Deutschland braucht einen echten Reformschub

Foto: ZDH/Henning Schacht
Koalitionsvertrag muss Agenda für Entlastung und Modernisierung werden
Stellen Sie sich vor, Sie würden einen angeschlagenen Betrieb übernehmen. Was Sie vorfinden, ist eine Firma mit langer Erfolgsgeschichte und gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Doch das jahrzehntelang bewährte Geschäftsmodell steht unter Druck. Die Konkurrenz ringt Ihnen mit Innovationen und robusten Geschäftspraktiken gnadenlos Marktanteile ab. Die Kostenstrukturen sind aus dem Ruder gelaufen. Der Großteil Ihres Umsatzes geht für Verwaltung und die betriebliche Altersvorsorge drauf. Ihre Vertriebsmitarbeiter schreiben Berichte, anstatt sich um Kunden zu kümmern. Die Anlagen wurden auf Verschleiß gefahren, und auch bei der Digitalisierung hat Ihre Firma wichtige Entwicklungen verschlafen. Kurzum: Es läuft nicht gut. Was würden Sie jetzt tun?
In einer ähnlichen Situation befinden sich derzeit die Verhandlerinnen und Verhandler von CDU, CSU und SPD. Der Standort Deutschland steckt in einer tiefen politischen Modernisierungskrise. Die letzte große Reform liegt zwei Jahrzehnte zurück. Die Politik hat die Jahre voller Kassen nicht genutzt, um die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen und in die Substanz zu investieren. Dagegen nehmen Überregulierung und Abgabenlasten immer weiter zu – und das in einem Ausmaß, das für Betriebe und Beschäftigte kaum noch erträglich ist. Doch das, was aus Verhandlungskreisen zu hören ist, erweckt überhaupt nicht den Eindruck, dass die Reformdringlichkeit erkannt und dahingehend politische Vorhaben vereinbart werden.
Dabei müssten die Wirtschaftsdaten insgesamt und gerade auch die aus dem Handwerk im vierten Quartal aufrütteln: rückläufige Umsätze, rückläufige Auftragseingänge, rückläufige Beschäftigtenzahlen, gedrückte Erwartungen und eine verhaltene Investitionsbereitschaft. Wer jetzt bei den Koalitionspartnern noch meint, er könne die Betriebe mit weiteren finanziellen, sozialen und administrativen Belastungen sowie Rechtsansprüchen aus dem Beschäftigungsverhältnis überziehen, betreibt Realitätsverweigerung!
In dieser sehr ernsten Lage ist es die staatspolitische Pflicht und Aufgabe der neuen Koalition, alles zu tun, um mit einer mutigen Reformagenda die Standortpolitik neu auszurichten und der deutschen Wirtschaft die dringend benötigten Impulse zu geben. Das Sondierungspapier genügt diesem Anspruch nicht. Und wenig Anlass zum Optimismus gibt das, was bislang aus den Koalitionsverhandlungen durchgesickert ist. Offenbar herrscht der Glaube vor, die grundsätzlichen Probleme müssten nur mit genügend Geld zugeschüttet werden. Das jedoch wird nicht reichen. Wenn keine strukturellen Reformen und Entscheidungen dazu kommen, dann wird dieser Geldregen die Wirtschaft nicht zum Prosperieren bringen, sondern dann versickern die Mittel ohne wirtschaftsfördernde Wirkung zu haben. Es braucht eine Agenda für die Erneuerung und Modernisierung des Standortes Deutschland. Diese Reformagenda muss folgende Punkte beinhalten:
1. Bürokratie spürbar abbauen
Bürokratieabbau muss zur Chefsache werden und beim Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Das Instrument der Praxischecks muss für alle Ministerien verpflichtend vorgesehen werden.
2. Abgabenlast reduzieren und begrenzen
Die Beitragslast für Betriebe und Beschäftigte muss durch eine Abgabenbremse, strukturelle Reformen und die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen endlich wieder unter 40 Prozent gedrückt und dort gehalten werden. Keinesfalls darf es zu zusätzlichen Abgabenbelastungen kommen.
3. Steuerliche Rahmenbedingungen verbessern
Die Pläne für Entlastungen bei Einkommen- und Unternehmensteuer sind unkonkret und wenig ambitioniert. Eine Unternehmenssteuerreform, die diesen Namen verdient, muss her. Keinesfalls dürfen Entlastungen an anderer Stelle konterkariert werden.
4. Planbarkeit und Verlässlichkeit im Energiebereich
Hier muss der Grundsatz gelten: Notwendige Korrekturen in der Energie- und Klimapolitik anstoßen, ohne handwerkliche Märkte zu verunsichern. Im Rahmen der Wärmewende braucht es eine GEG-Novelle mit dem Ziel, das "Heizungsgesetz" deutlich zu vereinfachen und technologieoffen zu gestalten.
5. Berufliche Bildung und Berufsbildungsstätten stärken
Die Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung muss durch eine gesetzliche Verankerung umgesetzt werden, indem der Deutsche Qualifikationsrahmen in ein schlankes Verfahrensgesetz überführt wird. Zudem muss der Investitionsstau in den beruflichen Bildungszentren aufgelöst werden. Dies gilt es beim Ausführungsgesetz zum Sondervermögen Infrastruktur zu berücksichtigen.
Das Handwerk erwartet, dass die neue Bundesregierung das unverändert große Potenzial unseres Landes freisetzt und einen kraftvollen Aufbruch für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht. Bleibt sie allerdings beim Weiter-So, dann werden wir diese Chance für einen Neustart verpassen. Das wäre fatal und tragisch für die Betriebe und Beschäftigten am Standort Deutschland.