Wirtschaft ankurbeln statt Betriebe weiter belasten!

Foto: ZDH/Henning Schacht
Hohe Kosten und Bürokratie gefährden Betriebe und Jobs, so ZDH-Präsident Dittrich in BILD. Die Politik müsse wirtschaftliche Realitäten endlich anerkennen.
Was darf auf keinen Fall im Koalitionsvertrag stehen?
Mehr Ausgaben, die wir uns momentan nicht leisten können. Die Reihenfolge muss stimmen. Es muss zuerst geklärt werden, wie wir die Wirtschaft wieder in Gang bekommen. Wir verlieren gerade Zehntausende Arbeitsplätze. Auch das deutsche Handwerk hat 62.000 Arbeitsplätzen im letzten Jahr verloren.
Die SPD will 15 Euro Mindestlohn ab dem nächsten Jahr durchsetzen. Was bedeutet das fürs Handwerk?
Beim Mindestlohn habe ich zwei heftige Kritikpunkte. Noch bevor die Mindestlohnkommission miteinander verhandelt, wird schon aus der Politik eine Forderung aufgestellt. Und: Ein zu hoher Mindestlohn setzt die Wettbewerbsfähigkeit weiter herunter und wir nehmen billigend in Kauf, dass Geschäftsmodelle verloren gehen. Es gibt nun mal einen Unterschied, ob man in der Uckermark vom Mindestlohn leben muss oder in München.
Sind dann Jobs im Handwerk gefährdet?
Wir sehen heute schon, dass in Bereichen, die sehr lohnintensiv sind, die Schwarzarbeit ansteigt. Ein Luxusprodukt darf teuer sein, aber wenn der Friseurbesuch oder die Reparatur der Heizung zum Luxusprodukt wird, dann sind wir auf der schiefen Ebene. Es würde keine Kündigungswellen im Handwerk geben, aber es gibt ein stilles Sterben, weil Meister sagen, das rechnet sich nicht mehr, ich schließe einfach den Laden zu.
Was sagen Sie zum Vorwurf, dass Chefs zu geizig sind, guten Lohn zu zahlen?
Sehr ehrverletzend! Ich kenne keinen Handwerksbetrieb, der das zweite Konto eröffnet hat, weil das erste voll ist.
Was würden 15 Euro Mindestlohn für den Friseurbesuch bedeuten?
Bei einer Lohnerhöhung von einem Euro hat der Mitarbeiter nur 60 Cent mehr in der Lohntüte. Für die Firma kommen Sozialversicherungskosten dazu, Rente, Krankenversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Feiertagsbezahlung. Und wenn wir all das dazu addiert haben, kommt die Umsatzsteuer von 19 Prozent noch obendrauf. Ohne zu übertreiben, können wir sagen: Ein Euro mehr Lohn bedeutet locker 2,50 bis 3 Euro auf die Preise.
Die SPD will den Spitzensteuersatz auf 47 Prozent anheben, die Reichensteuer auf 49 Prozent.
Ich bin entsetzt, dass die SPD noch nicht verstanden hat, dass 60 Prozent der Handwerksbetriebe Personengesellschaften sind. Dort ist die Einkommenssteuer die Unternehmenssteuer. Es wären Zehntausende Handwerksmeister betroffen, weil sie plötzlich als Superreiche gelten. Deswegen ist das kategorisch abzulehnen.
Viele Chefs nähern sich dem Rentenalter. Wie viele Handwerksbosse suchen händeringend nach einem Nachfolger?
Es kommt nicht genügend in der Gesellschaft an, dass uns die jungen Menschen, die bereit sind, einen Betrieb zu übernehmen, ausgehen. Wir reden im Handwerk von ungefähr 125.000 Betrieben, die übergeben werden müssen in den nächsten Jahren. Daran hängen 700.000 Arbeitsplätze. Zu einer ambitionierten Koalition gehört es zu sagen: Was machen wir, damit junge Menschen das überhaupt tun wollen?
Gibt es bei jungen Leuten zu wenig Interesse, einen eigenen Laden zu führen?
Wenn wir die Meisterjahrgänge fragen, warum wollt ihr euch nicht selbstständig machen, kommt mit einem hohen Prozentsatz: Wir haben Angst vor Bürokratie, vor Strafen, weil Dokumentationen nicht ordentlich geführt sind. Wir müssen hinschauen, ob all das, was wir verlangen von einer selbstständigen Person, noch angemessen ist. Wenn man Dokumentationen verlangt, die nichts mit dem eigentlichen Produkt zu tun haben.
Haben Sie den Eindruck, dass viele Politiker gar nicht wissen, was in der Praxis los ist?
Leider muss ich bestätigen, dass der Realitätsbezug, was die eigentlichen Nöte und Sorgen der Unternehmer sind, hinten runterfällt. Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Wenn in einem Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern eine Stundenaufzeichnung gesetzlich verlangt ist, die die Pausenzeiten mit erfasst. Es gab niemanden, der sich beschwert hat. Es wird nicht die Pausenzeit aufgezeichnet für die Lohnabrechnung oder für das Verhältnis Meisterin und Mitarbeiter. Sondern wir machen es, damit die Dokumentation da ist, damit der Chef keine Strafe bekommt. Das ist absurd.
Schwarz-Rot will die starren Arbeitszeitregeln lockern. Weg von der Tageshöchstzeit hin zur Wochenhöchstzeit. Kommt da der Zehn-Stunden-Tag auf Leute zu?
Ein neuer Aufbruch in der Wirtschaft bedeutet, dass wir mutig Dinge ausprobieren müssen. Ich kenne viele Betriebe, die frei entscheiden wollen, ob sie die Vier-Tage-Woche machen. Und die Mitarbeiter wissen, dass man trotzdem eine Arbeitsleistung erbringen muss. Die sagen: Ich fahre auf Montage, aber dann möchte ich an dem Tag 11 Stunden arbeiten. Überlasst mir die Entscheidung. Und das ist momentan nicht zulässig.
Müssen wir wieder mehr arbeiten?
Es nützt uns nichts, wenn wir in Schönheit unseren Wohlstand aufgeben. Zum anderen glaube ich, dass es einen fröhlichen Fleiß gibt. Ich hatte hier gerade eine Meisterfeier, war selbst überrascht, wie viele dieser älteren Damen und Herren noch arbeiten, obwohl sie teilweise jenseits der 70 sind. Das ist nicht der Aufruf, dass das bei allen so möglich ist. Aber ich glaube, dass unserer Gesellschaft ein fröhlicher Fleiß guttut. Dass wir nicht Arbeit per se zu etwas Schlechten machen. Und wir den Menschen und den Betrieben mehr Freiheit lassen müssen.