Positionspapier zur Stärkung der Attraktivität der Berufsbildung
Problemstellung
Die demografische Entwicklung und die hohe Studierneigung junger Menschen führen zu rückläufigen Auszubildendenzahlen in der dualen beruflichen Ausbildung. Daraus entsteht ein Handlungsdruck sowohl für die Betriebe, die Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen können, als auch für die Berufsschulen, die zukünftig nicht mehr ausgelastet sind. Negative gesellschaftlich und volkswirtschaftliche Effekte ergeben sich daraus, dass unter anderem wichtige Fach- und Führungspositionen nicht mehr bzw. nicht mehr qualifikationsadäquat besetzt werden können. Hinzu kommt im Handwerk beispielsweise, dass in den kommenden 10 Jahren bis zu 200.000 Betriebsnachfolgen zu realisieren sind.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurde im Jahr 2014 mit 484.195 abgeschlossenen Ausbildungsverträgen erneut ein historischer Tiefstand erreicht. In keinem Jahr seit der Wiedervereinigung lag die Zahl der Neuabschlüsse niedriger. Die Zahl der Studienanfänger übersteigt mit 503.888 die der abgeschlossen Ausbildungsverträge im Jahr 2014.
Forderungen
Die Institutionen der Berufsbildung müssen es zukünftig erreichen, leistungsstarken Jugendlichen chancenreiche berufliche Bildungs- und Karrierewege zu eröffnen, die den akademischen in der Attraktivität nicht nachstehen und als alternativer Bildungs- und Karriereweg wahrgenommen werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Förderung leistungsstarker und potenziell leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler verstärkt in den Fokus zu nehmen und gemeinsam zu organisieren, denn leistungsstarke und potenziell leistungsfähige Schülerinnen und Schüler finden sich in allen Bildungsinstitutionen.
Durch die Kooperation der Kultusministerkonferenz und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks sollen die Herausforderungen gemeinsam angegangen und die Attraktivität der Berufsbildung gestärkt werden.
Zur Steigerung der Attraktivität der Berufsbildung sind Bildungs- und Karriereangebote vorzuhalten, die eine Alternative zu primär hochschulischen Qualifizierungswegen darstellen. Diese Bildungs- und Karriereangebote sollen grundlegende Anreize für leistungsstarke Jugendliche bei deren künftiger Lebens- und Laufbahnplanung setzen. Zur Steigerung der Attraktivität der Berufsbildung werden die folgenden bildungspolitischen Handlungsfelder als bedeutsam angesehen:
- Eine breite flächendeckende Berufs- und Studienorientierung an Gymnasien, unter Berücksichtigung der Karrierewege in der beruflichen Bildung;
- die Gestaltung attraktiver Bildungsangebote für Aussteiger aus den akademischen Karrierewegen im Bereich der beruflichen Bildung;
- die Konzeption eines "Abiturs mit Lehre" (Kurzform: BerufsAbitur), bestehend aus dem Ausbildungs- bzw. Gesellenabschluss nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. der Handwerksordnung und einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung.
- Die Kultusministerkonferenz und der Zentralverband des Deutschen Handwerks sehen die oben genannten Handlungsfelder als geeignet an, leistungsstarke und potenziell leistungsfähige Schülerinnen und Schüler zum Studium alternativer Bildungs- und Karrierewege zu gewinnen.
Vereinbarungen
Die Kultusministerkonferenz und der Zentralverband des Deutschen Handwerks sprechen sich dafür aus
- die Berufsorientierung als eigenständige und zur Studienorientierung erweiterte Vorbereitung der Schüler und Schülerinnen an Gymnasien auf das Erwerbsleben bzw. die tertiäre Bildung zu etablieren;
- die Attraktivität der Berufsbildung durch Flexibilität in der individuellen Gestaltung von Bildungs- und Karrierewegen durch die Kombination von Abschlüssen allgemeiner, beruflicher und akademischer Bildung zu erhöhen,
- die Durchlässigkeit zwischen allgemeiner, beruflicher und akademischer Bildung zu fördern,
- die Berufsbildung als alternativen Bildungsweg zum Studium bewusstzumachen und Optionen für diesen Bildungsweg wie beispielsweise das "BerufsAbitur" zu verankern.
Die Kultusministerkonferenz und der Zentralverband des Deutschen Handwerks vereinbaren die folgenden Punkte:
- gemeinsam Konzepte für die flächendeckende Berufsorientierung an Gymnasien zu entwickeln und zu etablieren,
- Bildungspartnerschaften zwischen Schulen (insbesondere Gymnasien), Betrieben, Handwerkskammern und Innungen zur Förderung leistungsstarker und potenziell leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler zu initiieren, gemeinsam zu organisieren und auszubauen,
- gemeinsam Angebote für die Gruppe der Studienaussteiger zu konzeptionieren bzw. weiterzuentwickeln,
- eine Bestandserhebung und Prüfung von bestehenden Modell- und Schulversuchen zum doppelqualifizierenden Angebot "BerufsAbitur" anzustoßen,
- eine enge Kooperation bei der Konzeption und Erprobung des doppelqualifizierenden Angebotes "BerufsAbitur" durchzuführen,
- eine gemeinsame Bewerbung des "BerufsAbiturs" und Integration in die Berufsorientierungsprogramme der jeweiligen Bundesländer und des Handwerks zu realisieren,
- eine öffentlichkeitswirksame Kommunikationsoffensive gemeinsam durchzuführen,
- die Lehreraus- und Weiterbildung, auch für die Sekundarstufe II, unter dem Aspekt einer umfassenden späteren Erwerbsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im Beschäftigungssystem gemeinsam qualitativ weiterzuentwickeln.