Gesetzlicher Mindestlohn belastet viele Betriebe zusätzlich
Zu den ohnehin hohen Belastungen der Energiekrise droht den Handwerksbetrieben durch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns eine dauerhafte Schwächung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Der gesetzliche Mindestlohn hat negative Auswirkungen auf das gesamte Lohngefüge und bedeutet einen Eingriff in das bewährte System der Sozial- und Tarifpartnerschaft, kommentiert UDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte im "STARK Magazin".
Aus Arbeitgebersicht ist die jüngst beschlossene Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober aus mehreren Gründen kritisch zu bewerten: Erstens schadet sie der Tarifautonomie in Deutschland erheblich. Zweitens kommt sie in Anbetracht der aktuellen ökonomischen Entwicklungen zur Unzeit und ist für besonders betroffene Bereiche der Wirtschaft mit erheblichen Belastungen verbunden. Drittens wird damit die Box der Pandora geöffnet und der gesetzliche Mindestlohn zum politischen Spielball.
Der neue gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro wird in fast 200 Tarifverträge eingreifen, in denen Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam Vergütungen ausgehandelt haben, die aus guten Gründen nicht höher liegen, da sie andernfalls für die Betriebe nicht tragfähig wären. Dieses sozialpartnerschaftliche System hat sich in Deutschland seit Jahrzehnten bewährt.
Durch den aktuellen politischen Eingriff wird das System der Tarifvereinbarungen in der Sozialpartnerschaft aber massiv geschwächt. Wenn ein Teil der Arbeitnehmer seinen Lohn staatlich geregelt erhält, warum soll ein Arbeitnehmer noch Mitglied in einer Gewerkschaft bzw. ein Arbeitgeber in einem tarifschließenden Arbeitgeberverband sein? Der ohnehin tendenziell zurückgehenden Tarifbindung in Deutschland wird damit ein Bärendienst erwiesen und die Sozialpartnerschaft strukturell weiter geschwächt. Auch das gerade im Handwerk bewährte System der Branchenmindestlöhne wird durch solche staatlichen Eingriffe teilweise in Frage gestellt.
In einer sozialen Marktwirtschaft ist die Sozial- und Tarifpartnerschaft ein zentrales Element, um einen Ausgleich zwischen Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und angemessenen Lohn- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu gewährleisten. Je näher die Verhandelnden an den je nach Branche und Regionen unterschiedlich ausgeprägten Interessen und Bedürfnissen der Arbeitgeber, Beschäftigten und Auszubildenden sind, desto größer ist die Akzeptanz der Ergebnisse für alle Beteiligten. Die Vielzahl und die Vielfalt der Tarifverträge in Deutschland zeigen, dass die Sozialpartner die branchenspezifische Situation vor Ort am besten kennen und verlässliche Rahmenbedingungen für Betriebe und Beschäftigte aushandeln. Bei einer politischen Festsetzung von Mindestlöhnen spielen hingegen ganz andere Dinge eine Rolle als die tatsächliche Marktsituation.
Besonders kritisch ist die geplante Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns vor dem Hintergrund der derzeitigen negativen Entwicklungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Schon die Corona-Krise setzte und setzt weiter den Betrieben zu, vor allem mit Blick auf unterbrochene Lieferketten und Personalausfälle. Nun kommen mit dem Ukraine-Krieg noch eine stark verteuerte und unsichere Energieversorgung, Materialknappheiten sowie eine massiv ansteigende Inflation hinzu. Angesichts der kumulativen Wirkung dieser Belastungsfaktoren wäre es ökonomisch klug gewesen, wenn die Bundesregierung die Umsetzung ihres Versprechens einer Mindestlohnerhöhung zumindest verschoben hätte. Diese politische Entscheidung führt zu einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um rund 15 % und übersteigt damit die bisherigen Anpassungen, die sich nachlaufend an der Tarifentwicklung orientiert haben. Durch diese überdurchschnittliche Anhebung steigen nicht nur die Löhne und damit die Kosten für die untere Lohngruppe mit in der Regel ungelernten Beschäftigten, sondern das gesamte Lohngefüge ist betroffen. Denn mit Blick auf das Lohnabstandsgebot wird es auch zu Erhöhungen in anderen, darüber liegenden Lohngruppen kommen. Damit wird der Faktor Arbeit nicht nur am unteren Rand, sondern insgesamt verteuert.
Am gravierendsten ist jedoch der Vertrauensverlust der Betriebe durch den Eingriff der Politik in die auf gesetzlicher Grundlage gefassten Beschlüsse der Mindestlohnkommission. Damit droht eine Politisierung der Festsetzung des gesetzlichen Mindestlohns. Die ehemalige SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles warnte – nachdem sie den Mindestlohn eingeführt hatte – selbst davor, die Lohnuntergrenze in Zukunft noch einmal politisch festzusetzen. Andernfalls würden "Willkür und Populismus Tür und Tor" geöffnet. Wenn jetzt die Lohnuntergrenze zum zweiten Mal gesetzlich festlegt wird, dann ist die Gefahr groß, dass der Mindestlohn auch künftig aus wahltaktischen und sozialpolitisch motivierten Gründen instrumentalisiert wird. Doch je weiter sich die Mindestlohnhöhe von der Entwicklung der Produktivität abkoppelt, drohen eine dauerhafte Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und am Ende negative Beschäftigungseffekte gerade für geringqualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Um diese negativen Effekte zu vermeiden, ist ohne Wenn und Aber an dem bisherigen und bewährten System der autonomen Festsetzung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes durch die sozialpartnerschaftlich besetzte Mindestlohnkommission festzuhalten.