Eckpunktepapier - Änderung des Übergangsgesetzes zum 01.07.2024
1. Der Gerüstbau wurde im Rahmen der 2. HwO-Novelle vom 25. März 1998 als zulassungspflichtiges Handwerk qualifiziert. Gleichzeitig wurden im sog. Übergangsgesetz 21 Handwerke dahingehend privilegiert, dass Betriebe dieser Handwerke Tätigkeiten des Gerüstbaus ausüben durften. Zwischenzeitlich wurde das Gebäudereiniger-Handwerk als weiteres privilegiertes Handwerk im Übergangsgesetz hinzugefügt. Dieser verfehlte Ansatz hat dazu geführt, dass sich der Gerüstbau in den vergangenen 25 Jahren nicht im gleichen Maße wie andere Handwerke als eigenständiges Handwerk entwickeln konnte.
2. Diese Entwicklung wurde dadurch noch verschärft, dass im Zuge der 3. HwO-Novelle 2003/2004 sechs der mittlerweile 22 privilegierten Handwerke zulassungsfrei wurden.
3. Zwar grenzt das Übergangsgesetz die auch anderen Handwerken zugeordneten Tätigkeiten des Gerüstbaus auf das Aufstellen von Arbeits- und Schutzgerüsten ein. Allerdings umfassen diese Tätigkeiten den weitaus überwiegenden Teil des Betriebsprogramms eines durchschnittlichen Gerüstbaubetriebs.
4. De Facto hat die HwO-Novelle 2003/2004 den Vorbehaltsbereich des Gerüstbauer-Handwerks (ohne den erklärten Willen des Gesetzgebers) vorübergehend ausgehöhlt. Mit der Rückführung von 12 Handwerken in die Anlage A zur Handwerksordnung ist auch das Aufstellen von Arbeits- und Schutzgerüsten wieder umfassend dem Vorbehaltsbereich des Handwerks unterstellt.
5. In einem weiteren Schritt wurde das Übergangsgesetz dahingehend geändert, dass es ab dem 1. Juli 2024 anderen Handwerken als den Gerüstbauern nur noch erlaubt ist, Arbeits- und Schutzgerüste im Zusammenhang mit der eigenen Leistungserbringung aufzustellen.
6. Zum Stichtag 1. Juli 2024 ist es folgenden Gruppen erlaubt, Arbeits- und Schutzgerüste aufstellen.
- Gerüstbaubetriebe, die mit diesem Handwerk in die Handwerksrolle eingetragen sind.
- Meisterbetriebe (oder Betriebe mit einer dem Meister vergleichbaren Qualifikation) der bislang durch das Übergangsgesetz privilegierten Handwerke.
- Betriebe der Handwerke Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Betonstein- und Terrazzohersteller, Estrichleger sowie Schilder- und Lichtreklamehersteller, die ohne Nachweis einer Qualifikation über die Bestandsschutzregelung des § 126 HwO in die Handwerksrolle eingetragen sind.
Hinweis: Dass auch die im Übergangsgesetz nicht genannten Handwerke möglicherweise für eigene Zwecke Arbeits- und Schutzgerüste aufstellen (etwa Informationstechniker, Boots- und Schiffbauer, Uhrmacher, Glockengie- ßer, Holz- und Bautenschützer oder Fuger im Hochbau) soll hier außer Betracht bleiben, da keine konkreten Informationen vorliegen, in welchem Maß in diesen Handwerken überhaupt eigene Gerüste von den Betrie- ben vorgehalten werden. |
7. Gerüstbaubetriebe der Gruppe 6.a) dürfen nach wie vor sämtliche Dienstleistungen dieses Handwerks ausführen und bleiben im Weiteren außer Betracht.
8. Betriebe der Gruppen 6.b) und 6.c) dürfen ab dem 1. Juli 2024 Arbeits- und Schutzgerüste nur noch im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen des eigenen Handwerks aufstellen. Die Tätigkeit ist ihnen nicht mehr als wesentliche Tätigkeit zugeordnet. Zu unterscheiden sind dann folgende Fallgruppen:
Fallgruppe 1 | Fallgruppe 2 | Fallgruppe 3 |
Gerüst wird für eigene Tätigkeit aufgestellt | Gerüst wird im Rahmen des § 5 HwO Dritten zur Nutzung überlassen | fstellen von Gerüsten für Dritte ohne Leistungserbringung im eigenen Handwerk |
Keine Eintragung mit Gerüstbau erforderlich | Keine Eintragung mit Gerüstbau erforderlich | Eintragung mit Gerüstbau erforderlich |
9. Generell besteht für alle zulassungspflichtigen Handwerke die Möglichkeit, im Rahmen des § 5 HwO Gerüstbauleistungen zu erbringen, wenn sie mit dem Leistungsangebot des jeweiligen Gewerbes technisch oder fachlich zusammenhängen oder es wirtschaftlich ergänzen. Hierbei besteht jedoch die Einschränkung, dass für diese Leistung nicht geworben werden darf und sie eine untergeordnete Rolle (max. 20% des Auftragsvolumens) spielen muss. Eine Beteiligung an Ausschreibungen für Gerüstbauleistungen ist in diesen Zusammenhang nicht möglich.
10. Betriebe, die bisher bereits auf der Grundlage des Übergangsgesetzes nachweislich Tätigkeiten des Gerüstbauer-Handwerks ausgeübt haben und über den 1. Juli 2024 hinaus jenseits ihres eigenen Handwerks isoliert Leistungen des Gerüstbauer-Handwerks erbringen möchten (s. Fallgruppe 3 unter Ziffer 8.), müssen sich bei der zuständigen Handwerkskammer unter den üblichen Voraussetzungen (Nachweis Meisterbrief oder meistergleiche Qualifikation im Gerüstbauer-Handwerk in der Person des Betriebsinhabers bzw. des technischen Betriebsleiters) in die Handwerksrolle eintragen lassen. Kann ein Meisterbrief oder ein anderer förmlicher Abschluss (Hochschulabschluss, Technikerprüfung) nicht nachgewiesen werden, kommt die Beantragung einer Ausnahmebewilligung nach § 8 HwO oder einer Ausübungsberechtigung nach § 7a HwO bzw. § 7b HwO in Betracht. In den Fällen der §§ 7a, 8 HwO sind die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Gerüstbauer-Handwerk nachzuweisen.
11. Sowohl bei der Ausnahmebewilligung als auch der Ausübungsberechtigung müssen die notwendigen bzw. erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten in der Person des Antragstellers nachgewiesen werden. Auf welchem Weg dies erfolgt, ist in erster Linie Sache des Antragstellers. Kann der Nachweis nicht in sonstiger Weise erbracht werden, erfolgt im Zweifel eine Überprüfung, deren Elemente je nach Einzelfall alternativ oder kumulativ eine theoretische Prüfung, eine Arbeitsprobe sowie ein Fachgespräch sein können. In diesem Zusammenhang sind auch die bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten des Antragstellers zu berücksichtigen, die allerdings legal erworben sein müssen.
12. Eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten im Gerüstbauer-Handwerk, Teilgebiet Arbeits- und Schutzgerüste, ohne Durchführung einer Sachkundeprüfung ist zu bejahen, wenn ein Antragsteller eine im Gerüstbauer-Handwerk eingerichtete Betriebsstruktur nachweist, er die in der Meisterprüfung in seinem Handwerk erworbenen Gerüstbaukenntnisse vertieft hat und zusätzlich über einen längeren Zeitraum Praxiserfahrung – auch unter Bezugnahme auf die konkrete Betriebsstruktur – erworben hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Baustelleneinrichtung und insbesondere das Aufstellen von Arbeits- und Schutzgerüsten Kenntnisse und Fertigkeiten erfordert, die nicht nur im Rahmen von Aus- und Fortbildung im Gerüstbau vermittelt werden. Sie finden in unterschiedlichen Abstufungen auch in den Rahmenlehrplänen und Meisterprüfungsberufsbildern anderer Handwerke Erwähnung. Dies gilt für die Handwerke Maurer und Betonbauer, Maler und Lackierer, Stuckateur, Zimmerer, Klempner, Steinmetze, Dachdecker, Straßenbauer, WKS, Metallbauer, SHK, Tischler, Glaser, Fliesenleger, Brunnenbauer sowie Schilder- und Lichtreklamehersteller.
Der Nachweis erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten kann etwa über Materialrechnungen,-listen, Arbeitsverträge, Schulungsnachweise, Fotodokumentationen, Mietverträge oder Auftragsnachweise/Rechnungen erbracht werden. Dabei können auch diejenigen Gerüstbauleistungen Berücksichtigung finden, die im Rahmen der Auftragsabwicklung im eigenen Handwerk erbracht wurden (soweit sie gesondert abgerechnet wurden). Nicht berücksichtigungsfähig sind dagegen Leistungen durch Dritte (etwa Subunternehmer).
Fallbeispiel: Betriebsinhaber B ist auf der Grundlage einer bestandenen Meisterprüfung seit 27 Jahren mit dem Dachdecker-Handwerk in die Handwerksrolle eingetragen. Durch die Vorlage von Rechnungen über einen Zeitraum von sechs Jahren zwischen 2017 und 2023 kann nachgewiesen werden, dass Arbeits- und Schutzgerüste aufgestellt wurden und Gerüstbau-Material im erforderlichen Umfang (siehe unten 13.d)) vorhanden ist. Einem Antrag auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung nach § 7a HwO kann ohne Durchführung einer gesonderten Überprüfung der Fach- und Sachkunde entsprochen werden. |
13. Kriterien für eine adäquate Betriebsstruktur sind:
- Gesonderter Betriebsteil "Gerüstbau" (z.B. 3-Mann-Kolonne bestehend aus Unternehmer, einer befähigten Person, ein Helfer). Dieses Kriterium gilt als erfüllt, wenn zum Auf- und Abbau von Arbeits- und Schutzgerüsten überwiegend Personen eingesetzt werden, die erfolgreich eine Ausbildung in einem der Handwerke absolviert haben, die in § 1 Abs. 4 Übergangsgesetz aufgeführt sind und ihre Fachkunde im Gerüstbau nachweisen können. (Mitarbeiterqualifikation gemäß den Mindestanforderungen aus Anhang 1 Nummer 3.2.6 BetrSichV bzw. Abschnitt 4.2.7, 4.2.8 und 5.5 TRBS 2121-1.)
- Mitarbeiterqualifikation gemäß den Mindestanforderungen aus Anhang 1 Nummer 3.2.6 BetrSichV bzw. Abschnitt 4.2.8 TRBS 2121-1. Diese Anforderung ist mit erfolgreich bestandener Gesellenprüfung erfüllt.
- Darstellung einer Arbeitsschutzorganisation, z. B. nach GDA-Kriterien. Da alle Betriebe des Handwerks dem Arbeitsschutz verpflichtet sind, ist die Erfüllung des Kriteriums bei einem ordnungsgemäß geführten Meister-Betrieb des zulassungspflichtigen Handwerks als erfüllt anzusehen.
- Mindestmaterialbestand zwischen 1.000 und 1.500 m² in ausreichend flexibler Zusammensetzung für Arbeits- und Schutzgerüsten. Das Kriterium ist erfüllt, wenn ein Materialbestand nachgewiesen wird, der für das gleichzeitige Einrüsten von zwei bis drei Einfamilienhäusern ausreicht.
- Fuhrpark, der den Erfordernissen des sicher zu transportierenden Materials entspricht (kann auch von einem kompetenten Dienstleister gestellt werden).
- Geräte, die den Erfordernissen zur Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften entsprechen (können auch von einem kompetenten Dienstleister gestellt werden).
- Allgemeine Infrastruktur im Gerüstbau. Infrastruktur, wie Büroräume inkl. Ausstattung sowie Lagerplatz inkl. Sozialräumen, der Betriebsgröße entsprechend.
- Nachweis der gesundheitlichen Eignung für Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr (Höhenuntersuchung / G 41-Untersuchung). Darstellung einer Arbeitsschutzorganisation, z. B. nach GDA-Kriterien.
- Teilnahme an Schulungen durch Antragsteller und/oder Mitarbeiter. Regelmäßige Weiterbildungen der überwiegend im Gerüstbau tätigen Mitarbeiter in Themenbereichen des Gerüstbaus müssen erkennbar sein.
14. Die vorstehenden Kriterien müssen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einer natürlichen Person (Meister) im eigenen Betrieb oder einem entsprechend qualifizierten Betriebsleiter im Sinne des Nachweises der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten zugerechnet werden können. Der so gestaltete Nachweis der bisherigen praktischen Tätigkeit soll auf (Inhaber-) Meisterbetriebe beschränkt sein. Grund ist, dass diejenigen, die eine Ausbildung und darauf aufbauend die Qualifikation zum Meister durchlaufen haben, zumindest einen Grundstock an Kenntnissen und Fertigkeiten im Gerüstbau vorweisen können (s. o.).
15. Nur wenn Praxiskenntnisse zum Stichtag 30. Juni 2024 anhand der vorstehend aufgeführten Kriterien nachgewiesen werden können, kommt ein Verfahren ohne Sachkundeprüfung in Betracht.
Fallbeispiel: Im Jahr 2028 wird von einem Antragsteller die Meisterprüfung im Fliesenleger-Handwerk abgelegt und es erfolgt eine Eintragung in die Handwerksrolle. Wird danach ein Antrag auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung für das Gerüstbauer-Handwerk gestellt, kommt dieses Eckpunktepapier nicht zur Anwendung. Stattdessen gelten die allgemeinen Prinzipien des § 7a HwO (s. 10.). Es reicht insbesondere nicht aus, wenn die unter Nr. 13 aufgeführten Kriterien erst im Jahr 2025 oder später vorliegen. Beim Nachweis von Tätigkeiten können als Praxiszeiten nach den allgemeinen Grundsätzen nur solche berücksichtigt werden, die legal ausgeübt wurden. |
16. Vor dem Hintergrund der nicht vollständigen Erfassung des Gerüstbauer-Handwerks durch § 1 Abs. 4 Übergangsgesetz sollen die Ausübungsberechtigungen und Ausnahmebewilligungen auf "das Aufstellen von Stand- und Fahrgerüsten (Fassadengerüste) ohne Gerüstsonderkonstruktionen wie Hängegerüste, Gerüste im Industriegerüstbau und insbesondere ohne Traggerüste" (keine Spezialtätigkeit) beschränkt werden. Dies korreliert nicht vollständig mit dem Begriff "Arbeits- und Schutzgerüste" aus dem Übergangsgesetz, bildet jedoch die betriebliche Praxis besser ab. Insofern sollten die Kammern darauf hinwirken, dass Antragsteller ihren Antrag entsprechend eingrenzen.
17. Ist der Anwendungsbereich für das erleichterte Verfahren zur Erteilung einer Ausübungsberechtigung im Gerüstbau nicht eröffnet bzw. sind die weiteren Voraussetzungen nicht erfüllt, kann eine Ausübungsberechtigung bzw. eine Ausnahmebewilligung im Gerüstbau nur über die Vorschriften der Handwerksordnung mit einem vollumfänglichen Nachweis der notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten erteilt werden.
Eckpunktepapier zum Download
Bitte beachten
Bei den hier zur Verfügung gestellten Informationen handelt es sich um allgemeine Hinweise zu handwerksrelevanten Rechtsthemen. Darüberhinausgehende Informationen und insbesondere individuelle Beratungen sind dem ZDH nicht gestattet. Bitten nutzen Sie bei weitergehenden Fragen zu den hier dargestellten Themen die Beratungsangebote Ihrer Handwerksorganisation vor Ort (Handwerkskammern, Innungen und Fachverbände).