Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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31.10.2024

Wie KMU-orientiert wird die neue EU-Kommission?

Im aktuellen "Brief aus Brüssel" ordnet Tim Krögel, Leiter des Bereichs Europapolitik, die neue EU-Kommission und ihre Prioritäten aus Sicht des Handwerks und der Betriebe ein.

In dieser Woche startet unser neues Format "Brief aus Brüssel" im Rahmen der "Europa aktuell". Alle zwei Monate informiert ZDH-Bereichsleiter Tim Krögel über aktuelle Entwicklungen und ordnet diese handwerkspolitisch ein. In dieser Ausgabe: Die neue EU-Kommission und ihre Prioritäten.

Liebe Leserinnen und Leser,

die zunehmende Detailsteuerung durch die EU-Kommission führt dazu, dass Handwerksbetriebe immer stärker direkt von EU-Maßnahmen betroffen sind. Was bedeutet das für das Handwerk? Können die Betriebe mit einem Kurswechsel rechnen?

Zwei zentrale Themen aus der letzten Legislatur werden wohl auch die nächsten Jahre dominieren:

Der Green Deal und ein handlungsfähiges Europa

Erstens der Green Deal: Diese umfassende Strategie, die das Ziel verfolgt, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, hat das Handwerk in Brüssel in den letzten Jahren intensiv beschäftigt. Zahlreiche konkrete Maßnahmen wurden bereits auf den Weg gebracht – von der Reduzierung von Lebensmittelabfällen über die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden bis hin zu Vorgaben für die globalen Lieferketten europäischer Unternehmen. Mit diesen Maßnahmen sind Fakten geschaffen worden, die die zukünftige Ausrichtung Europas maßgeblich prägen sollen. Die daraus resultierenden Regeln werden uns noch über Jahre hinweg sowohl in der Gesetzgebung als auch in der praktischen Umsetzung begleiten.

Zweitens die globale Instabilität, die sich auch in unserer Gesellschaft widerspiegelt: Aus Sicht der EU-Kommission müssen die nächsten fünf Jahre genutzt werden, um ein starkes und handlungsfähiges Europa zu schaffen. Zögern und Zaudern sollen von einer klaren politischen Führung in Brüssel abgelöst werden, die darauf abzielt, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand zu sichern. Ursula von der Leyen hat gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament die großen politischen Prioritäten festgelegt: Sicherheit und Verteidigung, strategische Unabhängigkeit bei wichtigen Rohstoffen sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU durch Führerschaft in sauberen Technologien.

Und was bedeutet das nun für das Handwerk?

Zum einen ist der Fokus auf mehr Wettbewerbsfähigkeit längst überfällig. Im Programm der neuen EU-Kommission sind Vereinfachungen und der Abbau von Berichtspflichten ausdrücklich vorgesehen. Auch das gesamte EU-Recht soll überprüft werden – eine längst notwendige Maßnahme. Allerdings steht diese Ankündigung im Widerspruch zu den zahlreichen neuen Auflagen des Green Deal. Erst Bürokratie aufbauen und dann teilweise abbauen zu wollen, führt unterm Strich dennoch zu mehr Bürokratie für die Betriebe. Ein echter "Belastungsstopp", bei dem weniger neue Gesetze für Unternehmen beschlossen werden, ist eher unwahrscheinlich.

Zum anderen richtet sich beim Thema Wettbewerbsfähigkeit der Blick vor allem auf die europäische Industrie und orientiert sich weniger an der ganz überwiegenden Mehrheit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die Standortsicherung soll durch gezielte strategische Investitionen erreicht werden. Handwerksbetriebe könnten in den Wertschöpfungsketten davon profitieren, insbesondere durch den Schwerpunkt auf "clean tech", also sauberen Technologien. Gleichzeitig will die EU-Kommission Marktstrukturen gezielt verändern und dies in einer Weise, die eher den Großen in die Hände spielt: Nicht nur bei Fördermaßnahmen, sondern auch beim Wettbewerbsrecht soll künftig das industriepolitische Potenzial der Unternehmen stärker berücksichtigt werden. Diese Bevorzugung großer Unternehmen birgt jedoch Risiken für einen fairen Wettbewerb – auf europäischer, aber auch auf lokaler Ebene, besonders in Deutschland.

Der Binnenmarkt als Schlüssel für die Industriestrategie

Darüber hinaus sieht die EU-Kommission den Binnenmarkt als Schlüssel für die Industriestrategie. Angestrebt wird mehr Integration und größere Märkte, erreicht werden soll dies durch Harmonisierung sowie durch bessere Finanzierungsbedingungen mittels einer Weiterentwicklung der europäischen Kapitalmarktunion. Gerade die Harmonisierung betrifft das Handwerk in vielfacher Weise: Viele der in den letzten Jahren beschlossenen, praxisfernen Regelungen sind für Handwerksbetriebe schwer umsetzbar, da den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung oft kein Spielraum bleibt. Das verhindert zwar das sogenannte "Gold Plating",bei dem nationale Regeln noch verschärft werden, aber selbst kleine Fehler oder Unklarheiten im Gesetz haben massive Auswirkungen, wie etwa bei der Entwaldungsverordnung. Aus Handwerkssicht positiv ist zu bewerten, dass der Bürokratieabbau bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung wie auch die Digitalisierung von Verfahren, etwa durch einheitliche digitale Entsendeformulare, vorangetrieben werden sollen.

Fachkräftesicherung zentral steuern

Auch bei der Fachkräftesicherung verfolgt die EU-Kommission einen vorrangig industriepolitischen Ansatz. Ziel ist es, mit möglichst geringen Anforderungen (Minimalstandards) möglichst viele Fachkräfte bereitzustellen. Das widerspricht dem Prinzip der umfassenden dualen Ausbildung, die es allerdings auch nur in wenigen Mitgliedstaaten gibt. Obwohl die EU in diesem Bereich keine direkte Regelungskompetenz hat, schafft sie durch ihre Industriepolitik dennoch Tatsachen. Das Handwerk lehnt diese Vorgehensweise ab, bringt sich jedoch weiter konstruktiv ein, um die Entwicklungen aktiv mitzugestalten.

Strategische Investitionen fördern

Öffentliche Gelder sollen ebenfalls eine neue Rolle spielen: Die EU-Kommission will die EU-Vergaberichtlinien überarbeiten. Ziel ist es, dass die öffentliche Auftragsvergabe stärker eine Vorbildfunktion spielt. Das hat allerdings in der Vergangenheit zu mehr Komplexität von Vergabeverfahren und Rechtsunsicherheit für die Vergabebehörden geführt. Zudem soll der EU-Haushalt umgestaltet werden, um gezielt strategische Investitionen wie Grundlagenforschung, Industriepolitik und Infrastruktur zu fördern. Der neue Fokus der Investitionen soll zu Lasten der dezentralen Strukturförderung gehen. Die Mitgliedstaaten sollen demnach in Zukunft mit der EU-Kommission die Verwendung der Mittel aushandeln. Die Erfahrung zeigt allerdings: je zentraler und “strategischer“ EU-Gelder eingesetzt werden, desto weniger Geld fließt an KMU, die meistens nicht die Möglichkeit haben, sich an zentral gesteuerten großen Projekten und Programmen zu beteiligen. Die Verhandlungen zum kommenden MFR sind daher besonders kritisch zu begleiten.

Auch Themen wie die hohen Energiepreise, die Wohnungsnot und die Migrationspolitik zählen zu den von der Kommission identifizierten Prioritäten.

Fazit

Ursula von der Leyens Plan ist es, große Herausforderungen mit Lösungen auf EU-Ebene anzugehen. Dafür sollen die EU-Institutionen in bestimmten Bereichen über den Regelungsebenen der Mitgliedstaaten stehen. Die Erfahrungen aus der vergangenen Legislaturperiode zeigen: Für das Handwerk bringt entschlossenes Handeln auf europäischer Ebene zahlreiche Herausforderungen und nicht selten auch neue Belastungen mit sich. Insofern wird es auch in den kommenden fünf Jahren viel zu tun geben, um sicherzustellen, dass die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen nicht übersehen werden. Wichtig für das Handwerk ist, sich aktiv einzubringen und die strategischen Weichenstellungen frühzeitig mitzugestalten.

Ihr Tim Krögel

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