Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
28.01.2025

Wir müssen raus aus dem hektischen Stillstand!

Sichere Sozialsysteme, die Modernisierung unseres Landes oder geopolitischer Einfluss – für alles braucht es eine starke Wirtschaft, betont ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview mit Michael Rothe von der Sächsischen Zeitung. Stillstand sei keine Option.
ZDH-Präsident Jörg Dittrich

Herr Dittrich, Dutzende Arbeitgeberverbände sehen die deutsche Wirtschaft in Gefahr und trommeln zum bundesweiten "Warntag" am kommenden Mittwoch. Sind Sie dabei?

Ich gehe davon aus, dass auch zahlreiche Handwerkerinnen und Handwerker von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch machen. Die Sorge um die wirtschaftliche Lage ist groß. Mehr als ein Zeichen kann das aber nicht sein.

Warum nicht?

Wirtschaftspolitik wird nicht auf der Straße gemacht. Am 23. Februar ist Bundestagswahl. Da sollen dann alle um die Wirtschaft Besorgten Kreuz zeigen - und wählen gehen.

Wie geht es Ihnen mit Blick auf die Wahl - Hoffnung oder Sorge?

Ich werde den emotionalen Muskelkater nicht los, dass die Ampel in dem Moment auseinandergerannt ist, wo wir vermittelt hatten, was zu tun ist. Alle drei politischen Ansätze enthielten vermittelbare und richtige Aspekte - ein Kompromiss daraus wäre möglich gewesen, und wäre das gewesen, was Deutschland braucht.

Eine klare Regierungsbildung ist laut Umfragen nicht absehbar ...

Dennoch vertraue ich auf die Selbstheilungskräfte der Demokratie. Die Verantwortungsträger, die ich in Berlin erlebe, wissen, dass die populistische Welle nicht gebrochen ist, solange sie selbst nicht liefern. Aber wir müssen akzeptieren, dass Dinge - etwa durch geopolitische Einflüsse und Demografie - so sind, wie sie sind, und wir keinen direkten Einfluss auf sie haben. Umso mehr sollten wir uns auf das konzentrieren, was wir ändern können.

… in kontroversen, aber sachlichen Diskussionen.

Momentan durchaus schwierig: Wer lädt schon jemanden in Talkshows ein, der für Kompromissbereitschaft und Vielfalt plädiert? Dabei ist der Kompromiss das zentrale Wesensmerkmal der Demokratie. Die Frage ist: Wie kann man sachlich überhaupt noch die nötige Aufmerksamkeit erreichen? Dies müssen wir auch für unseren Verband beantworten. Schwache Organisationen werden überrollt. Wir müssen das Kreuz durchdrücken und stark sein: inhaltlich. Der Populismus extremer rechter wie linker Parteien lässt sich so simpel entlarven.

Was ist für Sie Populismus?

Ganz einfach: Das Verächtlichmachen von Institutionen und Personen, unzulässige Vereinfachungen, Kompromisse als etwas Schlechtes darstellen - und als Beweis für die vermeintliche Korrumpiertheit derer,  welche die Institutionen leiten. Eine Medizin dagegen wird schwer.

Es heißt, die AfD habe gerade in Sachsens Handwerk viele Sympathisanten. Wie schaffen Sie auch als Präsident der Dresdner Kammer den Spagat?

Da gibt es keinen Spagat. Klare Ansage: Mit Abgrenzung und Abschottung bekommt man keinen Wohlstand hin. Ich bin angetreten, um auch die Einheit des Handwerks zu bewahren. Aber inhaltlich müssen wir dann auch deutlich machen, dass ein Austritt aus der EU oder dem Euro, dass Rassismus und fehlende Weltoffenheit schädliche Auswirkungen für Handwerksbetriebe und ihre Beschäftigten haben.

Ist die zeitliche Nähe der Bundestagswahl zu den letzten Landtagswahlen im Osten ein Nachteil?

Das Problem ist eher, dass Politik ständig auf den Ausgang irgendeiner Wahl wartet. Europawahl. Nichts entschieden. Sommerpause. Die Wahl in Thüringen. In Sachsen. In Brandenburg. Dann die Hoffnung, dass es losgeht – und stattdessen: Die Regierung zerbricht. Seit dem Frühjahr 2024 gab es kaum noch gravierende Entscheidungen. Und jetzt warten wir auf den 23. Februar. Auf die Regierungsbildung. Dann auf den Haushalt …

Das klingt wie das hoffnungslose Warten auf Godot.

Ich möchte nicht der Defätist sein. Ich hoffe und setze darauf, dass es in demokratischen Bahnen gelingt. Klar ist aber auch: Mit den bisherigen Rezepten klappt es nicht. CDU und SPD haben in Sachsen einen Koalitionsvertrag mit 114 Seiten vereinbart. Dabei hätte es eine Präambel getan. Insofern warten wir nicht auf Godot, sondern auf Ergebnisse.

Warum?

Die Regierenden haben keine Mehrheit. Ich staune, was sie da alles aufschreiben. Jetzt ist die Erwartung, dass wir als Handwerk das stützen: Wir sind aber kein Gesetzgeber.

Aber Sachsens Handwerk wollte doch dort beim Koalitionsvertrag mitreden.

Wir sprechen über branchenspezifische Mindestlöhne, Arbeitsschutzgesetze, Arbeitszeitgesetz, ökologische Vorschriften noch und nöcher. Jetzt ist mal Schluss! Wir müssen endlich die populistische Welle brechen. Das gelingt nicht mit mehr Regulierungen wie einem verschärften Vergabegesetz.

Fast alle Bundesländer haben eins.

Und, ist es dort anders? Die größte Sorge der Menschen ist leider nicht die um Demokratie und Freiheit, sondern die Frage, wie es ökonomisch weitergeht. Die kalte Progression soll zwar weg, aber durch den Anstieg der Krankenkassenbeiträge haben die Leute nicht mehr Geld in der Tasche.  

In keinem Wahlprogramm wird auf die Einschnitte hingewiesen, die nach Ansicht vieler Experten nötig sind.

Das wundert mich nicht. Wer sagt schon: "Ich will Euch was wegnehmen, wählt mich!" Man könnte höchstens hinterfragen, warum jemand etwas verspricht, ohne zu sagen, wie es finanziert werden soll. Noch-Kanzler Scholz hat noch im vergangenen Jahr von einem Wachstum wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders gesprochen. Doch leider hatte die Wirtschaft Recht.

… und ist das zweite Jahr in Folge geschrumpft. Und nun?

Wir werden sicher nicht in Agonie fallen. Dafür geht durch die Digitalisierung alles viel zu schnell, sind die Reaktionen zu heftig - siehe Weltwirtschaftskrise 2008 oder LNG-Terminal in Mukran. Wenn wir müssen, können wir. Doch: Dafür müssen wir jetzt an großen Schrauben drehen. Denn egal, ob wir die Sozialsysteme sichern wollen, die Modernisierung unseres Landes bewältigen müssen oder geopolitischen Einfluss haben möchten – für alles braucht es eine starke Wirtschaft. Der Verlierer ändert die Spielregeln sicher nicht. Wir werden nicht ernst genommen, wenn wir nicht wettbewerbsfähig sind.

Das Handwerk kann nicht wie Großbetriebe ins Ausland flüchten.

Wohl wahr. Für uns als lohnintensive Branche sind die SV-Beiträge der Schlüssel. Aber für die Gesellschaft ist die Energie und die Transformation das Entscheidende. Ohne preiswerten Strom kriegen wir die Transformation nicht hin. Ob eine Flatrate für Investitionszulagen von zehn Prozent da hilft? Ich habe da meine Zweifel. Intel baut trotz 30-prozentiger Förderung nicht. Wir müssen systemisch an den Schrauben drehen, sonst wird es nichts.

Wo ist das Problem?

Wir haben uns viele Gesetze geschaffen, sind aber trotzdem handlungsunfähig: Wir verzeichnen einen hektischen Stillstand. Aus dem müssen wir raus. Dazu braucht es ein bisschen mehr Mitverantwortung eines jeden, Kompromissbereitschaft und entschlossene Staatsmänner und Politiker mit klaren Terminvorgaben.

Wann hat Dresden wieder eine Carolabrücke?

Ich bin Optimist, drängle mit dem Genua-Moment. Einen Wiederaufbau in zwei Jahren wie in Italien werden wir wohl nicht schaffen, aber in drei Jahren muss dort was stehen – und bis zum Jahresende eine Lösung für die Elbquerung in Bad Schandau. Dazu braucht es ein gehäuftes Maß an Ambitionen bei den Verantwortlichen.

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