Zentralverband des
Deutschen Handwerks
Zentralverband des
Deutschen Handwerks
16.04.2025

100-Tage-Bilanz: Richtige Weichenstellungen mit Unsicherheiten

Im aktuellen "Brief aus Brüssel" ordnet Tim Krögel, Leiter des Bereichs Europapolitik, die erste 100-Tage-Bilanz der neuen EU-Kommission aus Sicht des Handwerks und der Betriebe ein.

Liebe Leserinnen und Leser,

Geopolitische Entwicklungen führen zu neuen EU-Prioritäten wie Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und der Stärkung der Demokratie. Damit ist auch klar, dass das neue Mandat der EU-Kommission einen anderen Fokus haben wird als bislang. Jetzt kommt zu diesen Herausforderungen ein Handelskonflikt mit unserem größten Handels- und Sicherheitspartner, den USA hinzu. Europäische Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie werden von allen Seiten bedroht. Doch die EU trifft das alles nicht unvorbereitet. Sie hat gerade erst die Gesetze für die digitale Welt fertiggestellt, um gegen Ausbeutung und Beeinflussung ihrer offenen Marktwirtschaft vorgehen zu können. Diese bieten auch mögliche Antworten auf Strafzölle aus den USA, neben konventionellen Handelsinstrumenten, die bereits nach der letzten Amtszeit von Donald Trump entwickelt wurden.

Wie rasant sich jedoch die Welt um uns verändert, ist eine besondere Herausforderung für Europa. Oft stehen wir uns selbst im Weg mit schwerfälligen Verfahren und langwierigen Kompromissen. Überregulierung, viele Details ersticken die Wirtschaftsstärke der EU, die wir gerade jetzt so dringend brauchen. Daher muss der Blick darauf gerichtet werden, was in Brüssel konkret für die Entlastung der Betriebe passiert und schnell weiter passieren muss.

Gesetze vereinfachen, die Wirtschaft stärken

Nach vielen Ankündigungen hat die EU-Kommission innerhalb der ersten 100 Tage hier tatsächlich wichtige Impulse gegeben. Am 26. Februar hat sie neben einer Industriestrategie auch die ersten beiden Teile ihrer umfassenden Vereinfachungsagenda zur Stärkung der europäischen Wirtschaft vorgestellt. Mit dem sogenannten "Omnibuspaket 1" will die Kommission zur Vereinfachung der Berichtspflichten u.a. Änderungen bei der Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen (CSDDD), der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) und der Taxonomie-Verordnung vorschlagen. Ausdrückliches Ziel: Weniger Bürokratie vor allem für KMU, indem Berichtspflichten gestrafft und vereinfacht sowie indirekte Auswirkungen ("Trickle-down"-Effekte) durch klare Vorgaben und maximale KMU-Standards bei der Berichterstattung verhindert werden. Die Vorschläge der Kommission sind nicht perfekt, aber sie sind gut. Auch das Arbeitsprogramm der Kommission für 2025 liest sich anders als früher: Weniger neue Maßnahmen und ein starker Fokus auf Umsetzung und Vereinfachung.

Wieviel von diesen geplanten Entlastungen kommen aber am Ende bei den Handwerksbetrieben vor Ort an?

Vereinfachung ist eine gemeinsame Aufgabe

Hier setzt die geballte Komplexität der EU an. Denn ein Gesetz kann nur durch ein anderes Gesetz geändert und vereinfacht werden. Die Befugnis, Gesetze zu ändern, hat die Kommission aber nicht. Sie hat lediglich das Initiativrecht. Sie macht die Gesetzesvorschläge, aber nur die Mitglieder des Europäischen Parlaments und die Vertreter der Mitgliedstaaten im Rat können über diese Vorschläge entscheiden. Um den Gesetzgebern ausreichend Zeit zu geben, hat die Kommission auch vorgeschlagen, den Anwendungszeitpunkt der Richtlinien zu verschieben.

Die Frage ist nun, ob sich der Aufbruchsgeist der Kommission auf die anderen beiden Institutionen überträgt. Der erste Test – die Abstimmung zur zeitlichen Verschiebung der Richtlinien über Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferkettenregulierung – ist im Parlament mit breiter Mehrheit für den Vorschlag gut gelaufen. Aber nur mehr Zeit zu vereinbaren, bringt wenig. Die Verschiebung der Entwaldungsverordnung bis Ende 2025 wurde zum Beispiel vergangenen Dezember im letzten Moment beschlossen. Die Zeit vergeht aber nun, ohne dass an inhaltlichen Verbesserungen gearbeitet wird. Das bedeutet, dass die Atempause eher zu weiterer Rechtsunsicherheit führt, ohne dass sich eine wirkliche Lösung abzeichnet. Das ist unsachgemäß und wird der Rhetorik zur Wettbewerbsfähigkeit nicht gerecht.

Bei den nun zu verhandelnden inhaltlichen Änderungen von Nachhaltigkeitsberichtserstattung und Lieferkettenregulierung ("Omnibus 1") sieht es so aus, als würden sowohl im Parlament als auch im Rat Grabenkämpfe zwischen den Parteien stattfinden. Es ist sogar zu befürchten, dass die Vorschläge der Kommission ins Stocken geraten. Was bedeutet das dann für die Betriebe? Stillstand, denn bis sich Mitgliedstaaten und Parlament auf etwas Neues geeinigt haben, gilt der im letzten Mandat beschlossene Rechtsrahmen, wenn auch verschoben um ein bzw. zwei Jahre.

Neue Mehrheiten in den EU-Institutionen

Die Wirtschaft baut entsprechenden Druck auf, dass etwas passieren muss. Das Risiko, dass die Politik am Ende nicht liefern wird, ist jedoch hoch. Eine Hoffnung besteht darin, dass sich seit der letzten Europawahl die Mehrheitsverhältnisse geändert haben: Die EVP, die europäische Fraktion der Christdemokraten, stellt in allen drei EU-Institutionen die größte Kraft. CDU und CSU drängen auf Vereinfachung. Ob im entscheidenden Moment ausreichend Mehrheiten bei den Parlamentariern der anderen Mitgliedstaaten gefunden werden können, hängt von der Fähigkeit der Politiker ab, gute Kompromisse zu schmieden. Die größte Sorge bereitet der Faktor Zeit. Die Dringlichkeit, die von allen Seiten betont wird, ist bei den Verhandlern noch nicht ausreichend zu spüren. Hier bleibt das Handwerk weiter dran!

Aber auch auf Seiten der EU-Kommission von Frau von der Leyen gibt es noch einiges zu tun. Der neue Fokus liegt auf Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Das ist richtig. Aber es muss auch sichergestellt werden, dass die Fehler des letzten Mandats – unzureichende Beachtung der Folgewirkung auf das Gros der Wirtschaft - nicht wiederholt werden.

Den vertrauensbasierten Politikansatz endlich durchsetzen!

Dreh- und Angelpunkt jeder europäischen Gesetzgebung muss ein vertrauensbasierter Politikansatz sein. Berichtspflichten müssen auf das absolut notwendige Mindestmaß reduziert, jeder einzelne Datenpunkt kritisch geprüft werden. Für KMU sollte grundsätzlich keine Vorabprüfung/-Zertifizierung erforderlich sein. Zudem sollten Selbsteinschätzungen ermöglicht werden. Schließlich müssen von vorneherein längere Übergangsfristen für KMU gelten, während derer auf Durchschnittswerte zurückgegriffen werden kann. Nur so verschafft die Kommission den Unternehmerinnen und Unternehmern die dringend notwendige Luft zum Atmen, ohne sie von den Entwicklungen auszuschließen.  

Schließlich müssen für KMU auch nachträglich Verbesserungen und Erleichterungen in weiteren Rechtsakten eingebaut werden, so beispielswiese bei der aktuell noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Richtlinie über Umweltaussagen oder eben bei der oben beschriebenen Entwaldungsverordnung.

Was jetzt geschehen muss

Die Kommission sollte den Schwung der neuen Legislatur nutzen, um noch 2025 erste konkrete Ergebnisse bei der Entlastung der Unternehmen zu erreichen. Insgesamt muss aber vor allem ein Perspektivenwechsel eintreten. Gesetze müssen von Anfang an mit dem Ziel einer starken Wirtschaft gedacht werden. Dafür ist das Verständnis, wie die Wirtschaft und vor allem wie KMU in der Realität funktionieren, von größter Bedeutung. Die radikalen Veränderungen, die nun eintreten werden, müssen gemeinsam mit der Wirtschaft, ganz besonders mit dem Mittelstand, der wirtschaftlich und sozial die EU zusammenhält, gestaltet werden. Sonst ist die EU am Ende nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Ihr Tim Krögel   

Das Format "Brief aus Brüssel". In regelmäßigen Abständen informiert ZDH-Bereichsleiter Tim Krögel über aktuelle Entwicklungen und ordnet diese handwerkspolitisch ein.

Schlagworte