ja nicht nur Wärmepumpen eingebaut werden, sondern auch Flächenheizungen installiert, ganze Häuser energetisch saniert und Photovoltaik und E-Ladestationen installiert werden. Zudem muss auch in Zukunft die alltägliche Versorgung mit handwerklichen Produkten und Dienstleistungen sichergestellt sein. Wir brauchen deutlich mehr Menschen, die im Handwerk arbeiten.  

Auch durch mehr Zuwanderung?

Wir müssen zunächst alle inländischen Potenziale heben – mehr Frauen in Vollzeit, Leute mit schlechtem Schulabschluss oder ohne Berufsabschluss, Arbeitslose. Da gibt es noch ein enormes Potenzial. Zuwanderung ist ein weiterer wichtiger Baustein. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz stellt einen ersten guten Schritt dar – aber es muss sich erst noch in der Praxis bewähren. Visa dauern immer noch zu lange, die Ausländerbehörden sind vielfach überlastet, um die Willkommenskultur könnte es besser stehen, und es wäre zu klären, wie die systematische Anwerbung künftig funktionieren soll. Man kann als Fünf-Mann-Betrieb ja schlecht nach Indien fahren und einfach zwei Mitarbeiter mitnehmen. Da müssen Strukturen geschaffen werden und auch das Bewusstsein, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen. 

Wie können wir es schaffen, mehr junge Menschen ins Handwerk zu locken?

Wir brauchen eine Bildungswende. Wir habe zu viele in Richtung Studium geschickt. Das war jahrzehntelang das Mantra. Dieser Fehler holt uns nun ein. Zudem muss berufliche Bildung identisch finanziert werden wie die akademische. Das ist derzeit nicht der Fall. Wir brauchen endlich eine Berufsorientierung, die an allen Schulen, gerade auch an Gymnasien, junge Leute immer auch über das Handwerk und die vielen Karriere- und Verdienstmöglichkeiten dort informiert. Schüler können natürlich ihr Abitur machen, aber sie sollten trotzdem ins Handwerk gehen. Wir müssen auch Lehrern und Eltern aufzeigen, dass sich in der Zukunft berufliche Chancen nicht nur über ein akademisches Studium eröffnen, sondern sogar eher über den beruflichen Bildungsweg.

Warum glauben Sie das?

Wir wissen, dass die aktuellen Herausforderungen, wie die Energie-, die Klima- oder die Mobilitätswende, nur mit dem Handwerk umgesetzt werden können. Daher bietet das Handwerk in vielen Gewerken attraktive Berufsbilder mit Aufstiegschancen, wie der Bachelor Professional für Energieeffizienz und digitales Bauprojektmanagement oder der Master Professional in der Restauration, wie zum Beispiel der Altbausanierung. Wir müssen auf jeden Fall noch viel mehr für das Handwerk trommeln und die Stereotype ablegen, dass es schwer, schmutzig und schlecht bezahlt ist. In vielen Berufen verdient man richtig gutes Geld. Über die Lebensarbeitszeit gesehen verdient ein Meister genauso viel wie ein akademischer Bachelor. Und künftig müssen wir auch im Handwerk über Produktivitätssteigerungen durch den Einsatz neuer Technologien sprechen.

Wie viele Azubis fehlen?

Wie viele fehlen, ist schwer zu beziffern. Aber ganz aktuell sind noch 36.000 Ausbildungsplätze in den Handwerksbetrieben zu vergeben. Es gibt im Handwerk jede Menge sehr vielfältige Berufe für junge Menschen mit ausgesprochen guten Zukunftsperspektiven.

Was droht uns, wenn wir den Handwerkermangel nicht in den Griff bekommen?

Wohlstandsverluste – und letztlich auch ein Rückgang des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das Handwerk ist im Dorf oder im Kiez präsent, es ist die Wirtschaftsmacht von nebenan und damit auch ein Ort, an dem sich die Menschen begegnen. Man darf nicht vergessen, Handwerk ist ein enormer gesellschaftlicher Faktor: eine Million Betriebe, 5,6 Millionen Beschäftigte. Rund 17 Millionen Bürger sind eng mit dem Handwerk verbunden, direkt oder als Ehepartner und Kind eines Handwerkers. Alle stehen mitten im Leben und auch mitten in der Gesellschaft. Ein starkes Handwerk ist ein beruhigendes Element gegen eine Spaltung in der Gesellschaft.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Wenn ein Dorffest stattfindet oder ein Fußballturnier, sind es meistens Handwerker im Ort, die es unterstützen. Für sehr viele Handwerkerinnen und Handwerker ist es selbstverständlich, sich in der Gemeinschaft zu engagieren. Der gesellschaftliche Nutzen des Handwerks zeigt sich auch darin, dass es schon immer weit über Bedarf ausgebildet hat. Wir sind der Ausbilder der Nation und dazu ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor, der für Wachstum und Wohlstand sorgt. Zum Vergleich: Das deutsche Handwerk hat 2022 so viel Umsatz gemacht wie Apple, Meta und Google zusammen.

Wie sieht das "Handwerksland Deutschland" in zehn Jahren aus?

Das Handwerk wird sehr bedeutend bleiben. Es hat sich schon immer dadurch ausgezeichnet, ausgesprochen innovativ und anpassungsfähig mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen umzugehen. Nicht umsonst existiert das Handwerk bereits seit Tausenden von Jahren. Wir werden den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft schaffen. Wir dürfen nicht immer nur schimpfen und Angst haben, sondern wir müssen zusammen die Ärmel hochkrempeln. (Pause) Dann wird das was! (lacht)

Schlagworte