Junges Wohnen: Wohnraum für Azubis
Ein hoher Fachkräftebedarf im Handwerk geht einher mit einem hohen Azubibedarf. Auszubildende sind in der Regel minderjährig, somit ohne Führerschein und daher nur eingeschränkt mobil. Sie in ihrer Mobilität zu unterstützen ist daher ein entscheidender Ansatzpunkt zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses im Handwerk.
Insbesondere in den Ballungszentren besteht ein starker Wettbewerb um preisgünstigen Wohnraum zwischen Studierenden, Auszubildenden und anderen Personen mit geringem Einkommen. Aber auch im ländlichen Raum gibt es aufgrund unzureichender Angebote des öffentlichen Nahverkehrs und der häufig dezentralen Lage von Ausbildungsbetrieben im Handwerk und Berufsschulen Bedarfe für Lehrlingsunterkünfte.
Wohnangebote für Auszubildende
Bezahlbarer Wohnraum für Auszubildende, der die besonderen Bedarfe junger Menschen berücksichtigt und ggf. auch pädagogische Beratung und Unterstützung anbietet, wird durch verschiedene Anbieter bereitgestellt.
1. Temporäres Wohnen während der überbetrieblichen Unterweisung im Handwerk
Das Handwerk unterhält und betreibt bundesweit fast 600 Berufsbildungsstätten, in denen neben der Fort- und Weiterbildung insbesondere auch die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung für Auszubildende durchgeführt wird. Die Kurse summieren sich je nach Gewerk auf zwei bis acht Wochen pro Jahr und sind verpflichtend. Da viele Auszubildende nicht wohnortnah unterwiesen werden können, verfügen zahlreiche Bildungsstätten über Internate, die temporäres Wohnen ermöglichen. Infolge der Schließung und Zusammenlegung von Berufsschulstandorten werden diese Unterbringungsmöglichkeiten zudem auch während der Theoriewochen zunehmend von Auszubildenden nachgefragt.
2. Jugendwohnen
Auszubildende, die nicht mehr im Elternhaushalt leben, nehmen aufgrund ihres jugendlichen Alters häufig Angebote des Jugendwohnens wahr. Diese reichen vom Jugendwohnheim über Wohngruppen, Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung, Blockschulwohnheimen bis hin zu Internaten, die zu einer berufsbildenden Einrichtung gehören, und umfassen damit sowohl temporäre Angebote (für bestimmte Lehrgänge) als auch längerfristige Wohnmöglichkeiten am Ort des Ausbildungsplatzes.
In den rund 500 Einrichtungen des sozialpädagogisch begleiteten Jugend- und Azubi-Wohnens (Stand 2012), die über die Initiative "Auswärts Zuhause" vernetzt sind, steigt aktuell der Bedarf der Auszubildenden an Unterstützungsleistungen an.
Angebote des Jugendwohnens sind jedoch nicht gleichmäßig in Deutschland verteilt, sondern konzentrieren sich auf Bayern (16 Prozent der Angebote), NRW (15 Prozent), Baden-Württemberg (13 Prozent) sowie Sachsen (12 Prozent).
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3. Weitere Azubi-Wohnangebote
Wohnheime mit und ohne pädagogische Betreuung werden darüber hinaus von Stiftungen angeboten (z. B. Azubiwerk Hamburg, AzubiWerk München und Bürgermeister-Reuter-Stiftung in Berlin), die u. a. von Kommunen, Sozialpartnern, Kammern und Verbänden sowie Betrieben getragen werden.
Darüber hinaus bieten das Studierendenwerk an einzelnen Standorten (z. B. Wohnen für Studierende und Auszubildende: Hamburg), Vereine (z. B. Wohnheim des gemeinnützigen Vereins Junge Politik) sowie private Anbieter Wohnmöglichkeiten für Auszubildende.
4. Wohnen im ländlichen Raum
Auch jenseits der Ballungszentren besteht ein Bedarf an bezahlbaren und attraktiven Wohnangeboten für junge Menschen, um Ausbildungsplätze besetzen zu können und dem Trend der Abwanderung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus ländlichen Räumen entgegenzuwirken.
Im Rahmen des Modellprojekts "Junges Wohnen" des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg wurden beispielsweise zukunftsorientierte Wohnmodelle für junge Erwachsene durch die Umnutzung leerstehender Gebäude entwickelt. Gerade Kleinstädte sind hierfür geeignete Standorte. Standorte des "Jungen Wohnens" können hier auch zur Stabilisierung von Nachfragestrukturen und zum Erhalt von Bausubstanz beitragen.
Förderung und Finanzierung
Die Unterbringung junger Menschen während einer beruflichen Ausbildung sowie eine begleitende pädagogische Beratung und Betreuung werden durch den Bund und die Bundesagentur für Arbeit gefördert:
1. Förderprogramm "Junges Wohnen"
Es sieht eine Förderung von Wohnraum für Studierende und Auszubildende mit 500 Millionen Euro vor. Gefördert werden können laut Ankündigung des BMWSB der Aus-, Neu- oder Umbau von Wohnheimplätzen. Weitere Infos
2. Förderung der sozialpädagogischen Unterstützung
Die Unterbringung in sozialpädagogisch begleiteten Wohnformen während beruflicher Bildungsmaßnahmen oder bei der beruflichen Eingliederung ist über § 13 Abs. 3 SGB VIII geregelt. Weitere Informationen zur Jugendberufsbeihilfe.
3. Förderung der Wohnkosten und des Lebensunterhalts
Eine Förderung erfolgt in der Regel zudem über die Ausbildungsförderung, beispielsweise Berufsausbildungsbeihilfe (§ 56 SGB III) und Bedarf für den Lebensunterhalt bei Berufsausbildung (§ 61 SGB III).
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4. Förderung der Internate der Überbetrieblichen Bildungsstätten im Handwerk
Häufig sind auch an handwerklichen Bildungsstätten Internate angeschlossen. Der Bedarf an temporärem Wohnen steigt je mehr bestimmte Ausbildungsinhalte in wenigen Standorten konzentriert werden. In der Investiven Förderung von Bund und Ländern sind Internate zwar förderfähig, aber werden nur selten unterstützt, da die Fördermittel nicht ausreichen. In der Folge werden in vielen Fällen Modernisierungsvorhaben von Internaten staatlich nicht oder nur in geringem Maße finanziell gefördert. Dabei sind sie ein ebenso wichtiger Faktor der Attraktivität von beruflicher Aus-, Fort- und Weiterbildung und notwendig, um diese überhaupt erst zu ermöglichen.
5. Weitere Förderungen
Für Teilnehmende an länderübergreifenden Fachklassen bzw. Blockbeschulungen sowie überbetrieblichen Unterweisungen gewähren häufig die Bundesländer, Kommunen und Betriebe Zuschüsse. Dauerwohnplätze werden darüber hinaus durch Selbstzahlende finanziert.
Übersicht Länderförderungen und -zuständigkeiten
| Zuständigkeit Studentenwohnraumförderung | Zuständigkeit Azubiwohraumförderung | Vorhandene Richtlinien |
Baden-Württemberg | Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst | Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen | |
Bayern | Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr | Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr | |
Berlin | Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege | Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen | |
Brandenburg | Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur |
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Bremen | Die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung | Die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung |
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Hamburg | Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung | Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung | Link |
Hessen | Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum | Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum | |
Mecklenburg- Vorpommern | Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung | Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung | |
Niedersachsen | Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung | Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung | |
Nordrhein- Westfalen | Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung | Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung | |
Rheinland- Pfalz | Ministerium der Finanzen | Ministerium der Finanzen | |
Saarland | Ministerium für Inneres, Bauen und Sport | Ministerium für Inneres, Bauen und Sport | |
Sachsen | Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus | Staatsministerium für Kultus | |
Sachsen- Anhalt | Ministerium für Infrastruktur und Digitales | Ministerium für Infrastruktur und Digitales | |
Schleswig- Holstein | Ministerium für Inneres, Kommunales Wohnen und Sport (MIKWS) Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur (MBWFK) |
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Thüringen | Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft | Zuständigkeit Richtlinie für Auszubildende in Klärung | |
BUND | BMWSB |
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Fehlender Wohnraum für Azubis hat Folgen
Die folgenden Herausforderungen, die aufgrund fehlender Wohnangebote für Auszubildende resultieren, erschweren die Besetzung von Ausbildungsplätzen im Handwerk.
1. Eingeschränkte Erreichbarkeit der Lernorte
Nach einer Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind insbesondere in Landkreisen und kreisfreien Städten, die über eine gute Lehrstellenversorgung verfügen, Pendelbewegungen von Auszubildenden aus benachbarten Regionen zu beobachten. Dies gilt in besonderem Maße für überregionale Ausbildungsmärkte wie Berlin, Hamburg, Stuttgart, München oder Frankfurt am Main, in denen Auszubildende kaum bezahlbaren Wohnraum finden, sodass sie auf das Pendeln angewiesen sind. Auch Kreisstädte ziehen häufig junge Menschen aus den umliegenden Landkreisen an, besitzen aber nur unzureichend ein passfähiges Wohnungsangebot.
2. Schließung von Schulstandorten
Eine Unterstützung der Mobilität der Azubis gewinnt zudem durch die Verlegung und Konzentration von Berufsschulstandorten zunehmend an Bedeutung. Nach einer Untersuchung des BIBB wurden aufgrund rückläufiger Schülerzahlen bereits zahlreiche Berufsschulen geschlossen, sodass eine wohnortnahe und fachspezifische Beschulung immer schwieriger wird. Darüber hinaus findet eine länderübergreifende Beschulung in so genannten Splitterberufen, viele davon im Handwerk, mit nur wenigen Auszubildenden statt. In der Regel haben die länderübergreifenden Fachklassen einen Einzugsbereich von zwei bis fünf Ländern, sodass für den Besuch eine temporäre Unterbringung der Auszubildenden – insbesondere im Handwerk – zwingend erforderlich ist.
3. Steigendes Durchschnittsalter der Ausbildungsanfänger
Das Durchschnittsalter der Auszubildenden mit Neuabschluss im Handwerk ist laut Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung zwischen 2007 und 2019 um ein Jahr auf 19,6 Jahre gestiegen. Mit zunehmendem Alter der Auszubildenden wächst in der Regel der Wunsch, eine eigene Wohnung zu beziehen bzw. mit Gleichaltrigen zusammen zu wohnen. Vor diesem Hintergrund können fehlende Wohnangebote die Aufnahme einer Ausbildung verhindern oder zu einer vorzeitigen Lösung des Ausbildungsvertrags führen.
4. Förderung der überregionalen Mobilität im Rahmen der Ausbildungsgarantie
Im Rahmen der Ausbildungsgarantie wird u. a. die überregionale Suche nach einem Praktikums- und Ausbildungsplatz unterstützt. So werden Fahrkosten und Unterkunftskosten während eines Betriebspraktikums für noch nicht abschließend beruflich orientierte Schulabsolventinnen und -absolventen sowie Schulabgängerinnen und -abgänger finanziell gefördert. Ebenso wurde ein Mobilitätszuschuss für junge Menschen eingeführt, die für eine Ausbildung ihre Heimatregion verlassen. Ein Praktikum bzw. eine Ausbildung in einem Betrieb, der jenseits des Tagespendelbereichs liegt, erfordert eine temporäre oder langfristige Unterbringungsmöglichkeit.
5. Anwerbung von Auszubildenden und Fachkräften aus Drittstaaten
Zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses sollen verstärkt junge Menschen zum Zwecke der Ausbildung und Fachkräfte aus Drittstaaten angeworben werden. Die Integration junger Menschen aus dem Ausland scheitert – insbesondere in den Ballungszentren – bislang häufig an den fehlenden Angeboten für preisgünstige Unterbringungsmöglichkeiten.
Was zu tun ist
Aufgrund der beschriebenen Herausforderungen durch fehlende Wohnangebote für Auszubildende und der aktuellen Finanzierungssituation werden folgende Vorschläge für das politische Handeln gemacht:
1. Gleichwertige Berücksichtigung des Azubi-Wohnens beim "Jungen Wohnen"
Auf der Länderebene muss das Azubi-Wohnen gleichrangig mit Studierendenwohnen behandelt werden, damit ein bedarfsorientiertes Angebot für Auszubildende im Handwerk entstehen kann. Bildungs- und gesellschaftspolitisch sind auch gemeinsame Wohnangebote für Auszubildende und Studierende sinnvoll, um ein gegenseitiges Verständnis und eine wechselseitige Förderung zu unterstützen. |
2. Förderung temporärer Wohnangebote in Internaten
Es ist zwingend erforderlich, auch temporäre Wohnangebote/Internate gleichrangig zu fördern, um Auszubildenden mit langen Anfahrtswegen während der überbetrieblichen Unterweisung und der Blockbeschulung angemessene Unterbringungsmöglichkeiten zu bieten. Dabei ist neben einer finanziellen Förderung von Modernisierungsmaßnahmen auch eine Förderung für die Umsetzung energie- wie klimatechnischer Standards vorzusehen. |
3. Umsetzung des Förderprogramms "Junges Wohnen" auch im ländlichen Raum
Das Bund-Länder-Programm "Junges Wohnen" ist nicht nur in Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum anzuwenden. An den Bedarfen junger Menschen orientierte und bezahlbare Wohnangebote unterstützen die Besetzung von Ausbildungsplätzen im Handwerk und wirken der Abwanderung in Ballungszentren entgegen. |
4. Qualitativ gleichwertiges Wohnumfeld für Auszubildende und Studierende
Das Jugend- und Azubi-Wohnen sollte mindestens den qualitativen Standards des Studierendenwohnens entsprechen, um jungen Menschen in beiden Bildungsgängen ein gleichwertiges Wohnumfeld zu bieten. |
5. Bedarfsgerechte Förderung des sozialpädagogisch begleitenden Jugendwohnens
Mit Blick auf einen nach wie vor hohen Anteil minderjähriger Auszubildender im Handwerk ist eine sozialpädagogische Betreuung in den Blick zu nehmen. Ein entsprechend durch das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gefördertes Azubi-Wohnen trägt nicht nur zur Fachkräftesicherung bei, sondern unterstützt auch die nachhaltige Integration junger Menschen in Ausbildung und Beschäftigung. |
6. Verstetigung der Förderung des "Jungen Wohnens"
Das Förderprogramm "Junges Wohnen" ist über 2025 hinaus zu verstetigen, damit Bauprojekte weiter geplant und dem Bedarf entsprechend umgesetzt werden können. |
Deutschland braucht eine Bildungswende
Es bedarf einer echten Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung in materieller und ideeller Hinsicht. Denn Deutschland braucht ausreichend beruflich qualifizierte Fachkräfte, um den Herausforderungen der Zukunft begegnen zu können.