EU-Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit
Hintergrund
Mit dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli 2020 hat die Europäische Kommission ihre „Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz“ veröffentlicht. Ziel dieser breit angelegten bildungspolitischen Initiative ist es, die Mitgliedsstaaten beim ökologischen und digitalen Wandel sowie der Bekämpfung der negativen sozioökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie zu unterstützen. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Förderung von gering qualifizierten und beschäftigungslosen Erwachsenen gelegt.
Zur Kompetenzagenda
Den inhaltlichen Schwerpunkt der Kompetenzagenda bilden die Bereiche Weiterbildung und Umschulung. Damit erweitert die Kommission konsequent ihren berufsbildungspolitischen Fokus, der zuvor auf der Förderung der Erstausbildung, unter besonderer Berücksichtigung des arbeitsbasierten Lernens lag.
Die Kompetenzagenda umfasst ein Bündel aus insgesamt zwölf Maßnahmen, deren Kern ein Vorschlag zu einer Ratsempfehlung zur beruflichen Aus- und Weiterbildung ist. Dieser Vorschlag zielt ab auf eine Modernisierung der Berufsbildungssysteme in den EU-Mitgliedsstaaten hin zu einer stärkeren Fokussierung auf Arbeitsmarktrelevanz von Qualifikationen, Digitalisierung und ökologischer Nachhaltigkeit. Gefördert werden sollen u. a. flexible und modulare Bildungswege, transnationale Mobilität zu Lern- und Arbeitszwecken sowie Exzellenz in der Berufsbildung. Weiterentwickelt werden soll außerdem das Konzept europäischer beruflicher Kernprofile. Die Ratsempfehlung soll im Verlauf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft angenommen werden.
Weitere Maßnahmen der Kompetenzagenda sind:
- ein „Pakt für Kompetenzen“,
- der Aufbau einer digitalen „skills intelligence“,
- die Förderung von Kompetenzen zur Unterstützung des ökologischen und digitalen Wandels,
- die Prüfung einer Initiative zu individuellen Lernkonten,
- der Start und weitere Ausbau der neuen Europass-Bildungsplattform.
Bewertung
Mit der neuen Kompetenzagenda unterstreicht die Kommission die hohe Relevanz der beruflichen Aus- und Weiterbildung für die zukünftige ökonomische Leistungs- und Innovationsfähigkeit der EU. Qualitativ hochwertige Berufsbildungssysteme werden als Schlüssel zur erfolgreichen digitalen und ökologischen Transformation und zur Bewältigung der negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie angesehen.
Die Umsetzung einzelner Maßnahmen muss allerdings genau verfolgt werden, um sicherzustellen, dass das erfolgreiche System der beruflichen Bildung in Deutschland nicht in eine qualitative Abwärtsspirale gerät. Dies könnte v. a. durch die Implementierung einer digitalen europäischen Bildungsinfrastruktur befördert werden. Gerade beim neuen Europass, in dessen Entwicklung und Governance weder die Mitgliedsstaaten noch die europäischen Sozialpartner gleichberechtigt eingebunden worden sind, ist nicht absehbar, welche strukturellen Auswirkungen diese Plattform auf nationale Bildungssysteme hat. So besteht seitens des ZDH beispielsweise die Sorge, dass es mit dem neuen Europass nicht gelingen wird, die im EU-Kontext oftmals nur wenig bekannten Abschlüsse der Höheren Berufsbildung entsprechend zu berücksichtigen. Kritisch gesehen wird auch die starke Betonung modularer Qualifikationen, die das Handwerk zumindest für den Bereich der Erstausbildung ablehnt, sowie die Ankündigung, eine Initiative zu Lernkonten zu prüfen, aus der sich individuelle Ansprüche ableiten lassen könnten.
Was zu tun ist
Anstatt zu versuchen, die Bereiche Weiterbildung und Umschulung in einer Art Top-down-Ansatz und durch den Aufbau einer digitalen Infrastruktur EU-weit zu organisieren, sollte sich die Kommission noch stärker darauf fokussieren, im Zusammenspiel mit Mitgliedsstaaten und Sozialpartnern den Auf- bzw. Ausbau qualitativ hochwertiger nationaler Weiterbildungssysteme, die Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung, die Transparenz und Qualität von Qualifikationen und die transnationale Mobilität von Auszubildenden, Fachkräften sowie Ausbilder/innen und Lehrer/innen zu fördern. Insbe-sondere für den letztgenannten Punkt sollten die Mittel für das EU-Bildungsprogramm Erasmus+ mindestens – wie von der Kommission vorgeschlagen – verdoppelt werden.