Wir brauchen einen Neustart!
Dieses Interview ist zuerst bei "t-online" erschienen.
Wie gut ist Ihre Laune heute, Herr Dittrich?
Meine persönliche Laune ist sehr gut. Ich bin prinzipiell ein optimistischer Mensch, deshalb geht es mir heute wie an den meisten Tagen prima. Aber auch mich beschäftigt es natürlich, dass das nicht allen so geht: Die Stimmung in Deutschland ist sehr schlecht. Und damit meine ich nicht nur die Bauern, die zuletzt so viel protestierten, sondern auch ganz viele andere Menschen und auch viele Handwerkerinnen und Handwerker.
Woran liegt das?
Mein Eindruck ist: Bei vielen im Land wächst die Sorge vor Überforderung. Die Welt ist so komplex geworden, so vielschichtig, dass sie von uns allen große Veränderungen abverlangt. Viele sagen: „Das ist mir zu viel.“ Das höre ich im privaten Umfeld, das höre ich aber auch aus den Handwerksbetrieben.
Ist uns der Wille und die Fähigkeit zur Veränderung, zur Anpassung abhandengekommen?
Das würde ich so nicht sagen. Ich bin überzeugt: Deutschland kann nach wie vor anpacken. Und viele wollen das auch. Gerade auch im Handwerk. Dort wollen sie machen. Was aber inzwischen vielfach fehlt, ist der Glaube daran, dass es gelingen kann, weil so wenig verlässlich und planbar ist, weil unternehmerischer Spielraum immer kleiner und die Menge an Vorgaben immer größer wird. Das lähmt.
Wie kommen wir aus dieser Schockstarre heraus?
Dafür bräuchten wir vor allem einen Neustart in der Kommunikation: seitens der Politik, aber auch im alltäglichen Miteinander.
Das klingt jetzt sehr abstrakt.
Dann lassen Sie es mich konkreter machen. Die Bundesregierung sollte vor allem zwei Dinge tun. Erstens: Klar benennen, wo wir als Land Defizite haben, wo wir ran müssen. Zum Beispiel sagen, dass der Weg zur Klimaneutralität uns alle viel Geld kosten wird, dass es aber im Interesse aller ist, diese Klimaneutralität zu erreichen. Wir dürfen uns nicht länger etwas vormachen mit Parolen wie „Es bleibt alles so, wie es ist“. Das verfängt bei keinem mehr, das ist einfach unehrlich.
Und zweitens?
Zweitens müssen wir daraus eine Erzählung ableiten, ein sogenanntes Narrativ, das Mut verbreitet, statt Ängste zu schüren. Ziele und die Wege dahin müssen so sein, dass sie als machbar empfunden werden. So kann es gelingen, die Menschen mitzunehmen und ja, bestenfalls sogar Lust auf Veränderung zu entwickeln, und diese Veränderung dann auch zu leben.
Womit wir wieder am Ausgangspunkt sind: Viele Menschen in Deutschland scheinen genau das einfach nicht zu wollen.
Weil wir nach den Gesetzen der Physik zu träge geworden sind. Wir waren es gewohnt, in allem Weltmeister zu sein. Im Fußball, aber auch beim Export, beim Anmelden von Patenten, in der Bildung – in so vielen Dingen, die unser Land stark gemacht haben. Aber das ist vorbei. Wir sind nicht mehr Weltmeister. Im internationalen Vergleich sind wir in vielen Bereichen inzwischen weit abgeschlagen, auch das gehört zu den Wahrheiten, die wir uns endlich eingestehen müssen, deshalb ist dieser Teil des Narrativs auch so wichtig. Allen muss klar sein: Wir müssen uns jetzt mehr anstrengen.
Anstrengungen müssen sich aber auch lohnen.
Absolut richtig. Darum gehört die Wirtschaftspolitik in den Fokus politischen Handelns, weil nur mit einer starken Wirtschaft die Grundlage da ist, alle anderen wichtigen gesellschaftlichen Bereiche zu tragen. Darum sollte die Bundesregierung eine deutlich attraktivere Wirtschaftspolitik machen, die Wettbewerbsbedingungen verbessern und die Belastungen für jeden einzelnen etwa bei Abgaben und Steuern verringern.
Sie meinen eine Senkung der Unternehmenssteuern?
Ja, darüber sollten wir diskutieren. Aber es geht auch um ganz viele andere Punkte. Ganz vorne steht hier etwa der Abbau der Bürokratie, diese Flut an Dokumentationen und Nachweisen. Viele junge Meisterinnen und Meister nennen die Angst vor Formularen als einen der Hauptgründe, der sie von der Selbstständigkeit und vom Gründen eines Betriebs abhält. Oder die Zuwanderung von Menschen, die wir angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland wirklich brauchen. Den Handlungsbedarf hat die Bundesregierung mit dem novellierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz erkannt. Jetzt muss sie aber auch für einen guten Vollzug des Gesetzes in der Praxis sorgen.
Trauen Sie das der Ampel unter Olaf Scholz noch zu?
Ich traue das Olaf Scholz zu, ja. Die notwendige Expertise bringt er aus seinen vorhergehenden Ämtern mit. Nur krankt es gerade jetzt an der nötigen Tatkraft und Entschlossenheit.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Olaf Scholz ist ein intelligenter und erfahrener Mensch. Wer so viel gesehen hat wie er, weiß, wie die Dinge laufen. Er muss sich nur den Ruck geben und die nötigen Veränderungen auch einleiten und überzeugend kommunizieren.
Immer mehr Deutsche sehen das anders als Sie und wenden sich von der Ampel ab und der AfD zu. Wie stehen Sie zur Diskussion um ein mögliches Verbot der Partei?
Das Handwerk ist keine politische Partei und der Zentralverband kein politischer Akteur. Ich weiß, dass die übergroße Mehrheit der Handwerkerinnen und Handwerker für Demokratie und Freiheit einsteht. Rassismus und Hetze sind keine Geschäftsmodelle. Allerdings ist es nicht meine Aufgabe, über das Verbot einer Partei zu urteilen. Das müssen andere Leute tun.
Schauen wir auf die Lage im Handwerk. Die Bauzinsen sind gesunken, inzwischen liegen sie wieder unter drei Prozent. Platzt jetzt der Knoten auf dem Bau, führt das auch zu einem neuen Boom im Handwerk?
Dieses Jahr kommt kein echter Bau-Boom mehr. Wir müssen erst einmal den gravierenden Einbruch bei Bauprojekten im vergangenen Jahr verkraften.
Aber die Zahl der Baugenehmigungen ist doch zuletzt stark gestiegen.
Ja, das stimmt. Am Ende aber geht es darum, welche Projekte auch wirklich begonnen wurden. Ein Blick auf die Zahl der Baufinanzierungen zeigt: Hier sind die Zahlen um über die Hälfte eingebrochen. Das ist ein riesiges Problem, denn das wirkt sich letztlich auf Kauf- und Mietpreise aus. Und das macht auch dem Handwerk zu schaffen.
Woran liegt es, dass so viel weniger Projekte umgesetzt werden?
Wir haben in Deutschland mittlerweile Baustandards, die unbezahlbar sind. Das müssen wir hinterfragen und beispielsweise beim Schallschutz oder bei der Barrierefreiheit die Regulierungen zurücknehmen. Private Bauherren brauchen wieder mehr Spielraum.
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnte unlängst vor einer Zunahme der Pleiten bei den Projektentwicklern. Inwiefern gilt das nachgelagert auch für Handwerksbetriebe?
Insolvenzen sind nicht das größte Problem. Mich beschäftigt vor allem, dass viele Betriebe leise sterben. Das heißt: Geschäftsführer hören schon einige Jahre vor der Rente auf oder übergeben den Betrieb nicht mehr an einen Nachfolger. Die Investitionsbereitschaft insgesamt ist zurückgegangen und bislang sehe ich keine Grundlage dafür, dass sich das kurzfristig ändert.
Was braucht es dafür?
Das Handwerk braucht Planbarkeit und Verlässlichkeit. Nur dann lässt sich ein Betrieb führen und macht das dann auch Freude, nur dann können wir junge Meisterinnen und Meister motivieren, wieder selbst zu gründen oder einen Betrieb zu übernehmen. Das größte Gut für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist Vertrauen, und genau das hat zuletzt schwer gelitten.
Woran machen Sie das fest?
Die Bundesregierung hat zuletzt zu viele Gesetze und Regelungen zu schnell durchgepeitscht, nur um dann teils wieder zurückzurudern - oft schon wenige Stunden, nachdem das ursprüngliche Ergebnis verkündet wurde. Das war so bei der E-Autoförderung, und das war auch so bei den Agrarsubventionen. Auch der jetzt wieder angehobene CO2-Preis zeugt nicht gerade von Verlässlichkeit. Und dann ist da natürlich auch noch die überbordende Bürokratie.
Da wiederum scheinen sich alle einig zu sein, niemand spricht sich gegen den Bürokratieabbau aus. Warum wird er dann nicht umgesetzt?
Das wüsste ich auch gern! Ich glaube, uns ging es bisher zu gut – und es fehlte der Mut. Jetzt aber scheint sich endlich etwas zu bewegen. Ich wünsche mir jedoch, dass Betroffene viel stärker als bislang schon vor neuen Vorschriften und Regelungen gehört werden. Und noch wichtiger: Politik sollte ihnen nicht grundsätzlich misstrauisch gegenüberstehen. Und sie sollte nicht danach verfahren, wirklich alles bis ins letzte Detail regeln zu müssen.
Bürokratie ist immer ein recht abstraktes Thema. Können Sie uns ein Beispiel aus der Praxis geben?
Als erstes Beispiel kommt mir das Arbeitszeitgesetz in den Sinn. Hier leben die Betriebsinhaber im Handwerk ständig unter der Androhung von Strafe. Denn bestraft werden kann schon der, der die Arbeitszeit nicht korrekt erfasst. Dabei geht es gar nicht darum, ob die Arbeitszeit auch so abgeleistet wurde, sondern lediglich darum, ob das in vorgeschriebener Weise aufgezeichnet wurde. Das aber geht am Arbeitsschutzgedanken vorbei, der ja eigentlich Grund des Gesetzes sein soll. Solche Regelungen müssen in der Praxis handhabbar sein, das brächte gerade für kleine Betriebe eine erhebliche Entlastung bei bürokratischer Schreibtischarbeit.
Das Problem des Handwerks beginnt aber schon früher. Jahr für Jahr bleiben Tausende Ausbildungsstellen unbesetzt. Glauben Sie, das wird sich 2024 ändern?
Ich hoffe es sehr, auch weil handwerkliche Fachkräfte unverzichtbar sind, wenn all die nötigen Transformationen und Zukunftsaufgaben “gemacht” und umgesetzt werden sollen. Klar ist: Wir brauchen eine Bildungswende. Lange lautete die Erzählung, dass Wohlstand durch Bildung entsteht und dass deshalb möglichst viele Menschen Abitur machen und dann danach auch studieren sollen. Dabei ist die berufliche Ausbildung eine ebenso gute Möglichkeit, Karriere zu machen: Es lohnt sich finanziell – und anders als andere Branchen ist das Handwerk weniger stark von der Digitalisierung bedroht. Künstliche Intelligenz kann uns vielleicht das Ausfüllen nerviger Formulare abnehmen, aber das Kabel für das dafür nötige Internet wird weiterhin händisch verlegt.
Herr Dittrich, vielen Dank für dieses Gespräch.