Schätzung bei Altkassen und Zeiterfassung von Gutscheinen bei EÜR
Sachverhalt:
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 2011 bis 2014 ein Restaurant und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung. Er benutzte zur Erfassung der Einnahmen, die er zum großen Teil in Form von Bargeld erzielte, eine elektronische Registrierkasse sehr einfacher Bauart, die bereits in den 1980er Jahren entwickelt worden war. Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau sowie einer nachfolgenden Außen- und schließlich Fahndungsprüfung legte der Kläger für alle Öffnungstage des Prüfungszeitraums fortlaufend nummerierte Tagesendsummenbons (Z1-Bons) vor. Auf diesen waren lediglich die täglichen Erlössummen – getrennt nach Umsatzsteuersätzen sowie nach Restaurant- und Außer-Haus-Umsätzen – ausgewiesen. Die Aufteilung nach Zahlungswegen (Bar- oder Kartenzahlung) wurde nicht in der Registrierkasse vorgenommen, sondern vom Kläger in dem täglich erstellten Formular "Kassenabrechnung" handschriftlich ergänzt. Weitere Ausdrucke der Registrierkasse (zum Beispiel Journale, Kellnerberichte, Rechnungen) oder Einnahmenursprungsaufzeichnungen legte der Kläger nicht vor. Eine Bedienungsanleitung der Kasse war bei ihm vorhanden, nicht jedoch Protokolle über Änderungen der Programmierung oder Einstellungen. Über einen Teil der im Restaurant erzielten Erlöse rechneten die Gäste ganz oder teilweise mit Gutscheinen ab, die im Einzelnen sehr unterschiedliche Bedingungen und Zahlungsabläufe aufwiesen.
Das Finanzamt (FA) sah die Aufzeichnungen des Klägers als nicht ordnungsgemäß an und nahm eine Vollschätzung der Erlöse vor. Dies führte zu einer Vervierfachung der erklärten Umsätze. Das Finanzgericht (FG) beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung der Registrierkasse. Dieser kam zu dem Ergebnis, ein bestimmter interner Zähler der Kasse, der die Lückenlosigkeit der Tagesausdrucke sicherstellen solle (Z1-Zähler), könne durch Eingabe entsprechender Codes verändert werden. Eine solche Änderung könne allerdings im Zuge von Reparaturen der Kasse erforderlich werden. Das FG bestätigte die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach und führte hierzu u. a. folgende Gründe an:
Zwar gebe es keinen Nachweis dafür, dass der Kläger die Kasse manipuliert habe. Es stehe aber objektiv fest, dass an der Kasse Umprogrammierungen vorgenommen worden seien. So seien der Ausdruck des GTSpeichers und des Journals unterdrückt und die Erstellung von (manuellen) Proforma-Rechnungen möglich gewesen. Damit sei die Kasse nicht ordnungsgemäß. Insbesondere sei ohne ein Journal nicht sichergestellt, dass sämtliche Betriebseinnahmen der Besteuerung zugrunde gelegt worden seien. Das Fehlen der Protokolle nachträglicher Programmänderungen stelle einen gravierenden formellen Mangel dar. Solche Programmänderungen müsse es gegeben haben, da der Kläger die Kasse bereits 1999 erworben habe, die verwendete Firmware aber aus dem Jahr 2001 stamme.
Der erkennende Senat des BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zur Entscheidung zurück. Er führt in den Urteilsgründen u. a. wie folgt aus:
- Zur Begründung einer Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach darf der Tatrichter sich nicht mit der bloßen Benennung formeller oder materieller Mängel begnügen, sondern muss diese auch nach dem Maß ihrer Bedeutung für den konkreten Einzelfall gewichten.
- Eine Vollschätzung unter vollständiger Verwerfung der Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen ist nur zulässig, wenn die festgestellten Mängel gravierend sind.
- Die Verwendung eines objektiv manipulierbaren Kassensystems stellt grundsätzlich einen formellen Mangel von hohem Gewicht dar, da in einem solchen Fall systembedingt keine Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenaufzeichnungen gegeben ist.
- Das Gewicht dieses Mangels kann sich in Anwendung des Verhältnismäßigkeits- und Vertrauensschutzgrundsatzes im Einzelfall auf ein geringeres Maß reduzieren. Das gilt insbesondere dann, wenn das Kassensystem zur Zeit seiner Nutzung verbreitet und allgemein akzeptiert war und eine tatsächliche Manipulation unwahrscheinlich ist.
- Der in der Verwendung einer solchen objektiv manipulierbaren elektronischen Registrierkasse einfacher Bauart liegende formelle Mangel begründet keine Schätzungsbefugnis, wenn der Steuerpflichtige in überobligatorischer Weise sonstige Aufzeichnungen führt, die eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit der Einnahmenerfassung bieten.
- Bei elektronischen Registrierkassen einfacher Bauart werden Funktionen und Stand der festen Programmierung (Firmware) durch die Bedienungsanleitung dokumentiert. Änderungen von Einstellungen der Kasse sind vom Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Vornahme der Änderungen durch Anfertigung entsprechender Protokolle über die vorgenommenen Einstellungen zu dokumentieren (Präzisierung des Senatsurteils vom 25.03.2015 - X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 26 ff.).
- Übergibt ein Kunde für eine Leistung des Steuerpflichtigen einen Rabattgutschein, auf den nach den Gutscheinbedingungen ein Dritter eine Zahlung an den Steuerpflichtigen leisten soll, fließt dem Steuerpflichtigen bei Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung eine Einnahme nicht bereits mit Übergabe des Gutscheins, sondern erst in dem Zeitpunkt zu, in dem der Dritte die Zahlung an den Steuerpflichtigen leistet.
Hinweis:
Mit diesem Urteil hat der BFH seine Rechtsprechung zur Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bei Schätzungen fortgeführt. Damit beschränkt sich die Bedeutung des Urteils nicht auf Fälle, in denen sog. Altkassen genutzt wurden. Dies sind Kassen, deren Verwendung nur noch bis zum 31. Dezember 2019 zulässig war.