Lieferkettengesetz: KMU nicht überfordern
Sachstand
Die EU-Kommission wird im zweiten Quartal 2021 einen Vorschlag zur nachhaltigen Unternehmensführung vorlegen, der die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten und daran anknüpfende Haftungsfragen regeln soll. Parallel dazu wird auf Bundesebene über ein deutsches Lieferkettengesetz beraten, das zum Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden könnte.
Bewertung
Das Handwerk steht für Nachhaltigkeit. Oft sind Lieferketten im Handwerk lokal und regional verortet, Kunden und Zulieferer arbeiten vertrauensvoll und langfristig zusammen. Viele Handwerksbetriebe engagieren sich lokal darüber hinaus für Qualität und Sicherheit der Produkte und Dienstleistungen. Allerdings werden gesetzliche Regelungen für Nachweise und Weitergabe von Informationen in der Lieferkette meist mit Blick auf industrielle Wertschöpfungsketten und Anwender geschaffen. Für Handwerksbetriebe können zusätzliche bürokratische Belastungen entstehen, die gute Ansätze behindern und nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Marktstellung oder zu den Einflussmöglichkeiten des Betriebs stehen.
Pflichten müssen verhältnismäßig und machbar bleiben. Die meisten Handwerksbetriebe beziehen ihre Produkte und Waren über Intermediäre in der EU. Dadurch haben sie in der Regel keinen direkten Kontakt zu internationalen Zulieferern. Nachweispflichten müssen sich somit auf den Import von Waren in die EU beschränken und nicht deren Weiterverarbeitung im europäischen Binnenmarkt umfassen.
Offenlegungs- und Nachweispflichten treffen Handwerksunternehmen auch indirekt. Eine Verpflichtung für große Unternehmen hat Auswirkungen auf Zulieferer und nachgelagerte Dienstleister, da sie vertraglich verpflichtet werden, den Vorgaben zu entsprechen. Neben einer Begrenzung des Anwendungsbereichs durch einen hohen KMU-Schwellenwert bedarf es vor allem einer Begrenzung der Berichtspflichten auf die erste Zuliefererstufe („tier- 1“).
Neuregelungen können nachhaltige Ansätze etwa im Bereich Kreislaufwirtschaft behindern. Deutsche Orgelbauer beispielsweise beziehen Zinn aus Indonesien, um Metallpfeifen herzustellen. Um möglichst nachhaltig zu wirtschaften, werden alte Zinnpfeifen mit neuem Zinn verschmolzen und zu neuen Metallpfeifen gegossen. Aufwendige Nachweispflichten, welche Zinncharge welchen Metallpfeifen zuzuordnen sind, laufen diesem ressourcenschonenden Ansatz zuwider.
Bestehende Branchenlösungen berücksichtigen. Handwerksbetriebe, die über bestehende branchenspezifische Gütesiegel nachweisen können, dass die von ihnen verarbeiteten Materialien nicht aus Konfliktregionen stammen oder unter menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen hergestellt wurden, sollten von den geplanten Kontroll- und Nachweispflichten ausgenommen werden („white list“).
Forderungen
Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie darf ein Lieferkettengesetz nicht zu unnötigen Belastungen gerade der kleinen Betriebe des Handwerks führen. Ein Lieferkettengesetz muss daher
- grundsätzlich verhältnismäßig sein und etablierte branchenspezifische Nachhaltigkeits- und CSR-Gütesiegel berücksichtigen;
- durch eine gründliche Folgenabschätzung bürokratische Belastungen für KMU erkennbar machen;
- wenn überhaupt nur europaweit eingeführt werden (level playing-field);
- sich praxisnah auf die erste Zuliefererstufe beschränken (tier-1);
- keine zivil- oder gar strafrechtliche Haftung vorsehen;
- sich nicht allein auf eine KMU-Ausnahme fokussieren; auch bei einem hohen Schwellenwert können Berichtspflichten auf KMU abgewälzt werden und
- sich zumindest an den Kriterien der CSR-Richtlinie 2014/95/EU orientieren.