Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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Deutschen Handwerks
18.01.2022

Praxis Recht - Zivilrechtliche Folgen von Leistungsausfällen

In dem Fall, dass vertragliche Verpflichtungen nicht wie vereinbart erbracht werden können, steht die Frage im Raum, welche Ansprüche Handwerksbetriebe gegenüber ihren Lieferanten und welche Pflichten Handwerker gegenüber ihren Kunden haben?
Mitarbeiter kontrolliert ein Paket an einem Fließband in einem Warenhaus.

Haftung wegen Verzugs

Das Ausbleiben der Vertragsleistung führt zum Verzug. Die Haftung für die Folgen eines Leistungsverzugs oder gar eines vollständigen Leistungsausfalls setzt jedoch stets ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) voraus. Das heißt, wenn ein Lieferant seinen vertraglichen Pflichten nicht wie vereinbart nachkommen kann, haftet er nur dann, wenn er die Ursachen hierfür verschuldet oder zumindest mitverschuldet hat. Genauso verhält es sich mit Handwerksbetrieben, die zugesagte Leistungen nicht oder nur verspätet durchführen können.

Schließt höhere Gewalt die Haftung aus?

Der Ausbruch einer Epidemie kann grundsätzlich als höhere Gewalt bewertet werden. Im Fall der höheren Gewalt sind nicht der Lieferant oder der Handwerksbetrieb, sondern die außergewöhnlichen Umstände für den Leistungsausfall verantwortlich, so dass eine Haftung für die Folgen des Leistungsausfalls ausscheidet. Das bedeutet, dass weder Handwerksbetriebe ihre Lieferanten noch Auftraggeber Handwerksbetriebe für entstandenen Schäden belangen können. Jedoch verbietet sich eine pauschale Bewertung. Vielmehr kommt es auf die Umstände und das konkrete Verhalten der Akteure im Einzelfall an.

Wann kommt eine Haftung trotzdem in Betracht?

Mangelnde Vorkehrungen

Sollte ein Betrieb die empfohlenen Schutzvorkehrungen gegen eine Infektionsausbreitung nicht befolgen, kann er sich im Fall krankheitsbedingter Personalausfälle dem Vorwurf der fahrlässigen (Mit-)Verursachung einer Betriebsschließung oder der Leistungsunfähigkeit ausgesetzt sehen.

  • Es sollten unbedingt alle angeordneten und empfohlenen Schutzvorkehrungen gegen eine Infektionsausbreitung im Betrieb ergriffen werden.

Kenntnis möglicher Folgen

Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, also der Zeitpunkt, in dem man seine Leistungspflicht eingeht, ist für die Beurteilung der höheren Gewalt entscheidend. Höhere Gewalt liegt nur dann vor, wenn die Folgen der außergewöhnlichen Umstände, also der Corona- Epidemie, nicht vorhersehbar waren.

Diese Situation dürfte aber nur für Fälle gelten, in denen der Vertrag bereits vor Ausbruch der Epidemie geschlossen wurde. Angesichts der Verbreitung des Virus, der intensiven Berichterstattung und der behördlichen Maßnahmen muss jedem Unternehmer nach Ausbruch der Infektion in Deutschland und Europa bewusst sein, dass sein Betrieb und seine Leistungsfähigkeit betroffenen sein können.

Leistungsausfälle sind insofern in gewissem Maße und je nach Einzelfall wahrscheinlich und vorhersehbar. Wer in einer solchen Situation Verträge schließt, die er nicht oder nicht pünktlich erfüllen kann, handelt fahrlässig und muss für den Leistungsausfall haften.

  • Verträge, bei denen eine Handwerksleistung zu erbringen ist, sollten – soweit möglich – nur mit einer Haftungsbeschränkung geschlossen werden. Die Haftung sollte auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt werden.

 

Vertragliche Leistungsversprechen / Leitungsgarantien

In dem Vertrag dürfen keine zusätzlichen verschuldensunabhängigen Leistungsversprechen, wie beispielsweise weitergehende Garantien oder verschuldensunabhängige Vertragsstrafen, vereinbart worden sein. Solche Vereinbarungen gelten eigenständig und unabhängig von der Qualifizierung der Epidemie als höhere Gewalt.

 

  • Beim Abschluss neuer Verträge, bei denen eine Handwerksleistung zu erbringen ist, sollten verschuldensunabhängige Vertragsstrafen oder Garantien – soweit möglich – vermieden werden.

 

 

Offene Kommunikation mit Vertragspartnern und Lieferanten führen

Sofern ein Handwerksbetrieb von einer durch das Coronavirus bedingten eigenen Betriebsschließung oder der Betriebsschließung eines Lieferanten betroffen ist, oder nicht seine vertraglichen Pflichten erfüllen kann, ist stets zu empfehlen, Vertragspartner unverzüglich über die Situation zu informieren und gegebenenfalls neue zeitliche Leistungsziele zu vereinbaren. Zudem sollten bei Materiallieferanten Informationen über die Verfügbarkeit und die Produktionsherkunft des Materials eingeholt werden, um eine Prognose der eigenen Leistungsfähigkeit vornehmen zu können.

Welche Rechte habe ich, wenn Kunden ihre Aufträge stornieren?

Verträge, die geschlossen werden, sind zu erfüllen. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch in der Praxis zahlreiche Ausnahmen:

 

Vertragliche Vereinbarungen zur Beendigung

Verträge sollten dahingehend überprüft werden, ob dem jeweiligen Vertragspartner ein besonderes Kündigungsrecht zusteht und ob die Voraussetzungen einer solchen Kündigung vorliegen.

 

Verbraucherverträge

Verbraucher dürfen Verträge innerhalb von zwei Wochen widerrufen, wenn der Vertrag am Telefon, per E-Mail oder außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurde.

 

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Ändern sich die Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, können entweder Anpassungen oder die Aufhebung des Vertrags verlangt werden, wenn das Festhalten am Vertrag unzumutbar ist.

Beispiel: Wurde ein Handwerksbetrieb beauftragt, die Elektronik an einem Messestand einzubauen, und findet die Messe aufgrund behördlicher Maßgaben nicht statt, ist es dem Auftraggeber (Messestandunterhalter) kaum zumutbar, an dem Vertrag festzuhalten.

Wird ein solcher Vertrag gekündigt oder aufgehoben, sind die Vertragsparteien so zu behandeln, als wäre der Vertrag nie geschlossen worden. Bereits ausgehändigte Waren sind zurückzugeben, Leistungen, die bereits erbracht wurden, sind zu vergüten.

 

 

 

 

Steigende Materialkosten

Handwerksbetriebe vereinbaren mit ihren Kunden für gewöhnlich Festpreise bezüglich der verwendeten Materialien. Verändern sich nach Vertragsschluss die Materialpreise trägt der Handwerksbetrieb das Kalkulationsrisiko: D.h. bei steigenden Preisen sinkt die Gewinnmarge, bei sinkenden Preisen erhöht sich der Gewinn.

Die aktuell zu verzeichnenden Steigerungen zahlreicher Materialkosten (insbesondere Holz und Metalle) begründen trotz der zum Teil erheblichen Steigerung in kurzer Zeit in der Regel keine Anpassung oder Aufhebung des Vertrags (Wegfall der Geschäftsgrundlage). So müssen die Kostensteigerungen das gesamte Vertragsvolumen derart beeinflussen, dass ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Das wird grundsätzlich nicht der Fall sein, da im Handwerk die Materialkosten im Verhältnis zu den Arbeits- und Lohnkosten häufig den geringeren Kostenanteil darstellen.

Für künftig zu schließende Verträge sollten etwaige Preissteigerungen in der Kalkulation des Materialkostenfestpreises berücksichtigt werden. Preisanpassungsklauseln sind dagegen keine geeignete Lösung. Es spricht einiges dafür, dass solche Klauseln in handwerksrelevanten Fallgestaltungen weder AGB-rechtlich noch nach den Vorgaben des Preisklauselgesetzes zulässig sind.

Verändern sich die Materialkosten erheblich, sollte der Vertragspartner darüber informiert werden. Im Wege einer offenen Kommunikation mit dem Geschäftspartner sollte versucht werden, vertragliche Nachverhandlungen zu führen und gegebenenfalls eine Anpassung des Vertrags zu vereinbaren. Ein Recht oder ein Anspruch auf Nachverhandlungen besteht jedoch nicht.

Besondere Regeln für Miet- und Pachtverträge

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 12.01.2022 entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt. Wie hoch der Abschlag ist, muss allerdings im Einzelfall geprüft werden. Eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung pauschal um die Hälfte herabgesetzt wird, kommt laut BGH nicht in Betracht.

Das Festhalten am unveränderten Vertrag muss für den Gewerbemieter unzumutbar sein, damit eine Vertragsanpassung in Betracht kommt, so der BGH. Das Vorliegen der Unzumutbarkeit muss seitens des Gewerbemieters nachgewiesen werden. Es bedarf dabei einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, wobei die Umsatzeinbußen für das konkrete Objekt, staatliche Hilfen oder Versicherungsleistungen zu berücksichtigen sind. Im Falle einer staatlich angeordneten pandemiebedingten Geschäftsschließung muss der Mieter darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, und welche Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist allerdings laut BGH nicht erforderlich.

In Zweifelsfällen bezüglich der gesetzlichen Bestimmungen sollte das Beratungsangebot der Handwerkskammern, Innungen und Fachverbände in Anspruch genommen werden.

Praxis Recht zum Download

  • Praxis Recht: Zivilrechtliche Folgen von Leistungsausfällen auf Verträge

Bitte beachten

Bei den hier zur Verfügung gestellten Informationen handelt es sich um allgemeine Hinweise zu handwerksrelevanten Rechtsthemen. Darüberhinausgehende Informationen und insbesondere individuelle Beratungen sind dem ZDH nicht gestattet. Bitten nutzen Sie bei weitergehenden Fragen zu den hier dargestellten Themen die Beratungsangebote Ihrer Handwerksorganisation vor Ort (Handwerkskammern, Innungen und Fachverbände).

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