Zentralverband des
Deutschen Handwerks
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13.09.2024

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes bei Aussetzung

Der BFH hat Zweifel an der Höhe des Zinssatzes bei Aussetzungszinsen und hat mit kürzlich veröffentlichtem Vorlagebeschluss das Bundesverfassungsgericht angerufen.

Hintergrund

Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, d. h. der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer vorerst zahlen. Die aufschiebende Wirkung von Einspruch und Klage kann aber in einem summarischen Verfahren auf Antrag bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von Finanzamt (FA) oder Finanzgericht (FG) gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Zwar muss der Steuerpflichtige dann die Steuer zunächst nicht zahlen, jedoch droht ihm eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer "nachträglich" zahlen muss. Für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrages sind dann Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr zu entrichten (Aussetzungszinsen, § 237 i. V. m. 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung –AO–).

Mit Beschluss vom 08. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14 (BVerfGE 158, 282) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Vollverzinsung in dieser Höhe (§ 233a i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) ab dem 01. Januar 2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung setzte das FA aus.

Die Klage war erfolglos. Aussetzungszinsen von 0,5 % wurden für 78 Monate festgesetzt, u. a. für den Zeitraum von 01. Januar 2019 bis zum 15. April 2021. Dagegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Der Einspruch ruhte zunächst wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes. Nach dem o. g. Beschluss des BVerfG wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Der Kläger trug im Rahmen des Klageverfahrens in erster Instanz vor, dass die AdV-Zinsen der Höhe nach seit dem 01. Januar 2019 verfassungswidrig seien und nicht mehr erhoben werden dürften. Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Revision eingelegt.

Der BFH hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 08. Mai 2024 (Az. VIII R 9/23) ausgesetzt und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Der erkennende Senat ist davon überzeugt, dass der Zinssatz bei AdV gemäß § 237 i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit der Höhe nach gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als der Zinsberechnung für die AdV zwischen dem 01. Januar 2019 und dem 15. April 2021 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird. In der Begründung führt der Senat u. a. aus, dass zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich sei, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Zudem würden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Denn Nachzahlungszinsen werden seit dem 01. Januar 2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % für jeden Monat, also 1,8 % p.a. berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2024

Hinweis: In vergleichbaren Fällen sollten diese durch Einlegung eines Einspruchs mit Hinweis auf den Vorlagebeschluss des BFH (Az. VIII R 9/23) offengehalten werden.

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