Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Karbonreste aus Flugzeugbau: Schrittgeber in Orthopädietechnik

Der Orthopädietechniker Björn Strehl aus Bremervörde tut, was er liebt, und liebt, was er tut. Um für Kinder mit Behinderungen die perfekten Hilfsmittel anbieten zu können, geht er technologisch ganz neue Wege.

Björn Strehl in seinem Betrieb in Bremervörde.

Die wichtigen Dinge des Lebens liegen meist ganz nah. Björn Strehl weiß das aus eigener Erfahrung. Der Orthopädietechniker aus Bremervörde war elf Jahre alt, als die Ärzte in seinem Fuß einen Tumor entdeckten. Strehl musste operiert werden, es fiel das Wort Amputation. Nach sieben Stunden auf dem OP-Tisch wachte der Junge auf – sein Fuß war noch dran. Man habe es noch mal probiert, sagte der Arzt. „Der Fuß ist heute noch dran“, sagt Björn Strehl und lacht, als hätte er gerade einen richtig guten Witz gemacht. Später, als junger Mann, ist er zu Fuß durch Kanada und Alaska gewandert. Es war ein extremer Belastungstest und eine Übung in Demut zugleich.

Für den heute 50-Jährigen war diese Krankheitserfahrung prägend. In seinem Unternehmen Strehl Kinderreha- und Orthopädietechnik versorgt er heute Kinder und junge Erwachsene mit allem, was deren Leben einfacher, besser machen kann. Er fertigt Orthesen, Prothesen, Korsetts, stattet Rollstühle und Buggys so aus, dass deren junge Benutzer leichter teilhaben können am Leben. Björn Strehl – Brille, Sakko, sportlicher Typ – liebt, was er tut; man spürt es, wenn man ihm zuhört. Wenn er durch sein Unternehmen am Stadtrand von Bremervörde in Niedersachsen führt. Wenn er von seinen 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erzählt. Oder wenn er eine kinderfußgroße Orthese mit pinkem Blümchenmuster zeigt. Die stabilisierende Beinschiene wird gerade für ein fünf Jahre altes Mädchen maßgefertigt, das unter Spasmen leidet.

Björn Strehl tut, was er liebt und liebt, was er tut

Auf die von ihm entwickelten und in seinem modernen Firmensitz in Bremervörde gefertigten Orthesen ist er besonders stolz. Seit fünf Jahren verwendet er dafür Karbon. Den ultraleichten, megastabilen Kunststoff bezieht er von Airbus, dem weltbekannten Flugzeugbauer aus der Region. Dort bleibt das Karbon übrig, Strehls Firma holt es ab und verwendet es weiter. „Ich habe mich gefragt, wie ich eine Wertschöpfungskette hinbekomme, von der das Unternehmen, die Mitarbeiter, die Kunden und die ganze Gesellschaft partizipieren.“ Das Ergebnis sind seine Produkte. „Familien denken bei Orthesen erst mal an den Film ,Forrest Gump‘, an schweres Leder und klappernden Stahl. Und dann bekommen die Kinder unsere Orthese, und die wiegt gerade mal 71 Gramm“, erzählt Strehl stolz. Die Patienten bekommen das Allerbeste, und das zu einem Preis, den die Krankenkassen auch bezahlen
können. Ja, die Schicksale der kleinen Patienten seien oft traurig, sagt er. Aber Björn Strehl wirkt alles andere als zerknirscht. „Oben hält uns die Freude darüber, was wir für die Kinder tun können“, sagt er.

„Wir testen verschiedene Möglichkeiten aus, gehen zu den Familien nach Hause, zusammen mit den Therapeuten. Und wenn wir helfen können, fühlt sich das großartig an.“ Es geht um Maßarbeit für Menschen mit speziellen Bedürfnissen, um gutes Handwerk. Die jungen Patienten hätten ihr Leben noch vor sich, das motiviere enorm, nach Lösungen zu suchen, innovativ zu sein, erklärt Strehl. „Wir wollen die Freude am Handwerk so ausleben, dass etwas Wertschätzendes rauskommt. Und das ist ja der Urtrieb eines jeden Handwerkers: dass er sich nicht beschränken lässt.“

Um all dies leisten zu können, braucht die Strehl Orthopädietechnik gute Leute. Nicht ganz einfach im ländlichen Bereich. Strehl ist das Problem systematisch und innovativ angegangen. Er hat die Strehl-Akademie gegründet, wo Quereinsteiger von Dozenten, Therapeuten, Ärzten und Eltern zu Fachkräften umgeschult werden. Auf der Website seines Unternehmens hat er dafür ein Recruiting- Portal installieren lassen. „Da kann man vom Handy aus seine Bewerbung hochladen und kriegt binnen drei Minuten eine Antwort.“ Schnelligkeit signalisiert Interesse, Wertschätzung – aber wie funktioniert das? „Die Bewerbung ploppt auf dem Handy meiner Personalerin auf, die tritt sofort in Kontakt mit dem Interessenten und lädt zum Telefoninterview ein. Und das führen wir dann abends, nach der ,Tagesschau‘. Dann sind die Kinder im Bett und es ist Zeit für ein Gespräch.“

"Oben hält uns die Freude darüber, was wir für die Kinder tun können."

Man spürt: Björn Strehl versteht eine Menge von den Bedürfnissen seiner Mitmenschen. Sein Engagement, sein freundliches Wesen und seine lösungsorientierte Art zahlen sich aus. Für die Mitarbeiter, aber auch für ihn selbst. Er weiß, was zu einem guten Leben gehört, auch im Job. Oben hält uns die Freude darüber, was wir für die Kinder tun können. „Wir leben hier ‘ne andere Strategie: Der Chef ist immer der Auftrag, für den arbeiten wir.“ Das Firmengebäude hat er gemeinsam mit seinen Mitarbeitern nach dem Feng-Shui-Prinzip entworfen, im Unternehmen ist die Atmosphäre freundschaftlich. Sich selbst verstehe er als eine Art Farmer, sagt er und muss schon wieder ein bisschen lachen. „Ich halte nach fruchtbaren Weiden Ausschau, die wir für unsere Zukunft benötigen. Die Weide wird dann gedüngt und geschützt, und am Ende bringen die Weidetiere den Ertrag.“

  • Materialien für die Herstellung bei Reha Strehl.

  • Ein Mitarbeiter bei der Arbeit in der Werkstatt von Reha Strehl.

  • Die Kanzlerin und ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer zu Gast am Stand von Reha Strehl auf der IHM 2019.

Dieser Text erschien erstmals im ZDH-Jahrbuch 2020.

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