Mittenwald: Wie der Geigenbau seit 300 Jahren den Ort prägt
Als der 32-jährige Grieche Charalampos Dafermos – eigentlich gelernter Uhrmacher – davon erfuhr, dass es in Mittenwald eine eigene Geigenbauschule gibt, lernte er Deutsch und bewarb sich um einen der zwölf begehrten Plätze an der Berufsfachschule. Interessenten müssen eine strenge Aufnahmeprüfung bestehen. Charalampos Dafermos meisterte sie erfolgreich.
Geigenbauschüler aus aller Welt
Die Berufsfachschule hat einen guten Ruf. Schüler wie Dafermos kommen von weither und sind hochmotiviert. Drei Jahre dauert die Ausbildung: Im ersten Jahr lernen die Schüler, den Geigenkorpus zu bauen, im zweiten Jahr arbeiten sie an Hals und Schnecken und lernen das Lackieren. Im dritten Jahr üben sie sich an Reparaturen und erarbeiten ihr Vorgesellenstück. Die Instrumente müssen mindestens ein halbes lang im UV-Raum oder im Sonnengang hängen, bevor sie lackiert werden.
Alles begann mit einer märchenhaften Geschichte
Begonnen hatte alles mit Mathias Klotz, geboren 1653 in Mittenwald. Als armer Jugendlicher war er in die Ferne ausgezogen und kehrte zurück als Mann, der es zu Wohlstand brachte und den Ort bis zum heutigen Tag prägt.
Dank einer Handelsroute war Mittenwald eng mit Venedig verbunden. Mathias Klotz arbeitete von 1672 bis 1678 als Geselle in einer berühmten Lautenbauwerkstatt in Padua. Klotz’ Rückkehr in seinen Geburtsort war eine kluge wirtschaftliche Entscheidung. Hier gab es keine Zunftbeschränkungen für den Instrumentenbau, über die Handelsstraße konnte er Rohstoffe ein- und Instrumente verkaufen. Praktisch vor der Haustür konnte Klotz genügend Bäume schlagen, die gutes Tonholz lieferten, um den Hunger des Spätbarocks nach neuen Instrumenten zu stillen. Er baute nach dem Cremoneser Konstruktionsprinzip und war damit ein absoluter Vorreiter diesseits der Alpen. Die Qualität seiner Geigen war weithin bekannt. Sein Können gab er in einer fünfjährigen Lehrzeit an Mittenwalder Schüler weiter, vor allem aber an seine Söhne und Enkel.
Exportschlager Mittenwalder Geigen
Um 1750 war der Name Klotz schon weltweit bekannt und die Mittenwalder Instrumente ein Exportschlager. 1764 schrieb Leopold Mozart, "dass Paris und London mit Mittenwalder Geigen voll sind."
Doch im Laufe der Zeit wandelte sich der blühende Handel zum Nachteil der Geigenbauer. Musikinstrumentenverleger kontrollierten im 19. Jahrhundert den gesam-ten Produktionsprozess der Geigen und exportierten sie bis in die USA. Um die Qualität des Mittenwalder Geigenbaus zu retten, gründete die Regierung von Bayern unter König Maximilian II. 1858 die Geigenbauschule. Anfangs lediglich eine Musterwerkstatt von lokaler Bedeutung, wandelte sich ihre Rolle über die Jahrzehnte und zog immer mehr Schüler aus der Ferne an.
Zu viele Geigenbauer
Der Mittenwalder Geigenbaumeister Anton Sprenger (www.violin-sprenger.de), ein Nachfahre von Mathias Klotz, sieht die Entwicklung der ständig steigenden Zahl der Geigenbauer kritisch: Die Zahl der Geigenbaubetriebe in Oberbayern hat seit dem Jahr 2000 um mehr als 70 Prozent zugenommen. Zwischen Mittenwald und München sei inzwischen in praktisch jedem Ort ein Geigenbauer ansässig, allein in München sind es 50.
Und vielen gehe es wirtschaftlich nicht gut. Die Verkaufspreise der handwerklich gefertigten Geigen stehen sowohl aufgrund der Konkurrenz der Geigenbauer untereinander als auch der industriellen Fertigung unter Druck und decken oft nur die Materialkosten.
Weltweite Exporte von Mittenwald
Sprenger könnte auf einer Weltkarte überall eine Nadel stecken für die Orte, wo eine seiner Geigen gespielt wird. Er ist sich sicher: In kaum einem Beruf kann man sich so sehr ein Denkmal setzen wie als Instrumentenbauer; immer werde gefragt, von wem das Instrument stammt.
Als Beleg, als Markenzeichen und als Erinnerung für die Nachwelt klebt Sprenger deswegen in jedes seiner Instrumente einen Zettel mit seinem Stempel – und mit einer kleinen Geschichte, was ihn oder die Welt zum Zeitpunkt des Baus bewegte.
Quelle: www.deutsche-handwerks-zeitung.de, Pressemitteilung vom 17. April 2024