Wegmarken des Handwerks und des ZDH
1940er – Kriegsende, Wiederaufbau, Gründung des ZDH
1950er – Wohnungsbau, Wirtschaftswunder, Handwerksordnung
1960er – Wirtschaftsboom, soziale Leistungen, Handwerksnovelle
1970er – Politische Kontroversen, Umbrüche, Lehrstellen im Handwerk
1980er – Konjunkturkrise, technologischer Wandel, Mauerfall
1990er – Wiedervereinigung, Grosskundgebung, Umzug nach Berlin
2000er – Arbeitslosenquote, Abschaffung Meisterpflicht, Reformkonzepte
2010er – Digitalisierung, Integration, Ja zum Meister
1. Hälfte der 2020er – Multiple Krisen, neue Normalität
Kriegsende, Wiederaufbau, Gründung des ZDH
Am Ende des Zweiten Weltkriegs liegt Deutschland in Schutt und Asche. Das Handwerk soll Deutschland wiederaufbauen, dabei herrscht dramatischer Mangel an allem: Lebensmittel, Kleidung, Brenn- und Baumaterial. Fast eine ganze Fachkräftegeneration ist von Hitlers Schlachtfeldern nicht zurückgekehrt.
Die Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion teilen Deutschland in Besatzungszonen auf. In ihnen verläuft der Wiederaufbau der Handwerksstrukturen ganz unterschiedlich. In der sowjetischen Zone mit sozialistischer Planwirtschaft ordnen die Besatzer eine Zwangsmitgliedschaft in den Handwerkskammern an, die sie zunächst auf Landes- und später in der DDR auf Bezirksebene zulassen. Alle weiteren Handwerksorganisationen werden abgeschafft. In der französischen Zone gilt im Wesentlichen das Handwerksgesetz, wie es bis 1942 Bestand hatte. In der britischen Zone entstehen schon früh eigenständige Handwerkskammern mit Pflichtmitgliedschaft, auch eine Handwerksordnung tritt in Kraft. In der US-amerikanischen Zone gilt Gewerbefreiheit mit freiwilliger Kammermitgliedschaft.
Das Handwerk ist entschlossen, die Zukunft ganz Deutschlands aktiv mitzugestalten. Im Oktober 1948 beim ersten "Deutschen Handwerkstag" in Frankfurt am Main beschließen sämtliche Handwerkskammern der drei Westzonen und Berlins, eine Spitzenorganisation zu gründen. Am 30. November 1949 bündeln Handwerkskammern, Zentralfachverbände und dem Handwerk nahestehende Einrichtungen ihre Kräfte: Sie vereinigen sich in Boppard zum Zentralverband des Deutschen Handwerks.
Wohnungsbau, Wirtschaftswunder, Handwerksordnung
In den fünfziger Jahren boomt der Wohnungsbau, Deutschland erlebt ein Wirtschaftswunder. Das Handwerk ist maßgeblich am Wiederaufbau beteiligt – und erfährt ein enormes Wachstum, vor allem die Bau-, Metall- und Elektrohandwerke. Die Bevölkerung nutzt immer mehr Autos, Heizungen, Warmwasseranlagen, Fernseher und andere elektronische Geräte. Radio- und Fernsehtechniker und Kfz-Mechaniker werden zu Modeberufen.
Der ZDH fordert erfolgreich, endlich die Rahmenbedingungen für das Handwerk in Deutschland zu vereinheitlichen. Die Handwerksordnung gehört zu den ersten großen Gesetzgebungsvorhaben der jungen Bundesrepublik. Ein fast drei Jahre dauernder Debattenmarathon mündet am 26. März 1953 in das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HwO). Herzstück ist der "Große Befähigungsnachweis", der die hohe Qualität der Handwerksarbeit und -ausbildung sicherstellt: Handwerker dürfen nur in dem Beruf einen Betrieb führen und Lehrlinge ausbilden, in dem sie die Meisterprüfung abgelegt haben. Im Laufe der Jahrzehnte wird die HwO als Reaktion auf wirtschaftspolitische Entwicklungen immer wieder angepasst.
Der ZDH und die Handwerkskammern starten im Jahr 1951 den "Praktischen Leistungswettbewerb der Handwerksjugend" (PLW, später "Profis leisten was" und heute "Deutsche Meisterschaft in Handwerk"), um den Nachwuchs zu fördern und einen Anreiz zur Leistungssteigerung zu schaffen. Seither kämpfen die besten Gesellinnen und Gesellen jährlich um den Bundessieg in ihrem Gewerk.
Wirtschaftsboom, soziale Leistungen, Handwerksnovelle
Der anhaltende Wirtschaftsboom zu Beginn der sechziger Jahre macht den Ausbau sozialer Leistungen möglich: Sozialhilfe, Jugendarbeitsschutzgesetz, 40-Stunden-Woche. Vom technologischen Fortschritt profitieren vor allem die Metall-, Elektro- und Gesundheitshandwerke. Die Modernität spiegelt sich auch im gesamten Handwerk wider. 1965 kommt es auf Initiative des ZDH zu einer Handwerksnovelle. Ziel ist, dass Handwerker schnell auf neue Entwicklungen reagieren können. Sie sollen ihren Betrieb unkompliziert auf verwandte Gewerke ausweiten können. Neben den Vollhandwerken werden 40 handwerksähnliche Gewerke in die HwO aufgenommen, darunter Gerüstbauer und Speiseeishersteller. Um sie selbstständig ausüben zu können, ist keine Meisterprüfung nötig.
Der ZDH bezieht in der Bonner Johanniterstraße das neue "Haus des Deutschen Handwerks". Ab 1966 steht der ZDH-Präsident nach einem Beschluss der Vollversammlung auch an der Spitze des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT) und der Bundesvereinigung der Fachverbände des Deutschen Handwerks (BFH). Das Handwerk spricht nun mit einer Stimme.
1966 setzt die Nachkriegsrezession ein, die Bundesregierung, Gewerkschaften, Bundesbank und Unternehmerverbände wie der ZDH in der "Konzertierten Aktion" überwinden. Ab 1969 regelt das Berufsbildungsgesetz branchenunabhängig die Berufsausbildung und Weiterbildung. Das Handwerk setzt für sich Ausnahmen durch: Die Prüfungsordnung und -abnahme in Ausbildungsberufen der Vollhandwerke bleibt in der Hand der Handwerkskammern.
Politische Kontroversen, Umbrüche, Lehrstellen im Handwerk
Viele Bürgerinnen und Bürger können sich mittlerweile eine gut ausgestattete Wohnung oder ein Haus, ein Auto und Urlaubsreisen leisten. Gleichzeitig endet das Wirtschaftswunder: Preise und Arbeitslosenzahlen steigen. Als SPD und FDP 1969 eine Koalition bilden, muss die Union erstmals in die Opposition. Das Jahrzehnt steht im Zeichen heftiger politischer und öffentlicher Kontroversen und Konfrontationen.
Die siebziger Jahre sind ein Jahrzehnt der Umbrüche, die sich vor allem auf Bildung und Bildungspolitik auswirken. Ab Mitte der siebziger Jahre steigt die Schulabgängerzahl drastisch. Das Handwerk stellt zwei Drittel der zusätzlich benötigten Lehrstellen. So bietet es nicht nur Hunderttausenden Jugendlichen eine Lebensperspektive. Es bewahrt auch die gesamte Wirtschaft vor einer von der Bundesregierung geplanten Ausbildungsabgabe.
Der ZDH erkennt frühzeitig, dass Europa politisch an Bedeutung gewinnt. Um das Handwerk stark zu positionieren, bildet er 1975 mit den Spitzenverbänden der Klein- und Mittelbetriebe aus Frankreich, Großbritannien, Dänemark und den Beneluxstaaten die Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe (UEAPME, seit 2018 SMEunited). ZDH-Präsident Paul Schnitker gehört ab 1979 als Abgeordneter dem ersten Europäischen Parlament an und übernimmt im selben Jahr als erster Handwerksmeister auch die Sprecherrolle für die gesamte deutsche gewerbliche Wirtschaft.
Konjunkturkrise, technologischer Wandel, Mauerfall
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Konjunkturkrise, die zeitlich mit einem raschen technologischen Wandel zusammenfällt. Zu den innovativsten und am stärksten wachsenden Branchen gehören die Elektrotechnik, der Fahrzeug- und Maschinenbau, die Feinmechanik und Optik sowie die Feinkeramik. Als Mitte der achtziger Jahre das Kabelfernsehen in Deutschland eingeführt wird, gelingt es dem ZDH, den Handwerksbetrieben diesen Zukunftsmarkt zu öffnen. Während die Bundespost für die Verkabelung im öffentlichen Raum zuständig ist, verlegen Handwerksbetriebe alle Kabel innerhalb der Häuser.
In der DDR gilt derweil: Sozialismus statt Selbstverwaltung. Außer den 15 Handwerkskammern sind Handwerksorganisationen verboten. Das Regime übt Druck auf Inhaberinnen und Inhaber aus, ihre Betriebe in sogenannte Produktionsgenossenschaften des Handwerks umzuwandeln. Der ZDH protestiert gegen "die Ausrottung des selbstständigen Handwerks" in der DDR. Zwischen 1949 und 1989 sinkt die Zahl der privaten Betriebe von rund 300.000 auf 82.000. Bei der Emanzipation aber ist das ostdeutsche dem westdeutschen Handwerk voraus: Während Frauen in der Bundesrepublik erst ab 1994 auf Baustellen arbeiten dürfen, ist eine Lehre zur Maurerin in der DDR nichts Ungewöhnliches. Im Dezember 1989 wird mit Wolfgang Bachmann in Erfurt erstmals der Präsident einer Handwerkskammer frei gewählt. 1990 wählen auch alle anderen ostdeutschen Handwerkskammern demokratisch neue Präsidien oder bestätigen die Amtsinhaber in ihren Ämtern.
Wiedervereinigung, Grosskundgebung, Umzug nach Berlin
Nach dem Mauerfall im Jahr 1989 stehen die beiden deutschen Staaten mit der Wiedervereinigung und dem Aufbau einer modernen sozialen Marktwirtschaft auf dem Gebiet der DDR vor einer immensen Herausforderung. Das Handwerk macht die Wiedervereinigung vor: Im Mai 1990 – Monate vor der politischen Einheit – treten die 15 Handwerkskammern der DDR dem ZDH und dem DHKT bei. Im Juni folgen die Fachverbände, die sich dem ZDH über die BFH anschließen. Zum Jahresende 1990 ist die Zahl der privaten Betriebe in den neuen Bundesländern bereits wieder auf rund 120.000 angestiegen.
Seine Einheit demonstriert das Handwerk am 21. Juni 1990 mit einer Großkundgebung im sächsischen Zwickau. 4.000 Handwerkerinnen und Handwerker aus allen Teilen Deutschlands bekennen sich zum Zusammenschluss der Organisationen und verabschieden das "Manifest zur Einheit des Deutschen Handwerks". Im Juli 1990 wird die HwO der Bundesrepublik auch auf das Gebiet der DDR übertragen.
Gleichzeitig denkt der ZDH schon über die Grenzen Deutschlands hinaus. Nur eine Woche nach der Zwickauer Großkundgebung eröffnet der Verband in Brüssel ein Büro, um die Interessen des Handwerks in Europa noch effektiver vertreten zu können. Um im wiedervereinigten Deutschland dem Handwerk aus Ost und West Gehör zu verschaffen, zieht der ZDH 1999 wie die Bundesregierung von Bonn nach Berlin um. Im "Haus des Deutschen Handwerks" in der Mohrenstraße 20/21 nahe dem Gendarmenmarkt sitzt der ZDH noch heute.
Arbeitslosenquote, Abschaffung Meisterpflicht, Reformkonzepte
Am Anfang des neuen Jahrtausends gilt Deutschland als "kranker Mann Europas" und schrammt knapp an einem Schuldenrekord vorbei. Die Arbeitslosenquote liegt bei mehr als zehn Prozent. Die Bundesregierung will der Arbeitslosigkeit mit einer Gründungswelle begegnen und schafft 2004 mit einer HwO-Novelle die Meisterpflicht in 53 von 94 Handwerksberufen ab. Die Regierung ignoriert die eindringlichen Warnungen des ZDH. Die Folge für die betroffenen Gewerke sind weniger Fachkräfte, weniger Ausbildung und vermehrte Kundenklagen über Qualitätseinbußen.
Um die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effizienter zu gestalten und die staatliche Arbeitsvermittlung zu reformieren, erarbeitet die sogenannte Hartz-Kommission im Auftrag der Bundesregierung Reformkonzepte. Die Reformen der 15- köpfigen Kommission, der auch ZDH-Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer angehört, treten zwischen 2003 und 2005 in Kraft. In den Folgejahren sinkt die Arbeitslosigkeit in Deutschland kontinuierlich.
Im Juni 2000 feiern die Handwerksorganisationen in Berlin das 100-jährige Jubiläum der Handwerkskammern und des Deutschen Handwerkskammertags. Das Handwerk begeht das Jubiläum mit einem Festakt im Schauspielhaus und präsentiert seine Modernität und Kreativität in einer "Erlebniswelt Handwerk" am Gendarmenmarkt.
Digitalisierung, Integration, Ja zum Meister
Europa startet ins neue Jahrzehnt mit einer Finanzkrise, von der die deutsche Binnenwirtschaft weitgehend verschont bleibt. Die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe sind voll, dennoch steht der ZDH vor großen Herausforderungen. Vor allem die Fachkräftesicherung gewinnt wegen des demografischen Wandels und des Trends zu Abitur und Studium an Bedeutung. 2010 startet das Handwerk in klassischen und sozialen Medien eine Imagekampagne, die Jugendlichen das moderne Handwerk präsentiert. Ab 2014 steigt die Zahl der Azubis wieder kontinuierlich.
Als ab 2015 immer mehr Menschen vor Krieg, Verfolgung und Armut nach Deutschland fliehen, bietet das Handwerk vielen eine neue Lebensperspektive. Wie kein anderer Wirtschaftsbereich trägt das Handwerk zur erfolgreichen Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt bei. Knapp die Hälfte aller Azubis aus den acht häufigsten nicht europäischen Herkunftsländern lernt im Handwerk. Seit 2016 unterstützt der ZDH Betriebe mit dem Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (KDH) bei der Digitalisierung. Mit Workshops und Materialien informiert das KDH über Themen wie Cybersicherheit, Automatisierungstechnologien und neue Geschäftsmodelle.
Mit der "#JAzumMeister"-Initiative kämpft der ZDH entschlossen für eine Wiedereinführung der Meisterpflicht. 2019 sprechen sich Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat schließlich für die Wiedereinführung der Meisterpflicht aus. Im Jahr darauf werden zwölf zulassungsfreie Handwerke in den zulassungspflichtigen Handwerksbereich reintegriert.
Multiple Krisen, neue Normalität
Direkt zu Beginn der 2020er Jahre hält die Corona-Pandemie die Welt fest im Griff. Deutlich mehr als 100.000 Menschen in Deutschland verlieren im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion ihr Leben und eine mehrfach höhere Zahl von Menschen leidet an den Folgeschäden einer durchlittenen Infektion. Auch der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Nach Berechnungen des IW Köln kostet Corona 350 Milliarden Euro Wertschöpfung. Der ZDH beteiligt sich zusammen mit den anderen Spitzenverbänden an bundesweiten Aufklärungs- und Impfkampagnen (#WirtschaftImpft, #WirtschaftTestet).
Seit 2022 ist mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine der Krieg in Europa zurück. Die erhoffte Erholung für Wirtschaft und Handwerk nach zehrenden Jahren bleibt aus. Dennoch: Die #WirtschaftHilft. Der ZDH und die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft unterstützen bei Wiederaufbau, Spenden und bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter. Auch im Zuge der häufiger auftretenden Hochwasserkatastrophen zeigt sich die Bedeutung des Handwerks. Das "Handwerk baut auf" und steht zusammen in der Krise.
Um diese multiplen Krisen bewältigen zu können, brauchen Unternehmen und Betriebe Unterstützung. Zu den gestörten Lieferketten, massiven Materialverteuerungen und der Konsumzurückhaltung in Folge der Pandemie kommen explodierende Energiepreise, unsichere Energieversorgung und Inflation verschärfend hinzu. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass das Handwerk für die anstehenden gewaltigen Transformationsprozesse beim Klimaschutz sowie bei der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende unverzichtbar ist, und es daher mehr denn je wichtig ist, junge Menschen für eine Ausbildung in einem der über 130 Ausbildungsberufe im Handwerk zu gewinnen.
Die Betriebe sind seit nunmehr Jahren gleichzeitig im Modus der Krisenbewältigung wie der Zukunftsgestaltung. In dieser "neuen Normalität" rühren ZDH und Handwerksorganisationen noch stärker die Werbetrommel, denn die Zukunft wird nur mit dem Handwerk gelingen! Hierbei kommt der Nachwuchsgewinnung eine besondere Bedeutung zu: Die sehr erfolgreiche Imagekampagne geht 2025 bereits in die vierte Kampagnenstaffel und aus dem Leistungswettbewerb "PLW" wird die "Deutsche Meisterschaft im Handwerk – Geerman Craft Skills", die deutlich anschlussfähiger an die europäischen Berufswettbewerbe ist.