FG Münster: § 152 AO bei Überschreitung einer Fristverlängerung
Hintergrund:
Gemäß § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO in der Fassung für nach dem 31.12.2018 einzureichende Steuererklärungen ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr bezieht, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs abgegeben wird. Anders als nach alter Rechtslage handelt es sich insoweit um eine gebundene Entscheidung des Finanzamts und auch auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen kommt es nicht mehr an. § 152 Abs. 2 gilt jedoch nicht in den Fällen des § 152 Abs. 3 AO. Ist eine der Voraussetzungen des § 152 Abs. 3 AO erfüllt, steht die Festsetzung des Verspätungszuschlags wieder im Ermessen des Finanzamts gem. § 152 Abs. 1 AO. Die Voraussetzungen des § 152 Abs. 3 AO sind:
Nr. 1: die Finanzbehörde hat die Frist für die Abgabe der Steuererklärung nach § 109 verlängert oder diese Frist rückwirkend verlängert,
Nr. 2: die Steuer wird auf null Euro oder auf einen negativen Betrag festgesetzt,
Nr. 3: die festgesetzte Steuer übersteigt nicht die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge oder
Nr. 4: bei jährlich abzugebenden Lohnsteueranmeldungen, bei Anmeldungen von Umsatzsteuer-Sondervorauszahlungen nach § 48 Absatz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung sowie bei jährlich abzugebenden Versicherungsteuer- und Feuerschutzsteueranmeldungen.
Sachverhalt
Dem Urteil (Az. 9 K 1547/21 U) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2018. Der Kläger ist selbständig tätiger Arzt und wurde im Streitjahr 2018 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte zudem umsatzsteuerpflichtige Umsätze aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage.
Durch einen Steuerberater beratene Steuerpflichtige müssen die Umsatzsteuererklärung gem. §§ 18 Abs. 3 UStG, 149 Abs. 3 Nr. 4 AO bis zum letzten Tag des Monats Februar des zweiten auf den Besteuerungszeitraum des folgenden Kalenderjahres abgeben. Im Streitfall musste der Kläger die Umsatzsteuererklärung 2018 daher grundsätzlich bis zum 29.2.2020 abgeben. Das Finanzamt hatte aufgrund der Corona-Pandemie für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 eine Fristverlängerung i. S. von § 152 Abs. 3 Nr. 1 AO bis zum 31.5.2020 gewährt.
Der erkennende 9. Senat des Finanzgerichts Münster führte in den Urteilsgründen u.a. wie folgt aus: „Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 152 Abs. 3 Nr. 1 AO führt auch dann zu einem Ausschluss des § 152 Abs. 2 AO und mithin zur Anwendung der Ermessensvorschrift des § 152 Abs. 1 AO, wenn die verlängerte Frist überschritten wurde (…).
Im Streitfall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 AO gegeben, da die Abgabe der Umsatzsteuererklärung erst weit nach Ablauf der verlängerten Frist erfolgt ist. Es liegt jedoch ein Ermessensfehler in Form der Ermessensunterschreitung/des Ermessensnichtgebrauchs vor. Der Beklagte hat weder im ursprünglichen Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2018 vom 27.01.2021 noch in der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2021 noch im zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2018 vom 24.11.2021 Ermessenserwägungen angestellt. Vielmehr ist er, wie seine Ausführungen in der Klageerwiderung vom 17.01.2022 (Bl. 98 ff. der Gerichtsakte) belegen, irrig davon ausgegangen, dass er gem. § 152 Abs. 2 AO zur Festsetzung eines Verspätungszuschlags verpflichtet gewesen ist. Der angefochtene Verwaltungsakt, der Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer 2018, war daher aufzuheben.“