Dünnes Glas in Holzbierkästen: Nachhaltige Getränkelogistik
Was ein gutes Bier ausmacht? Daniel Singh muss nicht lange über eine Antwort nachdenken. „Es braucht ‘ne drinkability“, sagt der Mann mit dem gut gepflegten Hipster-Bart und muss
selbst ein wenig über seine Wortwahl lachen. Tatsächlich ist drinkability nichts anderes als die zeitgemäße Übersetzung von Trinkbarkeit, Geschmack. Aber Singh, der 25 Jahre alte Braumeister aus Schwaben, bewegt sich mit seinem Handwerk in einem Marktsegment, in dem es auch um ein Lebensgefühl geht. Um Individualität und Frische, Moderne und Tradition. Im Gespräch mit ihm fällt immer wieder der Begriff „Genuss-Handwerk“.
Tatsächlich vereint das Brauhandwerk dieses Gefühl. Und Daniel Singh repräsentiert es geradezu bilderbuchmäßig, indem er sein Produkt konsequent mit seiner Person verknüpft. Er hat eine interessante Geschichte zu erzählen – wer sein Bier trinkt, kauft diese quasi gleich mit. Zu dieser Geschichte gehört die kühle kleine Garage seines Elternhauses in Weilheim an der Teck, südlich von Stuttgart, an deren Wänden sich die Bierkästen aus Holz stapeln und die Hopfenpellets in Glasbehältern duften. Von hier aus verkauft der im bayerischen Weihenstephan zum Diplom-Braumeister ausgebildete Sohn deutsch-indischer Eltern seit 2018 sein SinghBräu: das Helle, das lokale Zähringer und ein Pale Ale sind die Stammmarken. Je nach Jahreszeit kommen drei weitere Sorten hinzu. Immer in handlichen 330-Milliliter-Flaschen, immer mit einem Alkoholgehalt zwischen 5,0 und 5,4 Prozent.
"Bier ist wie schwäbischer Kartoffelsalat - bei jeder Oma schmeckt er anders."
Das Geschäft läuft ausgezeichnet, und das liegt natürlich vor allem an der Qualität des Produkts. Denn
Biertrinker mögen es zwar, wenn der Braumeister etwas von Tradition und Trends versteht, auch wenn sie ihn persönlich kennen. Vor allem aber muss ihnen sein Bier schmecken. Und das tut es. „Bier ist wie schwäbischer Kartoffelsalat“, scherzt Daniel Singh. „Immer sind Kartoffeln, Essig, Öl und Gewürze drin – aber bei jeder Oma schmeckt er anders. Bei mir sind auch nur vier Zutaten drin: Wasser, Hopfen, Malz und Hefe- aber wie viel von jedem, welches Hopfenterroir, wie es am Ende schmeckt, das entscheide ich.“ Sein Anspruch: Nicht zu viel Chichi, eher bodenständig; die Kundschaft soll nach der ersten Flasche noch Lust auf eine zweite haben.
Und das funktioniert bestens. Immer mehr Supermärkte, Lokale, Tankstellen und Feinkosthändler in der Gegend südöstlich von Stuttgart bieten mittlerweile das lokale SinghBräu an. Am
Wochenende kommen zusätzlich die Privatkunden in Singhs Garage und kaufen bei ihm ihren Biervorrat. Sie mögen, was Daniel Singh tut – und er liebt sein Handwerk. Um allen gerecht zu werden, braut er sein Bier in einem lokalen Braugasthof. Es ist eine Abmachung zum gegenseitigen Nutzen: „Ich kann mit der dortigen Anlage brauen, der Wirt kriegt seine Biere und ich baue parallel meine eigene Marke auf.“
SinghBräu soll gar nicht möglichst schnell, sondern vor allem beständig wachsen.
Verdammt viel Arbeit sei das, räumt er ein. Sechstagewoche, Bierverkostungen, Marketing und Rechnungswesen: „Ich muss immer 100 Prozent geben“, sagt er. „Brauen, Flaschen reinigen, das Sudhaus warten, abfüllen, ausliefern – wenn ich mir mal das Bein breche, steht hier alles still.“ Anfangs habe er sogar die Flaschen noch selbst etikettiert; mittlerweile steht auf einem Regal eine handliche italienische Etikettiermaschine. Doch SinghBräu soll gar nicht möglichst schnell, sondern vor allem beständig wachsen. Bald möchte er eine Honorarkraft einstellen, damit ihm nicht länger seine Eltern oder die Freunde zur Hand gehen müssen. Und klein zu sein, hat auch seine Vorteile: Daniel Singh kann sein Ding machen, muss sich nicht an die Vorgaben des Großhandels anpassen. Regionalität und nachhaltige Logistik sind ihm wichtig.
Die Rohstoffe sollen aus der Region kommen. Nicht immer ganz einfach. Auch an einem Lebensmittel wie Bier geht der globale Klimawandel nicht spurlos vorüber. Wegen der langen trockenen Sommer lasse schon heute die Qualität der Braugerste nach, erklärt Daniel Singh. „Wir Brauer werden immer eine Lösung finden, damit zu arbeiten, aber die Rohstoffpreise werden natürlich steigen. Trotzdem hoffen wir darauf, dass unsere Kunden weiter Wert auf Regionalität und Transparenz legen.“
Für SinghBräu hat er ein nachhaltiges Pfandsystem entwickelt. Seine schicken Sperrholzkisten für bis zu acht Flaschen lässt er in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen anfertigen. „Und wenn mal eine kaputt vom Kunden zurückkommt, repariere ich die rasch; wäre ja schade drum.“ Eine weitere umweltschonende Idee sind seine dünnwandigen Flaschen. „Die haben eine hohe Gewichtsersparnis und deshalb eine bessere CO²-Bilanz“, freut sich Daniel Singh. Aber da sei noch ein anderer, „netter“ Nebeneffekt: Das Bier wird schön schnell kalt.“
Welche Zukunft wünscht sich ein Handwerker wie Daniel Singh? Er ist ein Brauer, der früh durchstartet und früh sehr viel Erfolg hat. „Wenn ich träumen darf, ist das ein Gebäude, in dem ich oben wohne und unten braue“, antwortet er, „mit einer Terrasse für die Gäste und einem Schankraum für den Ausschank. Das wäre das Schönste.“ „Aber“, räumt er sogleich ein, „im Moment wäre das noch zu groß für mich. Ich möchte organisch wachsen, nicht von null auf hundert. Ein Brauer muss vor allem riechen, schmecken, sehen – das lernt man nur in der Praxis. Und da bin ich immer noch dran.“
Dieser Text erschien erstmals im ZDH-Jahrbuch 2020.